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„Das sind 26.000 Abtreibungen zuviel“

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Gesundheitsminister Ingrid Leodolter gibt als Erfolgsmeldung ihres Ministeriums bekannt, daß mit etlichen Millionen Schilling an verschiedenen Kinderspitälern und Geburtskliniken Intensiv-Behandlungsstatio- nen für lebensgefährdete Neugeborene und Frühgeborene eingerichtet wurden, die es ermöglicht haben, den Trend der Senkung der Säuglingssterblichkeit in Österreich zu verstärken. Staatssekretär Elfriede Karl, die das Familienreferat inne hat, meldete kürzlich bei einem Pressegespräch, daß im ersten Jahr nach Einführung der Fristenlösung, also im Jahre 1975, rund 26.000 Schwangerschaften in österreichischen Spitälern abgebrochen wurden. Das heißt, daß 26.000 Kinder, deren Leben nicht gefährdet war, ihr Leben lassen mußten, weil sie irgend jemandem „unerwünscht“ waren.

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Gesundheitsminister Ingrid Leodolter gibt als Erfolgsmeldung ihres Ministeriums bekannt, daß mit etlichen Millionen Schilling an verschiedenen Kinderspitälern und Geburtskliniken Intensiv-Behandlungsstatio- nen für lebensgefährdete Neugeborene und Frühgeborene eingerichtet wurden, die es ermöglicht haben, den Trend der Senkung der Säuglingssterblichkeit in Österreich zu verstärken. Staatssekretär Elfriede Karl, die das Familienreferat inne hat, meldete kürzlich bei einem Pressegespräch, daß im ersten Jahr nach Einführung der Fristenlösung, also im Jahre 1975, rund 26.000 Schwangerschaften in österreichischen Spitälern abgebrochen wurden. Das heißt, daß 26.000 Kinder, deren Leben nicht gefährdet war, ihr Leben lassen mußten, weil sie irgend jemandem „unerwünscht“ waren.

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Man muß auf diese Feststellung der Staatssekretärin mit den Worten eines Sozialfürsorgers aus Schweden, wo die Verhältnisse gleich schlimm sind wie in Österreich, entgegnen: „Das sind 26.000 Abtreibungen zu viel.“ Dieser meinte allerdings, diese hohe Zahl von legalen und illegalen Abtreibungen, die es in Schweden, wie in anderen Ländern, nach wie vor gibt, „zeige vor allem, daß es mit den Vorbeugungsmaßnahmen und der notwendigen Information (gemeint ist die Sexualaufklärung) nicht klappt.“ (Nach einem Bericht von E. M; Salzer, Stockholm, erschienen in der Basler Zeitung vom 12. 2. 1977.)

In Schweden wurde der „Sexualunterricht“ in den Schulplan bereits vor gut 30 Jahren eingeführt. „Seit mehr als 20 Jahren ist die sexuelle Aufklärung von der ersten Volksschulklasse ab ein Pflichtfach“, berichtet M. Salzer, aber immer noch besteht „zwischen der liberalen Gesetzgebung und der freimütigen Debatte in den Massenmedien und der persönlichen Auffassung und dem praktischen Lebenswandel des Durchschnittsbürgers eine breite Kluft.“

Schweden „liberalisiert“ weiter

Trotzdem wird in Österreich versucht, das vom Mißerfolg gezeichnete schwedische Experiment kritiklos nachzuahmen. Nach dem gleichen Bericht aus Stockholm steigt in Schweden, obwohl angeblich 50 Prozent der Frauen und 80 Prozent der Männer Empfängnisverhütung betreiben, die Statistikkurve der Geschlechtskrankheiten steil an und ebenso die Zahl der gemeldeten legalen Schwanger-

schaftsabbrüche (von 16.000 im Jahre 1970 auf 33.000 im Jahre 1976). Nach dem neuen, noch weiter „liberalisierten“ schwedischen Abtreibungsgesetz vom 1. Jänner 1975 ist der Schwangerschaftsabbruch praktisch frei. Nach dem neuen schwedischen Gesetz wird der Schwangerschaftsabbruch auch nach der 18. Schwangerschaftswoche (nach dem österreichischen Gesetz ist man „nur“ bis zur 12. Sch’wänger- schaftswoche kein Mensch), vom Gesundheitsamt noch gut geheißen, wenn „besondere medizinische und soziale Verhältnisse“ vorliegen.

Bis zum Alter von viereinhalb Monaten, also der 18. Schwangerschaftswoche, entscheidet in Schweden die Mutter über das Leben ihres Kindes praktisch allein. Bezeichnenderweise kann in Schweden die beantragte Abtreibung nur abgelehnt werden, wenn die Vornahme der Abtreibung „Gesundheit oder Leben der Frau“ gefährdet. Das ist ein sehr interessantes Detail. Bei der „medizinischen Indikation“, bei der auch im alten österreichischen Strafgesetz Straffreiheit zugesichert war, mußte die Schwangerschaft das Leben oder die Gesundheit der Mutter schwer gefährden, damit ein Schwangerschaftsabbruch gesetzlich erlaubt war, in Schweden ist es nun die Abtreibung.

Damit wird vom Gesetzgeber in Schweden offiziell zugegeben, daß die Vornahme der Abtreibung auch in der

Hand von Medizinern lebensgefährlich sein kann, was freilich inzwischen nicht nur den Fachleuten, sondern vielen medizinischen Laien bekannt ist und nur von den Befürwortern der Abtreibung in der ihnen eigenen Offenheit konsequent verschwiegen wird. Etwa ein Drittel der Frauen, die einen oder mehrere Schwanger- schaftsabbrüche hinter sich hat, muß mit Früh- oder Spätschäden rechnen.

Uns darf die Frage nicht zur Ruhe kommen lassen, wie tief eine Gesell schaft, die sich bezeichnenderweise eine „humane Gesellschaft“ nennt, wohl gesunken ist, die es fertig bringt, ein Sexualverhalten als richtig hinzustellen und zu pflegen, von dem nichts mehr übrig geblieben zu sein scheint, als die Bettszene, der noch dazu das Herzstück jeder wahren menschlichen Geschlechtsbeziehung herausgebrochen wurde, die Möglichkeit der Entstehung eines Kindes.

Eine Möglichkeit, die meines Erachtens, als Möglichkeit wesentlich zu diesem großartigen menschlichen Akt gehört. Mit allen möglichen Tricks, rechnerischen, mechanischen, chemischen und hormonellen wird versucht, diese Möglichkeit auszuschalten, auf eine Weise, die manchen sexuell normal veranlagten Menschen, besonders Frauen, die sexuelle Beziehung als manipuliert und unmenschlich verleidet.

Freilich weiß ich genau, daß es Situationen gibt, wo ein Ehepaar aus Verantwortung auf die Zeugung eines Kindes verzichten muß, häufiger allerdings diktieren Egoismus und Mutlosigkeit das Verhalten.

Wunschkinder wie Brötchen?

Was ist aber von der Einstellung der Abtreibungsbefürworter zu halten, die sich für so menschlich und selbstgerecht halten, daß sie meinen, man könne „Wunschkinder“ machen wie Brötchen und unerwünschte - „Zufallskinder“ beseitigen wie junge Kätzchen? Und da das Beseitigen dieser ungeborenen Kinder technisch und offenbar doch auch seelisch nicht so einfach ist, überläßt man das Dritten, „Fachleuten“, und sorgt als „Gesellschaft“ durch Schaffung entsprechender Gesetze dafür, daß daraus kein Gesetzeskonflikt wird.

Diese sogenannte moderne Gesellschaft ist alles andere als eine progressive Gesellschaft, sie ist gewaltig regressiv und reaktionär. Sie hat nicht den Mut, zu ihren Irrtümern, Fehlern, ja Untaten zu stehen. Oder was soll man davon halten, wenn sie aus der Tatsache, daß mindestens 26.000 Kinder in österreichischen Spitälern (gleiches gilt für andere Länder) ihr Leben, ihre Zukunft lassen mußten, eine Art Erfolgsmeldung macht. Tausende von Abtreibungen in einem Jahr in einem Land sind fürchtbar, aber, als Ausdruck menschlichen Versagens, wie wir wissen, leider nicht unmöglich.

Willkür statt Freiheit

Ich muß gestehen, ich habe den sogenannten Liberalen nie getraut, wenn sie Freiheit gepredigt und Willkür gemeint haben, wie ich Pharisäern nicht traue, wenn sie Gott und Herr sagen und nur sich meinen. Ich habe stets dem Sozialismus in allen seinen Prägungen mißtraut, wo er vorgab mit Hilfe des Klassen- und Rassenkampfes sozial zu sein, jedem Menschen in Not über die Gesellschaft beistehen zu wollen. Deshalb mißtraue ich auch dem Humanprogramm der Abtreibungsbefürworter, weil ihr Programm mit dem Tod Tausender unschuldiger Kinder verwirklicht werden soll.

Keine Gesellschaft, auch wenn sie sich für noch so „modern“ und „progressiv“ hält, wird es je erreichen, daß sich ihre Bürger blind und taub und stumm gegenüber so krassen Widersprüchen ihrer Programme und Taten verhalten. Das müßte im Jahrhundert der „Dissidenten“ allmählich klar geworden sein, in einem Jahrhundert der Ideologie-Enttäuschten und Heimkehrer zur Wahrheit

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