Eine Frau im Job ist keine Rabenmutter

Werbung
Werbung
Werbung

Familie und Kinder sind Ziele des Lebens. In der Wirklichkeit scheitert das oft an Möglichkeiten und Vorurteilen. Die Gesellschaft soll nicht Lebensformen beurteilen, sondern Hilfe anbieten, die vielfältig ist wie das Leben.

Familie und Sicherheit sind die wichtigsten Themen für die Österreicherinnen und Österreicher. Das ist ein Ergebnis der Integral-Meinungsumfrage im Oktober 2009. Große Ängste lassen die Menschen wieder auf ihre „kleinen Lebenswelten“ – wie der Wiener Pastoraltheologe Prof. Dr. Paul M. Zulehner es beschreibt – besinnen. Ein gutes Familienleben ist Ziel und Sehnsucht in der Lebensplanung junger Erwachsener, Familie und Freundschaft sind zentrale Lebensfelder, wie die Studie „Die Österreicher/-innen, Wertewandel 1999–2008“ zeigt.

Die Realität sieht ganz anders aus. Die durchschnittliche Kinderzahl liegt bei 1,4 Kindern, viele junge Menschen haben große Unsicherheit, eine Beziehung auf Dauer einzugehen. Manche sehen an der Elterngeneration, dass es gar nicht so einfach ist, Familie, Kinder und Berufstätigkeit unter einen Hut zu bringen. Junge Frauen haben mit Ausbildung und Jobsuche so viel zu tun, dass nicht wirklich Kraft und Mut bleiben, sich mit dem Thema Familie auseinanderzusetzen. Junge Männer „fürchten“, dass sie in Haushalt und Alltagsversorgung eingebunden werden. Auch hier ist die Entscheidung zu Familie und Kindern ambivalent. Die Differenz zwischen Sehnsucht und Lebenswirklichkeit lässt manchmal den Entschluss zum Kind hinauszögern. Trotz aller rationalen Hindernisse ist der Wunsch nach Kindern, Beziehung, Zuhause tief in den Herzen, wenn auch nicht immer in den Köpfen verankert. Vernunftgründe scheinen dagegen zu sprechen, doch die Sehnsucht nach Familie und Elternschaft sind für viele Junge und junge Erwachsene deutlich spürbar.

Familienfreundliche Arbeitsplätze

Damit diese zumindest von den äußeren Gegebenheiten her erfüllt werden können, muss eine ausreichende finanzielle Absicherung der jungen Familien gegeben sein. Da verantwortliche Familien mit der Erziehungsarbeit dem Gemeinwohl einen unendlichen Dienst erweisen, ist es Aufgabe der Gemeinschaft, diese Arbeit anzuerkennen und aufzuwerten.

Elternorientierte Personalpolitik ist ein weites Feld, auf dem es noch viel zu bearbeiten gibt. Ein familienfreundlicher Arbeitsplatz ist noch lange keine Selbstverständlichkeit in den Betrieben. Gesetzliche Grundlagen können für Firmen Anreiz dazu sein z. B. familienorientierte Gleitzeiten oder Väterkarenz anzubieten.

Menschen gestalten heute in sehr unterschiedlicher Lebensweise ihren Alltag, dies gilt auch für Familien. Es kann nicht mehr ein gültiges Muster auf alle angewendet werden. Früher galten Mütter, die berufstätig waren und ihr Kind frühzeitig in Fremdbetreuung gaben, als Rabenmütter. Väter, die wegen ihrer Berufstätigkeit wenig Zeit mit ihren Kindern bzw. Familien verbrachten, waren schnell als Rabenväter abgestempelt. Andere hingegen, die sich Karenz und Kinderbetreuung teilten, werden schnell als „Weicheier“ abgestempelt. Mütter, die keine Berufstätigkeit ausüben, sind ja meist abwertend „Nur-Hausfrauen“. Der Schluss aus diesem Bezeichnungs-Chaos: Wie man’s macht, ist es falsch.

Vorurteilsfreie Wahlfreiheit

Ein anderer Schluss bietet sich an: Jede Familie muss die ihr eigene Organisationsform finden und leben, ohne dass das Umfeld und die Gesellschaft dazu Bewertungen abgeben. Arbeitswelt und Privates greifen heute mehr ineinander als früher, und jeder Beruf bietet oder verhindert Möglichkeiten, alle Bedürfnisse der Familienmitglieder aufeinander abzustimmen. Was für die eine Familie zur Belastung werden kann, ist für eine andere wieder eine gute Lebensvariante.

Doch trotz aller Kunst der Eltern, Kinder gut und sicher zu versorgen, muss der Staat subsidiär einspringen und unterstützen. Wenn in einem ausreichenden Maß Kinderbetreuungsplätze zur Verfügung stehen, dann kann jede Familie überlegen, welche Betreuung in ihrer Situation die beste sei: Wo wird unser Kind adäquat gefördert, wo sind die Öffnungszeiten der Betreuungsstätte unserer Situation angemessen, wo wird eine uns entsprechende Pädagogik gelebt? Wo finde ich Tagesmütter, die mein Kind bestens betreuen? Wie organisiere ich, dass eine (Leih-)Oma zu uns kommt? Wie komme ich zu einem Kindergartenplatz, der etwa einen musischen Schwerpunkt hat? An welcher Schule ist für mein Kind ein adäquater Platz in einer Nachmittagsbetreuung?

Immer mehr Einzelkinder sind zudem auf die Sozialisation in Betreuungseinrichtungen und Kindergruppen angewiesen. Wo sonst sollen sie den Umgang mit Gleichaltrigen lernen? Das gemeinschaftliche Spiel in Peergroups ist heute in zunehmendem Maß wichtiger als früher, da es weniger Geschwistersituationen gibt. Immer nur Erwachsene als Spielpartner zu haben, verschiebt die Perspektive und übt kein Miteinander Gleichrangiger ein. Wie viele von uns Erwachsenen haben nicht schon beim Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel mit Kindern ganz „unabsichtlich“ verloren??? 95 Prozent aller deutschsprachigen Kinder in Wien besuchen im letzten Kindergartenjahr eine außerfamiliäre Betreuung. Die Wichtigkeit des Aufwachsens in der Gemeinschaft Gleichaltriger wird in hohem Maß erkannt.

Wenn aber die Erziehung von Kindern eine so große Rolle spielt, müssen dann nicht auch die Rahmenbedingungen verbessert werden? KindergartenpädagogInnen sind meines Erachtens im vergangenen Dezember zu Recht auf die Straße gegangen, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen. Bessere Ausbildung und bessere Bezahlung, bessere räumliche Situation der Kindergruppen, kleinere Gruppengrößen usw. sind nur die logische Folgerung dieser Überlegungen. Um gesellschaftlich deutlich zu machen, wie wichtig Erziehung und Prägung in dieser Zeit sind und um jungen Männern diese Berufe attraktiv zu machen, braucht es eine angemessene Bezahlung und Aufstiegs- sowie Weiterbildungsmöglichkeiten.

Selbstbestimmung führt zum Ja

Wenn Überlegungen für ein Kind die Chance beinhalten, in Freiheit über die Organisation des Tagesablaufes selbst bestimmen zu können, ist ein Ja zum Kind leichter zu geben, als wenn gesellschaftlich vorgeschrieben zu sein scheint, wie Familie abzulaufen hat. Jede zusätzliche Person, die kompetent und liebevoll in Kontakt zum Kind tritt, ist eine Bereicherung. Trotzdem bleiben die Eltern die primäre Erzieher, die verantwortlich und für sich und für ihr Kind ganz individuell den richtigen Weg suchen und finden müssen. Freiheit ist immer schwieriger, als vorgezeichnete Wege zu gehen.

Sogar wenn Vater und Mutter sich trennen, bleiben sie Eltern und verantwortlich für ihr Kind. Wie immer die Aufteilung der Betreuungsform auch sein mag, erfolgt sie gerecht, haben alle etwas davon. Kinder „verlieren“ keinen Elternteil und die Beziehung zum Kind bleibt für Vater und Mutter bestehen. Die Sehnsucht nach Gemeinschaft und Zuwendung ist zumindest in der Elternkind-Beziehung gewahrt. Die Kinder stehen im Mittelpunkt, auch wenn für die auseinandergehende Beziehung andere Themen wichtiger zu sein scheinen. Welch ungeheure Stärke notwendig ist, in dieser Situation die eigene Not hintanzustellen und trotzdem die Bedürfnisse des Kindes wahrzunehmen, ist wahrscheinlich nur von dem nachvollziehbar, der in dieser Situation war.

Damit eine so schwere Lebenssituation durchgestanden werden kann, braucht es wieder die Unterstützung vieler Außenstehender. Krisenintervention auf Kosten der Allgemeinheit ist angesagt. Wo immer die Familie selbst mit ihren primären Aufgaben nicht mehr alleine zurechtkommt, ist die Gemeinschaft aufgerufen, zu unterstützen und auszugleichen. Das aber alles nicht, weil die Familie zu schwach ist, sondern weil der Wert ein so ungeheuer großer für die ganze Gesellschaft ist, dass jede Hilfe sich tausendmal bezahlt macht. Familie ist und bleibt das Lernfeld für Solidarität und Konfliktlösung.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung