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Widerspruch und Bequemlichkeit

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Darf man überhaupt allgemeine Aussagen über „die heutige Jugend“ machen? Sind solche Verallgemeinerungen nicht sehr gewagt? Wer sich in seinem Bekanntenkreis umsieht, erkennt ja, wie unterschiedlich gerade junge Menschen sind.

Dennoch lassen sich — neben all der Vielfalt, die nicht wegzuleugnen ist — gemeinsame Grundaspekte erkennen. Sie waren Gegenstand einer Reihe kürzlich erschienener Arbeiten. Das Institut für Kirchliche Sozialforschung

etwa veröffentlichte eine Untersuchung über die religiöse Einstellung der Jugend. Sie war für mich der Anlaß, mich eingehender mit dem Thema zu befassen.

Wie steht es also um den Glauben der Jugend? Zunächst die Äußerlichkeiten: Rund 30 % der 15- bis 24-jährigen Katholiken besuchen jeden Sonn- und Feiertag den Gottesdienst, jedoch nur 5 % der jungen Protestanten. Wie erwartet, liegt der Anteil der Gottesdienstbesucher im ländlichen Raum besonders hoch.

Der Gottesdienstbesuch steht erwartungsgemäß mit dem Gebetsleben in Beziehung. Allerdings beten nur 20 % der Befragten häufig, 31 % jedoch nie. Beide Formen der Glaubenspraxis nehmen mit dem Alter und steigender Bildung ab. Auffallend ist der Umstand, daß die Jugendlichen bei der Beantwortung der Frage nach dem Sinn ihres Lebens von der Kirche keine angemessenen Antworten zu bekommen scheinen. Selbst unter den jungen Kirchenbesuchem stimmen der Aussage: „Die Kirche hilft mir, daß ich weiß, wozu ich eigentlich lebe“, nur 8 % voll und 33 % abgeschwächt zu. Spätestens hier drängt sich die Frage auf, wię>sehr die relativ hohen Werte beim Gottesdienstbesuch nicht nur Reflex eines eher oberflächlichen Kinderglaubens sind.

Ein Vergleich mit Daten aus 1976 läßt allerdings einen gewissen Anstieg des jugendlichen Interesses für Glaubensfragen erkennen. Bei näherem Hinsehen entpuppt sich diese Veränderung jedoch nicht so sehr als Intensivierung des Glaubenslebens. Vielmehr kommt darin ein stärkeres, allerdings recht vages Interesse an Sinn- und Glaubensfragen zum Ausdruck.

Eine abnehmende Polarisierung in Glaubensfragen zwischen Bekennen und starker Ablehnung diagnostiziert Ernst Gehmacher. „Die Vorkriegsgeneration zeigt noch das Bild des Konfliktes und Kontrasts zwischen Glaubep und Unglauben. Bei den Jüngeren überwiegt das unscharfe Bekenntnis zu einem höheren Prinzip oder Wesen, ohne Einbindung in ein religiöses Leben“, stellt er beim Vergleich der Einstellung zu Glaubensfragen zwischen älteren und jüngeren Leuten fest.

Dieses Verschwimmen von

Konturen ist eine wichtige Erscheinung, die Gehmacher in seinem kürzlich erschienenen Buch unter vielen anderen Phänomenen herausarbeitet. Vor allem fällt auf, daß die Grenzen zwischen Jugend und Erwachsenenalter fließend werden. Kinder und Jugendliche verbringen mindestens ebensoviele Stunden in der Schule und beim Lernen wie die Eltern im Beruf, entscheiden als Schülervertreter über ihren Lebensbereich mit, hören dieselben Nachrichten, lesen dieselben Zeitungen wie die Erwachsenen, rauchen, trinken Alkohol und haben sexuelle Erfahrungen.

Gerade, was die Einstellung zur Sexualität anbelangt, ist es ja zu ganz großen Veränderungen gekommen. Bei einer Befragung von Schülern der achten Klasse AHS, stellte das Innsbrucker Institut für Erziehungswissenschaft Mitte der siebziger Jahre fest, daß 50 % der Befragten sexuelle Erfahrungen hatten. Eine 1980 in der Steiermark durchgeführte Befragung zeigt noch höhere Werte: 84 % der jungen Frauen und 66 % der jungen Männer gaben an, ihre ersten

sexuellen Erfahrungen mit 18 oder früher gemacht zu haben.

Hier zeigen sich deutliche Unterschiede zu den Erfahrungen und zur Einstellung der Erwachsenengeneration. Diese scheint, sich aber — wie ebenfalls die steirische Befragung zeigt — mit den tatsächlich bestehenden Zuständen abzufinden. „Die Tendenz geht deutlich dahin, den Jugend-, liehen etwa ab dem sechzehnten Lebensjahr das Recht auf sexuelle Aktivität einzuräumen“, hält Gehmacher fest, der in der sexuellen Liberalisierung einen unaufhaltsamen Fortschritt erblickt. Er tut dies vor allem auch mit dem Hinweis, daß es ja trotz größerer Freizügigkeit keine negative Einstellung zur Ehe festzustellen sei: Mehr als 2/3 der Befragten befürworten eine Ehe mit gegenseitig treuen Partnern. Für Partnerwechsel sprechen sich weniger als 10 % aus. Grundsätzlich will man also heiraten, ist sich aber nicht recht sicher, ob es der Weg zum Glückist: Mit derselben 2/3-Mehr- heit meinen nämlich die jungen Leute, daß Verheiratung für wirkliches Glück nicht wichtig wäre.

Auch die seit 1964 um 25 % gesunkenen Heiratsquoten deuten darauf hin, daß immer weniger junge Leute den Weg zum Standesamt gehen. Dieselbe Diskrepanz zwischen Zielvorstellung und Realisation, wie sie bezüglich der Ehe deutlich wird, kommt auch in der politischen Einstellung der Jugend zum Ausdruck. Sie ist durch eine ausgeprägte Protesthaltung gegenüber Staat und Institutionen gekennzeichnet. Skepsis gegenüber der Politik und ihren Vertretern überwiegt: ,Jn der Politik geht es korrupt zu“, „Es geht viel mehr um Partei- als um Allgemeininteressen“: jeweils 82% Bejahung.

Besonders hoch schätzenrjunge Leute Werte wie Humanität und Achtung der Würde jedes Menschen. Das Verantwortungsgefühl für die Gemeinschaft ist aber eher gering: Auf politische Entscheidungen Einfluß nehmen wollen nur 12 %, ein Leben nach eigenen Vorstellungen gestalten jedoch 56 %. Erich Brunmayr kommentiert diese Haltung im Jugendbericht folgendermaßen: „Diese überragende Wertigkeit

von Humanität und Recht auf Selbstentfaltung stellt einerseits ein fundamentales Potential für ideell-soziales Engagement für Menschenrechte und Menschenwürde dar, kann aber anderseits auch passiv-egoistische Lebensformen begründen…“

Und beides wird tatsächlich nebeneinander beobachtet: 80% der Jugendlichen sind für Entwicklungshilfe, sobald sie aber vor die konkrete Alternative gestellt werden, selbst 100 Schilling zu spenden oder im Gasthaus auszugeben, entscheiden sich 65 % für den Gasthausbesuch. Ähnliches gilt für den Umweltschutz: Grundsätzliche Bejahung steht der Bevorzugung einer Elektrooder 01- statt einer Kohleheizung gegenüber, wenn man für die eigene Wohnung zu entscheiden hat.

Auch zu den materiellen Gütern scheint die Jugend eine Zwiespältige Einstellung zu haben: So ist für sie bei der Berufswahl weniger das Geld (24 %) als die gute Beziehung zu Kollegen (76 %) und die interessante Tätigkeit (86 %) maßgebend. Dieser scheinbaren Vernachlässigung des Materiellen steht aber der Wunsch nach hohem Lebensstandard gegenüber: 55 % werden kaum auf eigenes Haus mit Garten, 35 % auf Eigentumswohnung, 65 % auf eigenes Auto verzichten.

„Es scheint so zu sein, daß die gegenwärtige Jugendgeneration in einem Verhältnis der Selbstverständlichkeit zu den materiellen Gütern steht… (Sie) will nicht weniger besitzen als ihre Eltern doch geht von diesem materiellen Besitz ein deutlich geringerer Gratifikationswert aus.“

Die Zwiespältigkeit, die bei all diesen Fragen zum Ausdruck kommt, war für mich die wichtigste Entdeckung bei der Durchsicht dieser Untersuchungen. Sie kennzeichnet ja nicht nur die Situation der Jugend in unserer Zeit, kommt aber bei den jungen Menschen besonders stark zum Ausdruck.

Sie haben in vieler Hinsicht das Fassadenhafte, Übertriebene, Falsche, Unbefriedigende unserer derzeitigen Art zu leben erkannt. Sie begreifen irgendwie unreflektiert, daß es so nicht weitergeht. Andererseits aber sind sie — so wie wir alle - in dieser Welt gefangen, von ihren Annehmlichkeiten fasziniert.

Ich habe den Eindruck, als wären wir in einer Zwischenphase: Einerseits hat die Jugend mit dem Auszug aus unserer Marschkolonne begonnen. Noch hat sie aber nicht die Kraft, diesen Auszug zu vollziehen. Der grundsätzlich geäußerte Widerspruch zum Fortschritt reicht zwar aus, um unsere derzeitige Ordnung zu untergraben. Der mangelnde Willen zur persönlichen Konsequenz verhindert aber den Aufbau von Neuem.

Wir Erwachsenen sollten uns nicht resigniert abwenden, sondern die Chance erkennen: Die Kritik der Jugend sollte uns Anlaß sein, die eigene Haltung zu überdenken und wenn nötig zu revidieren; die Suche der Jugend nach Halt und Orientierung sollte uns Mut machen, uns in einen Dialog einzulassen.

ZUR RELIGIOSITÄT UND KIRCHLICHKEIT VON JUGENDLICHEN IN ÖSTERREICH 1980. Inst. f. Kirchl. Sozialforschung, Wien 1981, 39 Seiten

JUGEND IN ÖSTERREICH. Von Ernst Gehmacher. Molden’ Schulbuch-Verlag, Wien 1981. 184 Seiten

JUGEND ZU BEGINN DER ACHTZIGER JAHRE. Verlag Jugend und Volk, Wien 1981, 224 Seiten

VERTEIDIGUNGSBEREITSCHAFT JUNGER ÖSTERREICHER. Rohbericht an d. Jub. Fds. d. österr. Nationalbank. Von Erich Brunmayr und Günther Ofner.

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