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Familienpädagogik

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Wenn nicht alle Zeichen trügen, wird die Erneuerung der Familie zu den beherrschenden Ereignissen der zweiten ' Hälfte unseres Jahrhunderts gehören. Auch die Politiker haben begriffen, daß der Kernpunkt der Erhaltung unserer Freiheit, der Bewahrung unserer abendländischen Kultur, der Behauptung gegenüber dem totalitären Osten in der glücklichen Familie liegt, ohne die eine glückliche Zukunft des Vaterlandes nicht denkbar ist.

Die neue Offensive des Lebens, in der Europa steht, weist zwei Schwerpunkte auf, die voll gegenseitiger Wechselbeziehungen und Abhängigkeiten sind: Familienpolitik soll die soziale De-klassierung der Familie beseitigen, Familienerziehung das Wissen, und Wollen um die wahren Lebenswerte wecken und fördern.

Es ist kein Zweifel, daß es eine wichtige Aufgabe der Sexualpädagogik ist, die Kinder nicht vor der Zeit und ohne Notwendigkeit mit geschlechtlichen Dingen zu belasten. Der Lebensraum sorgloser, unbeschwerter Kindheit ist ohnedies fühlbar kleiner geworden.

Eine verständige Mutter beginnt schon im Säuglingsalter mit der Schaffung entsprechender Spiel-, Schlaf- und Reinigungsgewohnheiten, um nicht durch einen allzu frühen und starken Trieb den späteren Pubertätsprozeß zu erschweren. Sie kleidet die Hauptschülerin nicht bereits wie eine Dame und bleibt stark gegenüber frühzeitigen Tanzbodenwünschen des Backfisches. Vor allem sind die Eltern gebeten, sich um Freizeit und Umwelt ihrer Halbwüchsigen wenigstens stichprobenartig zu kümmern. Nie dürfen Kinder aus Nachlässigkeit der Eltern heimliche Zeugen ehelichen Zusammenseins werden. Allerdings genügt die negative Methode der Fernhaltung schon lange nicht mehr.

Frühe Bewährung wird verlangt. Diese erfordert ein Wissen um Weg und Ziel. Die Geschlechtskraft ist wohl mit dem Schutzmantel der Schamhaftigkeit umgeben, aber in keiner Weise etwas, dessen man sich schämen müßte. Die Tatsachen des werdenden Lebens sind durchaus schön und sinnvoll. Wenn sie dem Kind zur rechten Zeit vom richtigen Menschen in behutsamer Weise mitgeteilt werden, nimmt sie das Kind als gegebene Selbstverständlichkeiten hin. Dieses Klarmachen ist allein schon ein erster Schutz gegen jene schmutzigen Verzerrungen, die fast unabwendbar eines Tages von der Straße eindringen. Leider sind sich die wenigsten Eltern bewußt, daß sie die ersten und

berufensten Lehrmeister ihrer Kinder über diese wichtigen Lebensfragen sein sollten, ja zumeist finden sie nicht die richtigen Worte und empfinden alles ungeheuer peinlich. Oft ist auch die eigene Unzulänglichkeit am Versagen schuld. Denn das Reden über die Dinge verpflichtet dazu, selber das gute Beispiel zu geben, was man nicht kann oder will.

Eine westdeutsche Untersuchung hat festgestellt, daß 90 Prozent aller Kinder ihre Aufklärung von der Gasse beziehen, 5 Prozent erhalten sie von den Eltern, 4 Prozent von Lehrern und Erziehern und 1 Prozent von Priestern. Die eigenen vielfältigen Erfahrungen lassen diese Ergebnisse noch sehr optimistisch erscheinen.

Wahre Aufklärung wird zugleich eine Verklärung in dem Sinne bedeuten, daß sie die tieferen Zusammenhänge aufzeigt und das Sexuelle in den gesamtmenschlichen Rahmen stellt.

Richtiges Wissen muß mit der Schärfung des Gewissens Hand in Hand gehen Der Wille zur Verantwortung und Bewährung muß geweckt und mit allen Mitteln gestärkt werden. Es gilt bei unserer Jugend zwei großen Irrtümern entgegenzutreten: der Ehrfurchtslosigkeit vor den Wundern des Werdens und der bedenkenlosen Vorwegnahme des Geschlechtslebens in der frühen Jugend.

Unsere Kinder sollen gewollte und ersehnte Kinder sein. Das ist die schönste Mitgift, die ihnen von uns in die Wiege gelegt werden kann. Dies ist auch das beste Geschenk der Ehegatten für einander, denn unter diesem Gesichtspunkt kann sich die Ehe gerade in den ersten und jungen Jahren völlig natürlich entfalten und damit den Gatten allen Reichtum des Gefühls erschließen So wird die Zeit der Schwangerschaft zum seligen Advent der Erwartung auf das kommende Kleine, die Geburt das Hochfest ehelicher Liebe, das Kind lebendiges Denkmal tiefster Zuneigung.

Das Recht des Menschen, die Zahl seiner Kinder festzusetzen, wird allgemein anerkannt. Es gibt eine Geburtenbeschränkung aus dem Beweggrund der Verantwortung und sie kann sittlich einwandfrei auch für den im Gewissen religiös Gebundenen durchgeführt werden. Bereits werdendes Leben zu vernichten ist jedoch ein untaugliches und gefährliches Mittel dafür. F.s ist heute längst eine ärztlich gesicherte Tatsache, daß die medizinische Indikation in den seltensten Fällen nötig ist. Dagegen wird fest-

gestellt, daß auch der kunstgerechte Eingriff mit einem zehnmal größeren Todes- und Krankheitsrisiko belastet ist als die normale Geburt. Unfruchtbarkeit und langwierige Leiden können die Folge sein, in vielen Fällen ergeben sich

schwere seelische Störungen. Vier Fünftel aller Frauen bereuen den Eingriff später einmal. Der Satz ist berechtigt: Die Frauen leiden nicht an den Kindern, die sie geboren, sondern an denen, die sie nicht geboren haben.

Was hindert uns, diese Erkenntnisse mit Macht in die Oeffentlichkeit zu tragen, in ihrer Verbreitung eine wichtige Aufgabe der Volksbildung zu sehen?

Die bedenkenlose Vorwegnahme des geschlechtlichen Lebens in der Jugend hat ein gerüttelt Maß Schuld ari den unglücklichen'Ehen. Es gab immer Schwächen des Sichvergessens und es wird sie wohl immer geben. Heute werden jedoch intime Beziehungen nicht nur von 20; sondern auch von 15- und 14jährigen als selbstverständliches Recht angesehen.

Hier fällt der Erziehung eine große Aufgabe zu. Sie muß eindeutig die immer wieder kolportierte Ansicht als falsch entlarven, als ob Enthaltsamkeit gesundheitsschädlich sei. Dagegen ist es Tatsache, daß die uneingeschränkte Triebbefriedigung die Gestaltung der Persönlichkeit beeinträchtigt und anderen Reifekräften Abbruch tut. Die Ausweitung vn Lebensbeobachtungen und schriftlichem Material Wiener Mädchen erbrachte folgende Ergebnisse: Der Pro-

zentsatz der kulturellen Interessen bei den Mädchen war entweder minimal oder beträchtlich, je nachdem sie in der Pubertät oder bald nachher zu sexuellen Beziehungen gekommen waren oder nicht.

Allgemeine Charaktereigenschaften sind für die Führung einer glücklichen Ehe ebenso bedeutungsvoll wie die geschlechtlichen. Mit Recht sprechen immer mehr von einer Familienpädagogik.

Dankbar darf man feststellen, daß auch Kreise, die es früher nicht wahrhaben wollten, heute die Notwendigkeit der Erziehung zum freiwilligen Verzicht erkannt haben. Es gibt gar keinen schöneren Beweis echter Liebe, als für den \anderen — Gatten und Kinder — Opfer zu bringen.

Ein Kardinalfehler moderner Erziehung ist die „Affenliebe“. Dem oft einzigen Kind wird alles gewährt, es fühlt sich als Herr der Welt und

wird einmal ein unsozialer Mensch und schlechter Ehepartner werden. Ungeheuer wichtig ist in diesem Zusammenhang die Goldregel der Mäßigkeit. Was Alkohol und Nikotin in vielfältiger Weise der Familie schaden, ist allgemein bekannt. Darum früh Grenzen setzen!

„Mütter und Väter müssen wieder lernen, nein sagen zu können, denn in nichts offenbart sich die wahre, die sehende Liebe stärker als in dem Nein an der rechten Stelle, in dem Nein, das die Zukunft im Auge hat und sie sichern will. Versagen ist ebenso wichtig wie gewähren.“ (Oeser.)

Zentrale Bedeutung hat die Erziehung zur Gemeinschaft der.Liebe. Nichts ist für Kinder fürchterlicher als der häufige Streit ' zwischen den Eltern. Der Heranwachsende leidet darunter und sieht sein Vertrauen in das Gut-

sein der Eltern enttäuscht. Er wird leicht zum Zyniker, dem nichts heilig ist. Meist nehmen es einander feindselige Eltern auch mit der ehelichen Treue nicht genau. Das Kind erlebt, daß Recht und Gesetz in der Familie mit Füßen getreten werden. Dieses Leben erzieht von selbst zur Mißachtung jedes Gesetzes. Drei von fünf jugendlichen Verbrechern kommen aus Ehen, in denen immer gestritten würde. Sieben von zehn Kriminellen hatten kein richtiges Familienleben.

Vergessen wir nicht die Erziehung zur richtigen Lebensfrage. Was kann ich leisten? Wem kann ich Gutes tun? Wozu bin ich eigentlich auf dieser Welt?

In diesem Zusammenhang bekommt die Religion größte Bedeutung, so sie innerlich erkannter, gelebter Glaube ist. Sie beantwortet klar und eindeutig die großen Fragen des Lebens. Diese Weisheit gibt auch der Familie stärkste Impulse.

Was könnte getan werden, um die geistige Erneuerung der Familie voranzutreiben?

Die Schulung der Erzieher durch familienpädagogische Kongresse und Tagungen ist vordringlich. Die Schulung der Eltern folgt ihr auf dem Fuße, und hier können unsere Schulen über Elternvereine, Elterngemeinschaften und Elternversammlungen sicher vieles tun.

F. h e s e m i n a r e, in denen an verschiedenen Abenden Arzt und Priester, Jurist und Fürsorger, Sozialpolitiker und Innenarchitekt, Mütter und Väter sprechen, sind äußerst wertvoll. Mit Erfolg versuchen hier kirchliche Kreise seit Jahren vorwärtszukommen. Diese Bestrebungen sollten allgemein intensiviert und verbreitert werden.

Gute Schriften und Bücher über dieses Thema können klären und vertiefen. Rundfunk. Presse und Film können, wenn sie nur wollen, die öffentliche Meinung langsam, aber sicher von ihrer Familienfeindlichkeit erlösen.

Keine moralischen Vorlesungen, aber die Familie zeigen in ihrem Alltag, ihren Sorgen und Freuden, in ihrer selbstverständlichen Natürlichkeit. Gute Eheberatungen erfüllen sicher eine notwendige Funktion. Das wichtigste bleibt: lebendiges, eigenes Beispiel. Die Familie — heilte freilich noch von wirtschaftlichen Nöten überschattet, die eine Hauptquelle menschlicher Schwierigkeiten sind — muß in immer steigendem Maße in die Lage versetzt werden, ein frohes Beispiel natürlichen Glückes geben zu können.

Oeffnen wir der Jugend die Augen für das herrliche Ziel einer guten Familie, machen wir ihre Herzen weit, den Willen stark und ihren Sinn opferbereit. Es lohnt sich. Das persönliche Glück, der Haupttreffer des Lebens und die Zukunft des Volkes ist jeder Anstrengung wert.

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