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Leitbilder für Mann und Frau

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Vor einiger Zeit nahm ich an einem Symposium teil, das sich mit Fragen unserer zukünftigen Lebensgestaltung auseinandergesetzt hat. Viele interessante Vorträge wurden gehalten, sogar von Nobelpreisträgern. Sie erweckten Interesse, regten zum Nachdenken an.

Wirklich bewegt aber wurden die Gemüter vor allem durch eine Wortmeldung. Sie fiel aus dem Rahmen: Frau Kelly, Spitzenkandidatin der „Grünen" in der Bundesrepublik Deutschland hielt ein vehementes Plädoyer gegen die Diskriminierung und Tür die Emanzipation der Frau.

Hier fühlte sich plötzlich jeder ganz persönlich betroffen, angeklagt oder gerechtfertigt, mißverstanden oder endlich richtig interpretiert. Ja, wenn es um die Rolle von Mann und Frau geht, erhitzen sich die Gemüter, weil jeder in seinem eigenen Selbstverständnis herausgefordert ist. Deswegen ist auch die politische Brisanz dieses Themas verständlich.

Um sich mit dieser Frage auseinanderzusetzen, muß man zunächst die Frage stellen, welche Aufgabe dem Rollenbild ganz allgemein zukommt.

Zweifellos ist eine seiner wichtigsten Aufgaben darin zu sehen, einen allgemein gehaltenen Entwurf für die Gestaltung eines erfüllten Lebens zu liefern. Es gilt ein Leitbild zu entwerfen, an dem der einzelne sich ausrichten kann, das ihm als Orientierungshilfe in seinem Leben dient, von dessen Realisierung er sich ein möglichst glückliches Leben erwarten kann. Es geht also um ein erfülltes Leben: Was macht unser Leben eigentlich lebenswert? Was ist wichtig für uns, was gut, was böse?

Seien wir ehrlich, auf diese Art von Fragen sind die Antworten heute im allgemeinen eher mager. Wir haben uns angewöhnt, uns um die Sinnfragen unserer Existenz herumzudrücken. Erst langsam wird uns bewußt, daß wir viele Jahre, ja Jahrzehnte hindurch in einem Trott dahin gelebt haben, ohne uns ernsthaft zu fragen, wohin das ganze Getriebe führen soll.

Männer tun sich noch, relativ leicht: Sie erleben eine gewisse Sinnerfüllung in ihrer beruflichen Tätigkeit und sei es nur dadurch, daß sie für ihre Arbeit in regelmäßigen Zeitabständen entlohnt werden. Sie neigen dazu, ihren Lebenssinn in der Berufstätigkeit zu sehen. Daß Arbeit nicht letzter Lebensinhalt sein kann, merken sie sehr oft erst, wenn sie pensioniert werden. Vieles wird da fraglich.

Frauen haben es bezüglich ihres Tätigkeitsbereichs viel schwerer, ein positives Selbstverständnis zu entwickeln. Die Sorge um Haushalt und Kinder ist heute gesellschaftlich total abgewertet.

Hausfrauen und Mütter ernten kaum Anerkennung, auf keinen Fall von Seiten der Gesellschaft, von Seiten der Verwandtschaft. Ja selbst der eigene Mann ist sich meist des Stellenwerts der Leistung seiner Frau nicht bewußt. Verständlich ist daher der Drang selbst von Müttern kleiner, betreuungsbedürftiger Kinder, außerhäuslich berufstätig zu werden.

Die Benachteiligung der Frau durch unsere heutige Lebensweise kommt noch in einer anderen Form zum Ausdruck: In großen Wohnblocks und in Stadtzentren mit viel Straßenverkehr und wenig Erholungsflächen bekommt der Mensch nur sehr schwer Kontakt zu seiner Nachbarschaft. Junge Mütter klagen daher regelmäßig über Einsamkeit und mangelnde Möglichkeiten, sich auszusprechen. Das Kleinkind ist einfach kein Gesprächspartner, es fordert dauernd Pflege, Aufmerksamkeit, Geduld.

Zweifellos bietet der Umgang mit dem Kleinkind eine Fülle von schönen und freudvollen Erlebnissen, aber der Bedarf der Mutter nach intellektuellem Austausch kann vom Kind nicht befriedigt werden. Einem Hobby oder dem Fernsehen verfallene Männer ebenso wie solche, die von der Arbeit total erschöpft heimkehren sind dann auch sehr häufig keine Gesprächspartner. Was ist da naheliegender als zu versuchen aus dieser Isolation auszubrechen und sich in einer beruflichen Tätigkeit zumindest 8 Stunden lang im Meinungsaustausch mit Erwachsenen zu befinden?

Schließlich sei noch - neben vielen nicht erwähnten Problemen - ein Grund angeführt, der den Mann im Bewußtsein der Allgemeinheit bevorzugt: der Umstand nämlich, daß in der Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau er das Geld verdient. Wieviele Männer kehren doch gerade diese Tatsache gegenüber ihren Frauen besonders hervor!

Da wir ja auch als Gesellschaft zunehmend auf materielle Werte ausgerichtet sind, entsteht sehr leicht der Fehlschluß, daß der alleinverdienende Mann die einzig bedeutenden Werte in die Familie einbringt.

Solange die Lebensweise unserer Gesellschaft überwiegend durch den bäuerlichen und handwerklichen Lebensstil geprägt war (ein Zustand, der noch voriges Jahrhundert in Europa weitgehend dominant war), gab es überhaupt keine Frage, daß die Frauen voll an der Erstellung des Lebensunterhaltes der Familie mitzuwirken hatten. Durch die räumliche Verbindung von Arbeits- und Wohnstätte gerieten die Aufgaben der Kinderaufzucht und der Mitwirkung am Arbeitsprozeß durchaus nicht in Konflikt.

Mit dem Auseinanderfallen von Lebens- und Produktionsbereich sind wir aber in die Situation der eher strengen geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung geraten: Der Mann wird für den ständig an Bedeutung gewinnenden Bereich der gesellschaftlich organisierten Produktion und Dienstleistung zuständig gemacht, die Frau für den ständig an Bedeutung verlierenden Bereich der Familie. Das scheinbar Wichtige macht der Mann, das scheinbar Unbedeutende die Frau.

Dies wird von sehr vielen als ungerecht empfunden. Der vordergründig naheliegende Ausweg: Die Emanzipation der Frau soll ihr nicht nur alle

Möglichkeiten des Mannes eröffnen. Frauen werden vielmehr dazu gedrängt, von diesem Angebot auch möglichst umfassend Gebrauch zu machen. Emanzipation der Frau als Beseitigung jeglicher Form geschlechtsspezifischer Aufgabenteilung, als möglichst totale Erfassung der Frau im Bereich organisierter Leistungserbringung.

Gleiches Recht für alle ist die Parole. Man müßte aber ergänzen, gleiches Recht für alle, die gleichartig sind! Wo aber Verschiedenartigkeit gegeben ist, tut man mit gleichartiger Behandlung Unrecht.

Wir neigen heute leider nur allzu sehr dazu, alle Unterschiede - wo immer sie sich zwischen Menschen ergeben - einzuebnen. Dies trifft ja nicht nur für die Unterschiede zwischen Mann und Frau zu. Deutlich wird unsere Unbeholfenheit etwa im Umgang mit dem alten Menschen: Das wohlklingende Wort „Senioren" soll den alten Menschen offensichtlich über seine „bedauernswerte Situation" alt, und damit anders als die Norm zu sein, hinwegtrösten. Als „unproduktives" Mitglied der Gesellschaft muß der Senior nun auf Leistungen in Hobbies ausgerichtet werden! Alles andere wäre doch ungerecht!

Sollten wir nicht wieder den Wert der menschlichen Vielfalt entdecken? Wir leben nämlich nicht als Durchschnittsmenschen, die bestimmte gesellschaftliche Funktionen und Erwartungen zu erfüllen haben. Wir leben als Kind, als Erwachsener, als alter Mensch, als Bauer, als Beamter, als Tiroler oder Burgenländer, als Mann, als Frau.

Natürlich haben wir vieles gemeinsam und in vieler Hinsicht sind wir alle gleich zu behandeln. In vieler Hinsicht sind wir aber auch besonders, nicht gleichzuschalten, ohne daß unserer Persönlichkeit Gewalt angetan wird. Unser Ziel muß es sein, jedem von uns den gleichen menschlichen Wert zuzugestehen.

Es geht also um die Gleichwertigkeit aller Menschen. Der Weg dorthin führt aber nicht über die Gleichschaltung. Unsere Aufgabe ist vielmehr mit der menschlichen Vielfalt zurechtzukommen und sie zu nutzen. Und das gilt vor allem auch für die Rollen von Mann und Frau.

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