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„Typische” Täter gibt es nicht

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Die Frage, was mit Sexualstraftätern geschehen soll, stellte die furche in der Vorwoche zur Diskussion. Hier ein weiterer Standpunkt zum Thema.

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Die Frage, was mit Sexualstraftätern geschehen soll, stellte die furche in der Vorwoche zur Diskussion. Hier ein weiterer Standpunkt zum Thema.

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Seit den achtziger Jahren versuchen Selbsthilfegruppen und Expertenteams, vornehmlich im Ausland, das Interesse an Täterprävention zu wecken und die Arbeit mit Tätern als unverzichtbaren Bestandteil von Opferprävention darzustellen. In diesem Sinn ist die Initiative des Justizministeriums (nämlich ein Maßnahmepaket, um Rückfällen bei haftentlassenen Straftätern vorzubeugen, siehe Furche 14/97, Anm. d. Red.) zu begrüßen. Fragwürdig bleibt allerdings, ob die propagierte Zielvorstellung z\ir nachhaltigen Beendigung von sexueller Gewalt ausreicht.

Die Ursachen sexueller Gewalt liegen nicht allein beim Individuum, daher greifen die ambitionierten Vorschläge zu kurz. Die schrittweise Veränderung des Geschlechterverhältnisses ist Voraussetzung, daß Prävention nachhaltige Erfolge zeitigt. Die ungleiche Machtverteilung in der Familie ist nicht ohne die gesamtgesellschaftliche Unterdrückung der Frau zu verstehen. Die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, die der Frau die Reproduktionsarbeit zuweist, während der Vater eine symbolische Rolle spielt, gefährdet die Entwicklung der männlichen Geschlechtsidentität. Sexuelle Gewalt von Männern ist daher die übersteigerte Form eines allgemein bestehenden Zwanges zu kompensatorischer Bewältigung spezifisch männlicher Ängste und Unsicherheiten.

Im Strafvollzug verfestigen sich Persönlichkeitsstörungen. Für den Täter bedeutet soziale Ächtung und

Das 1989 von der katholischen und evangelischen Frauenbewegung gemeinsam gegründete Beratungszentrum TAMAR hilft sexuell mißbrauchten Frauen und Mädchen, und jenen, die Gewalt in irgendeiner Form - erlitten haben. „Von Kleinkindern angefangen bis hin zu 60jährigen kommen sie zu uns,” erzählt Psychotherapeutin Sonja Wohlatz, die auch in der Fortbildung von Großgruppen gegen sexuelle Gewalt tätig ist. Manche kommen erst Jahre später, nachdem sie „es” in Schweigegräber abgesenkt haben” (Wohlatz). Je tiefer das Schweigen, umso größer die Angst und Bedrohung. Nicht bei allen Opfern: Notwendigkeit und Dauer des Aufarbeitens ist bei jedem Menschen verschieden. „Sexueller Mißbrauch” ist ein Begri ff, der zum Stempel wurstrenge Bestrafung eine Verschärfung seiner Probleme und damit seiner sexuell abweichenden Symptomatik. Eine wesentliche Voraussetzung von Verhaltensänderungen ist die Motivation. Sie ist nur in einem entsprechenden Milieu unter Förderung der Selbstverantwortlichkeit erreichbar. Das Gefängnis als „totale Institution” schafft ein Klima totaler Überwachung, das kaum Selbstverantwortung entwickeln läßt.

Im Umgang mit Sexualstraftätern sind folgende Alternativen aus unserer Sicht praktikabel und zu forcieren: ■ Stationäre Therapie: Für einen Teil der Sexualstraftäter kommt nur eine stationäre Therapie in Frage. Hier zeigt der Weg, den die Niederlande gehen, eine konstruktivere Variante auf, als die üblichen Verwahrungsorte wie Strafvollzugsanstalten und Psychiatrie.

■ Ambulante Therapie: Für einen anderen Teil ist sie, vorausgesetzt, die Gefahren werden verantwortlich eingeschätzt, die geeignetste Form der professionellen Hilfe. Sie sind sogar mit gerichtlicher Weisung erfolg-

Erklärung zum FURCHE-Beitrag in der Nummer 14/3. April, Seile 3:

Der Psychiater an der Klinik für Neuro-psychiatrie des Kindes- und Jugendalters, Professor Max 11. Friedrich legt. Wert auf die Feststellung, Dr. Jörg Haider nicht persönlich zitiert zu haben, als er die Schwierigkeit ansprach, die „entsprechende Therapiefür Sexualtäter in einem Land durch-zubringen, wo Jörg Haider gleich den ,Pimmel' abschneiden will.” „Eine pesön-liche Injurie, jemandem ad personam die Kastration zu unterstellen ”, schreibt Professor Friedrich, „liegt mirfern. Der ideologische Hintergrund, den ich meinte, liegt in der Pendenz, man könnte manches drastisch und gewaltsam lösen ”

de, „irgendwie plakativ und erschreckend”, meint Wohlatz. Was genau geschehen ist, wird damit nicht deutlich. Das ist gut so, zum Schutz gegen die sabbernde „Öffentlichkeit”, die gerne von Mädchen liest, die in Holzkisten schliefen oder von ihren Vätern geschwängert wurden. Das ist schlecht so für die Leidenden, wenn sie niemanden finden, mit dem sie den Inhalt ihres inneren Grabes ans Licht bringen können.

Die Gruppentherapie' meint Wohlatz erhellt oft schon bei der ersten Sitzung manchen Schatten aus langer Zeit. „Durch die Verblüffung, wenn sie so unterschiedlich dasitzen, alle ganz normal aussehen und jede einzelne das Gefühl hat, mir sieht man ,das' an.”

Im Zentrum TAMAR wird nur in Notfällen therapiert, und wenn dann kurz, bis die Patientin an eine geeignete Therapeutin verwiesen werden kann. „Andernfalls wären wir im Handumdrehen voll,” sagt Wohlatz. Manche stolpern, wie fremdgesteuert in die Wexstraße im 20. Wiener Gemeindebezirk. Die Auslöser, warum Frauen Hilfe suchen, erzählt die reich durchführbar. Das von Schorch et.al. (Perversion als Straftat, 1985) geleitete Forschungsprojekt kam zum Ergebnis, „daß das Paradigma, Psychotherapie sei nur unter strikter Freiwilligkeit möglich, an der Realität der Patienten mit einer Perversionsproblematik vorbeigeht”. Die Studie zeigte, daß ein mehr oder minder starker Druck von außen, der die Patienten in die Therapie führte, Chancen bot. Allerdings ist die Unabhängigkeit der Therapeuten von den Institutionen sozialer Kontrolle, unter anderem Polizei, Justiz, Strafvollzug, eine Voraussetzung für das Gelingen therapeutischer Arbeit. Unter Unabhängigkeit ist vor allem die Trennung von gutachterlichen und therapeutischen Funktionen und die institutionelle Unabhängigkeit gemeint.

Den „typischen” Täter gibt es nicht. Sexuelle Gewalttäter sind in allen gesellschaftlichen Schichten anzutreffen. Nur auf rund zehn Prozent aller Sexualdelinquenten trifft das Kriterium der Schuldunfähigkeit und damit das Phänomen des triebgesteuerten Psychopathen zu.

Meist hängt sexuelle Deviation mit ungünstiger Lerngeschichte und Schwierigkeiten im Umgang mit Aggressionen zusammen. Sexuell abweichende Männer sind meist durch ein Elternhaus geprägt, das Sexualität als etwas „Schmutziges” ablehnt. Sexualität wird von diesen Männern tendenziell zur Abfuhr primär anderer Impulse mißbraucht und in diesem Kontext auch zu einem Füllstück für innere Leere.

Der Autor ist

Vorstandsmitglied und Sozialarbeiter in der Männerberatungsstelle Graz Mondscheingasse 4j1.

Therapeutin, seien ganz verschieden. Oft erleben sie ihren eigenen Hilfeschrei als etwas, mit dem „sie selbst nichts zu tun haben, sondern als Zwang. Er überfällt sie”. Die Erinnerung, die Folgen, das Zusammensetzen der Bruchstücke im Kopf wirkten wie ein Überfall. Darüber zu sprechen ist der einzige Weg sich davon zu befreien. In der Therapie, durch „das sprachliche Erfassen und die Erfahrung, daß Wörter etwas bedeuten. Es ist wichtig, geradezusitzen, zu sprechen und die Stärke bei sich zu halten”, sagt Therapeutin Wohlatz. Auch eine Anzeige kann helfen. Sie ist eine Chance zu sagen, „mir ist Unrecht geschehen”.

Gabriele Müller

Beratungszentrum TAMAR

Wexstraße 22j)ll7 1200 Wien, Tel:))40 4)7.

Für Andrea Tschulik, Mutter von fünf Buben zwischen vier und fünfzehn Jahren, war der Gang zur Polizei der einzige Weg, um dem Schock und der lähmenden Hilflosigkeit zu entkommen. Aber geglaubt wurde zunächst dem Täter, einem 15jährigen Burschen aus demselben Gemeindebau und Sohn eines Kriminalbeamten. Er hatte den siebenjährigen Jakob zweimal in seine Wohnung gelockt, ihm pornographische Filme vorgespielt und schließlich auch kör perlich mißbraucht.

Das Kind wurde schweigsam und depressiv. Bis es seinem inneren Druck nicht mehr standhielt und erzählte. „Das Schlimme war, daß wir immer viel über diese Gefahren geredet hatten,”erinnert sich Frau Tschulik. Die Zeitungen berichteten viel über Kindes-mißbfauch. Die; Frage, wie man sich als Kind wehren kann, wurde oft zu Hause besprochen.

Aber Jakob ist ein verspieltes Kind, der Nachbarbub bot ihm Knaller, die schön laut explodieren und die die Mama verboten hatte. Da konnte man dann auch in die Wohnung gehen, weil das darf man auch nicht. Wie soll ein Siebenjähriger wissen, daß er an dem, was in der Wohnung geschah, keine Schuld trägt? „Lange Zeit hatte ich selber das Gefühl, schuld zu sein,” erzählt die Mutter. „Und daß man sich, vor allem als Alleinstehende, wehren muß”. Sie wehrte sich, fand andere Kinder in der Wohnanlage, die zur Aussage bereit waren. „Aber ich mußte sehr viel investieren, bis es zu einer Verurteilung kam,” meint Tschulik, „das Interesse des Gerichtes war gering”.

Wehren konnte sie sich, nicht zuletzt durch die Beratung des Unabhängigen Kinderschutzzentrum Wien. So wurde das Kind - anstelle von der Polizei - vom renommierten Kinderpsychiater Max Friedrich vor laufendem Video, „darüber” befragt.

„So war es gut,” sagte Jakob später zur Mutter, „aber jetzt will ich nicht mehr darüber reden.” Das Video wurde schließlich bei der Gerichtsverhandlung benutzt. Die Verurteilung des Täters bedeutete viel für den kleinen Jakob. „Er war sehr beruhigt, daß die Wahrheit ans 1 icht gekommen ist und er sich nicht mehr schuldig fühlen muß”. Der Täter bekam drei Jahre bedingt. „Mit einem Be-währungshelfer, aber ohne psychologische Betreutung,” betont Tschulik, die heute in einem anderen Bezirk lebt.

G.M.

Unabhängiges Kinderschutzzentrum Wien,

Kandlgasse )7,1070, ”MS26J 820.

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