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Die innere Bindung stärken

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Wenn die UNO die Initiative zu einem Jahr der Familie ergreift, so zeigt das die Wichtigkeit der Familie, aber auch deren weltweite Gefahrdung.

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Wenn die UNO die Initiative zu einem Jahr der Familie ergreift, so zeigt das die Wichtigkeit der Familie, aber auch deren weltweite Gefahrdung.

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Vordergründig betrachtet tritt die Familie auch in den Industrieländern als Säule der Gesellschaft in Erscheinung: Ende der siebziger Jahre meinten 80 Prozent der jungen Österreicher, ein gutes Familienklima sei ihnen sehr wichtig, Mitte der achtziger Jahre sahen 74 Prozent der Österreicher ein harmonisches Familienleben als Voraussetzung für ihr Glück an, stand bei 93 (!) Prozent sexuelle Treue als Basis der Ehe hoch im Kurs. Außerdem sind 94 Prozent der in Österreich lebenden Paare verheiratet. Von diqsen 1,77 Millionen Paaren werden jährlich nur 16.000 geschieden. So könnte der Eindruck entstehen, es sei ohnedies in Sachen Familie alles in bester Ordnung.

1 )aß dem nicht so ist, merkt jeder, der mit offenen Augen durch die Welt geht. Auffallend ist die „Familien -Antipropaganda” der Medien. Eine Mini-Auswahl aus dem Angebot: „Warum immer mehr Frauen ihre Männer verstoßen” („Wiener”), „Bei Ehe, da denke ich nur an Unlust” („Die Bunte”); für „Liebe auf Distanz” (sprich Single-Dasein) warb „profil” und kennzeichnete unser Umfeld als „Schamlos - Die enthemmte Gesellschaft”.

Auf diesem Hintergrund versteht man besser, warum so viele Trends die Auflösung der Familie signalisieren: Die Heiratsbereitschaft sinkt deutlich, die Zahl der Scheidungen nimmt zu (23 Prozent in den achtziger Jahren, eine Scheidung auf drei Trauungen, bei fast jeder dritten Heirat ist ein Partner schon geschieden), die Geburtenfreudigkeit geht zurück (weit unter das Niveau, das zur Aufrechterhaltung der Bevölkerung erforderlich wäre), jedes vierte Kind kommt unehelich zur Welt und Familien mit drei oder mehr Kindern werden zur Seltenheit. Das Heer alleinstehender alter Menschen, deren Pflege und Betreuung Kopfzerbrechen bereitet, wächst. Mit all diesen Erscheinungen liegt Österreich im Trend der Industrieländer. In unserer stark auf das Materielle ausgerichteten Zeit, die dem Menschen Erfüllung in der außerhäuslichen Berufstätigkeit verheißt und Ansehen mit materiellem Erfolg verknüpft, tun sich Familien auch finanziell schwer: zwei Drittel der jüngeren Haushalte sind durch Konsumentenkredite verschuldet (30 Prozent haben Rückzahlungsschwierig-keiten) und rund 100.000 Familien verfügen pro Kopf über Mittel, die unter der für Pensionisten geltenden Armutsgrenze liegen.

Sich für die Familie stark zu machen, liegt aber nicht im Trend. Je weniger Kinder und je mehr kinderlose Paare, umso weniger wird es politisch interessant, die Werbetrommel für die Familien zu rühren. Das bringt keine Wähler.

Das Problem liegt aber noch tiefer: Familie steht gegen den Zeitgeist, gegen den Lebensentwurf der Moderne. Diese kennt nur den einzelnen Menschen. Beziehungen, die nicht aus freier Entscheidung eingegangen wurden, sind ihr suspekt. Selbstbestimmung heißt die Parole und auch in den Beziehungen herrscht Nützlichkeitsdenken. Beziehungen werden aufrechterhalten, solange sie von Interesse erscheinen. Aber sie sind keine primäre Bealität, die Vorrang hat, in die der Mensch eingebettet ist, die sein Leben in ein größeres Ganzes einbinden, ihn auf die Transzendenz verweisen.

So wird die Familie zum Spielball der Ideologien. Zu guter Letzt weiß man nicht mehr, was sie überhaupt ist. Typisch dafür der Leitantrag zum Thema „Frauen und Familie' für den SPÖ-Bundesparteitag 1993:

„Familie ist jede Form des dauernden Zusammenlebens in partnerschaftlicher Form, welche den einzelnen Mitgliedern dieser Gemeinschaft Solidarität, Anteilnahme und Schutz bietet. Voraussetzung dafür ist, daß jeder Mensch das Becht hat, die Form seiner Lebensführung nach eigener Überzeugung frei zu gestalten ... Der Bundesparteitag fordert daher die Gleichstellung aller Lebensformen ...” (FUBCHE 25/1993)

Familie sei also beliebig zu gestalten („jede Form”). Auf diesem geistigen Hintergrund findet der fortgesetzte Abbau der gesellschaftlichen Abstützung der traditionellen Familie statt. Geordnetes familiäres Zusammenleben bedarf aber dieser Abstützung von außen' (siehe Seiten 16 und 18). Wo sie wegfällt, kommt es zu Auflösungserscheinungen.

Ist Familie also ein Belikt der Vergangenheit? Keineswegs. In ihr zu leben, entspricht der menschlichen Natur. Soll Familie aber heute fortbestehen, so ist sie auf den inneren Zusammenhalt angewiesen, auf ein bewußtes Ja zueinander. Darin kommt zum Ausdruck, daß der andere in seiner Besonderheit an- und ernstgenommen wird. Diese Haltung ist keineswegs selbstverständlich. Sie erfordert die Bereitschaft, sich enttäuschen zu lassen, um den anderen wirklich kennenzulernen.

Familie ist keine Utopie

Diese Haltung widerspricht aber diametral dem heutigen Leitbild der Selbstverwirklichung um jeden Preis, der Emanzipation von einengenden Bindungen. Wer konsequent diesen Lebensentwurf verwirklicht, für den wird ein - nicht von außen verordnetes und abgesichertes - Familienleben zur unerfüllbaren Utopie, zum Programm nur für besonders Begabte.

Wo nun die Stütze von außen wegfällt, ist nicht alles verloren. Dann gilt^s, das innere Band zu stärken. Es ist' der Garant für die Entstehung eines Baumes der Geborgenheit. Nach ihr aber sehnt sich letztlich jeder. Diese Geborgenheit wächst aber nur, wo man lernt, mit den Schwächen anderer zu leben, wo man bereit ist, deren Lasten mitzutragen. Und das kostet Kraft, über die die meisten nicht verfügen.

So werden wir heute darauf gestoßen, daß Ehe und Familie trotz gesellschaftlicher Anfechtung sakramental, also im Vertrauen auf das konkrete Wirken Gottes, zu leben ist. Das klingt für viele wirklichkeitsfremd. Zugegeben. Also sollte es im Jahr der Familie nicht so sehr von Kanzeln gepredigt, sondern im Alltag der Christen erlebt werden.

Die Beteiligten erfahren dabei für ihr Leben Entscheidendes:

■ Du bist geliebt, du bist angenommen, um deiner selbst willen. Wir stehen zu dir, weil du du bist - egal, was du leistest, in guten und in schlechten Tagen. Du bist wertvoll.

■ Leben ist nur möglich, wo man teilt: Menschsein heißt, auf andere angewiesen zu sein, keiner könnte sich zur Persönlichkeit entfalten, wenn nicht andere für ihn sorgten, mit ihm teilten. Im Teilen wird das Leben erst sinnvoll, für andere dazusein ist tiefste Sinnerfüllung.

■ Zusammenleben ist nur möglich, wo man einander verzeiht: Jeder ist mit Fehlern behaftet, tut anderen unrecht, kränkt sie. Menschliches Zusammenleben funktioniert nicht perfekt wie eine Maschine, es ist nur möglich, wenn man immer wieder auf den anderen zugeht.

Und weil der Mensch von sich aus, nicht die Kraft hat, immer wieder zu verzeihen, wird die Familie auch zum Baum, in dem die Menschen erfahren: Unter uns wirkt Gott, der Gott der Liebe, der auch die Kraft zum Verzeihen schenkt.

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