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Der Nationalsozialismus hat, um aus der Bevölkerung die letzte denkbare Energie herauszuholen, das natürliche Bewußtsein der Verpflichtung der lebenden Generation - für das Wohl künftiger Geschlechter moralisch derart überwertet und propagandistisch ausgenützt, daß ein reaktives Absinken dieses Verantwortungsgefühls unausbleiblich wurde. Dies um so mehr, als gleichzeitig und in unsinnigem Widerspruch zu jener aufgepeitschten Bevölkerungspolitik eine demonstrative barbarische! Entwertung der Daseinswerte des einzelnen Menschen einherging.

Wie tödlich die Gefahr ist, die der Gesellschaft aus der Verzerrung der Rechtsbegriffe um das menschliche Leben droht, geht schon aus theoretischer Überlegung klar hervor. Mehr noch als jede Theorie müssen aber alle Nachrichten, die den Grad und Fortschritt der Zerstörung an den Grundlagen der Ge Seilschaft zeigen, der bereits als Folge dieser Geisteshaltung . eingetreten ist, aufrütteln. Hier kündigt sich eine Entwicklung an, die, falls sie nicht rechtzeitig von der breiten Masse unseres Volkes in ihrer Gefährlichkeit erkannt wird, eines Tages zu einer neuen Existenzbedrohung unseres Heimatlandes führen müßte. In diesem Sinne beanspruchen die Angaben über die gegenwärtige Bevölkerungsbewegung, insbesondere auf dem Gebiet der Ehe und der Geburten, schärfste Beachtung.

In der Entwicklung der modernen Ansichten über die Gesellschaftsformen nahm die Auseinandersetzung über Ehe und Familie und über die individuelle Freiheit in bezug auf diese Institutionen stets einen breiten Raum ein. Der katholischen Auffassung der Unauflöslichkeit der Ehe und der grundlegenden Funktion der Familie im Gesellschaftsorg'ariismus stand oft genug die Forderung nach Erleichterung der Ehetrennungen, wenn nicht nach noch größerer Un-gebundenheit gegenüber. Interessanterweise sind überall dort, wo diese Strömung in anderen Staaten sich durchsetzte, sehr bald wieder gesetzliche Einschränkungen der kaum erst verkündeten' Freiheiten erfolgt. Man ist praktisch bei der Einehe und auf dem Boden der Familie geblieben.

Was sich aber gegenwärtig in dem vom Krieg heimgesuchten Europa und gerade auch in Österreich abspielt, übertrifft die Verhältnisse nach dem ersten Weltkrieg bei weitem und kommt — wenigstens im Zahlenbild — einem akuten Zerfall des Zellgerüstes von Staat und Gesellschaft gleich Einige wenige Vergleichsziffern aus Wien seien hier zur Illustration wiedergegeben:

Geburten .....Jänner 1939 2155

Geburten .... „ 1946 770

Todesfälle......, 1946 3474

Eheschließungen . . Jänner 1939 3470 Eheschließungen . . „ 1946 693 Einreidiung von Scheidungsprozessen . „ 1946 2000 (rund)!

Zugegeben, daß verschiedene äußere Faktoren, vor allem die Abwanderung aus Wien in den kritischen Monaten vor dem Zusammenbruch am Zustandekommen dieses Zahlenbildes ursächlich beteiligt sind. Zugegeben, daß die Zahlen hier auch inso-ferne ein übertriebenes Bild geben, als sie zwar die augenblickliche Bevölkerungsbewegung ausdrücken, nicht aber die durchschnittliche innere Haltung der Gegenwartsmenschen zu diesen Fragen. Denn es darf mit Sicherheit angenommen werden, daß diese erschreckende Entwicklung durch die totalitäre Kriegsführung mit bedingt ist, durch Situationen, die in der Weltgeschichte beispiellos dastehen, geschweige denn im Leben des Durchschnittsmenschen. Unter dem Druck, der die menschliche Psyche von allen Seiten umspannte, zerbrach die moralische Kraft von Tausenden. Es häuften sich

leichtfertig übereilt geschlossene Ehen, die einer etwas härteren Schicksalsbelastung niemals standhalten konnten. Der Krieg selber trennte unzählige Paare durch Jahre hindurch. Die gewaltsame Verschickung und Vermischung sämtlicher Nationalitäten Europas führte die verschiedensten Menschen einander zu, zerriß alte Bande und knüpfte neue. Die aus dem Boden gestampften Industrien und der Bombenkrieg verschärften die Wohnungsverhältnisse zu völlig menschenunwürdigen Zuständen, in deren Schatten Not und Verzweiflung die Ausbreitung eines ehe- und familienwidrigen moralischen Sumpfes begünstigten.

Es wäre aber ein Irrtum, wollte man die gesamte Entwicklung auf diesem Gebiete den äußeren Verhältnissen anlasten. Denn die Zahl derer, die ein Ehebarid überlegt und freiwillig lösen, ist noch immer größer als die Zahl jener, die von der Schicksalshärte dazu veranlaßt werden. Es ist doch zur landläufigen Meinung geworden und gilt heute als Selbstverständlichkeit, daß Ehen zu trennen seien, wenn die Partner nicht zusammenpassen, wenn unüberwindliche Abneigung bestehe usw., — Gründe, die durch ihre unbestimmte Ausdrucksweise bereits dartun, wie oberflächlich die Dinge genommen werden. In gleicher Weise ist die Geburtenverhütung weitaus nicht immer auf die wirtschaftliche Not zurückzuführen. Immer noch ist die Arbeiterehe fruchtbarer als die Ehe des städtischen Mittelstandes.

Worin aber liegt, abgesehen von der religiösen Seite, die allgemein menschliche, ja auch staatspolitische und volkswirtschaftliche Bedeutung gesunder Familien und dauerhafter Ehen? Doch offenbar und unbestritten in der Erhaltung des moralischen und materiellen Grundkapitals eines Volkes. Es wäre unsinnig, Zahlenspielereien anzustellen und etwa ausrechnen zu wollen, wann auf Grund der Fortsetzung des obengenannten Wiegenstandes Österreich aussterben müßte. Es geht nicht darum, durch Schreckgespenster interessant zu wirken. Es möge auch niemand in diesen Ausführungen den Versuch erblicken, den Rassenunsinn der letzten Jahre unter irgendeinem Deckmantel wiederbeleben zu wollen. Aber man überlege doch: Wer soll Österreich wiederaufbauen, wenn nicht seine eigenen Söhne? Am Bau des Wien,1 das wir aus der Kaiserzeit übernommen haben, an diesem Wien zum Beispiel haben viele Nationalitäten Europas irgendwie mitgebaut. Heute führen diese Nationen ihr staatliches Eigenleben. Unser Haus müssen wir diesmal allein aus den Ruinen erstehen lassen. Österreich ist mehr als je- dazu entschlossen, sein Lebensrecht als selbständige Nation in der Familie der übrigen Völker zu behaupten. Ein mutiges Wagnis angesichts der zahlenmäßig ungleich stärkeren Staaten, die es umschließen. Ein andauerndes Geburtendefizit müßte fremdländischen Einfluß ins Land saugen, der das österreichische Volkstum und seine Eigenart in/ steigendem Maße bedrohen und seine Existenzmittel schrittweise in fremden Besitz überleiten würde.

. Österreich steht auch vor der Aufgabe, seine geistige Existenz neu aufzubauen. Die Jahre der ersten Republik haben einwandfrei erwiesen, wie gefährlich es' ist, wenn sich Österreich einseitig an eine Großmacht bindet und seine Sicherheit rein als Wirtschaft-, liches Problem auffaßt. Österreich muß sich durch seine kulturellen Leistungen ein Tor| in die Welt aufreißen. Unsere Hochschulen und Forschungsinstitute, unsere Akademien und künstlerischen Vereinigungen müssen, geführt von hervorragenden Repräsentanten, die moralische Bedeutung unseres Lan-

des in der Welt bestimmen und die Welt

zum praktischen Interesse für uns verpflichten: Österreich kann die ihm historisch und geographisch zugewiesene Rolle eines Regulators im Spiel der kulturellen Strömungen erfüllen und kann sie um so freudiger aufgreifen, als in unserem Volke viele uaer-

schöpfliche Kräfte und Talente schlummern. Das Wunder geistiger Schöpfungskraft an Künstlern, Wissenschaftlern, Dichtern und Konstrukteuren wird sich immer aufs neue in diesem Lande vollziehen, doch ist es dauernd geheimnisvoll gebunden an das Wunder der leiblichen Schöpfungskraft, das in den Schoß der Mütter gelegt ist. Und es ist, als ob die Natur diese Zusammenhänge unterstreichen wollte, wenn sie, wie dies biologisch nachgewiesen ist, die geistig fähigsten Köpfe gerade aus kinderreichen Familien hervorgehen läßt.

Die Aufrichtung Österreichs ist also wesentlich an den Bestand einer zahlenmäßig und ideell erstarkten jungen Generation geknüpft. Eine solche Jugend kann naturgemäß nirgends anders hervorsprießen, als aus der Mitte solider, reiner Familien. D i e Familie ist die einzige und wirkliche Elementarschule.des Menschen. Was die Familienerziehung versäumt hat, /-was im Elternhaus an der Charakterbildung des jungen Menschen gefehlt hat, holt später kaum eine Schule mehr ein und biegt selten ein Erzieher, Arzt oder Priester gerade. Zur Ausbildung eines geradlinigen, seelisch ungebrochenen, moralisch wohlfundierten Menschentyps ist das Erleben einer Jugendzeit unter sittlich geordneten Familienverhältnissen eine nahe-

zn unbedingte Voraussetzung. Not und Entbehrung werden ein Kinderherz nicht brechen, solange es Mut und Stärke in der Eintracht der Familie findet; sie werden es aber todsicher zerstören, wenn sich zur äußeren Schicksalsungunst noch das persönliche Miterleben des Zerreißens derart enger

psychischer Bindungen gesellt, wie sie innerhalb der Familie bestehen. Jedermann weiß, welche Ausbrüche von Zorn, Haß und Eifersucht, welche Orgien des Streites und jedweder anderen Art menschlicher Niedrigkeit das Vorspiel einer Ehescheidung gewöhnlich bilden. Jedermann kann sich unschwer vorstellen, wie verhängnisvoll für die Entwicklung soziologischer und moralischer Vorstellungen im Kinde das Erleben des Zerfalls des Urbildes menschlicher Gemeinschaft und Harmonie, der Familie sich auswirken muß. Zweitausend Scheidungsklagen im Monat! Wieviel Kränkungen unschuldiger Kinderseelen, aber auch wieviel schlechtes Beispiel, Verführung und Erziehung zum Egoismus, zu Lüge, Haß und Verstellung mögen in dieser Zahl beschlossen sein. Gewiß gilt dies nicht für jeden Fall. Sicherlich bedeutet die Trennung der Ehe häufig zugleich die Beendigung unerquicklicher Verhältnisse. Dieser Umstand nimmt jedoch der Scheidung als solcher nichts von d ihr eigentümlichen Härte und ihrem schädigendem Einfluß auf die Erziehung des Kindes.

Es sollen nicht altmodische Begriffe aufgewärmt und überlebte Formen gesellschaftlichen Zwanges dem nach Freiheit strebendem Menschen aufgenötigt werden. Die Forderung nach dauerhaften Ehen und ge-

sunden Familien ist so gut ein religiöses Gebot wie eine im Namen der Wissenschaft gesetzte Verpflichtung, die sich aus pädagogischen, medizinischen und volkswirtschaftlichen Erwägungen herleitet.

Ein Zweifaches muß geschehen: 1. Ein großangelegter und zäher Aufklärungsfeldzug muß den breiten Volksschichten die Gefahren, die sich aus dem Zerfall von Ehe und Familie nach den verschiedenen Richtungen hin ergeben, ins Bewußtsein rufen. 2. Der Staat hat alle gesetzlichen Voraussetzungen zum Schutze von Ehe und Familie zu schaffen, wie sie durch Steuerbegünstigung kinderreicher Familien, Beratung und Unterstützung der Eltern in Erziehungs- und Berufsfragen der Kinder, das Vortragen des Grundsatzes des Familienlohnes in der Sozialpolitik gegeben sind.

Notwendig ist weiterhin eine den angeführten Erfordernissen Rechnung tragende klare Ehegesetzgebung und eine energische Durchsetzung des Verbotes der Engel-macherei, schuldhaft geworden vor allem auch in jenen Kreisen, die sich auf Grund ihrer Vermögensverhältnisse bisher darüber hinwegsetzen konnten. Gefördert müssen staatlicherseits alle kulturellen, insbesondere religiösen Bestrebungen werden, die direkt und indirekt die Konsolidierung von Ehe und Familie begünstigen.

Nur der gemeinschaftlichen Bemühung von Staat, Kirche und Volk kann es gelingen, die Bevölkerungsbewegung wieder in natürliche Bahnen zu lenken. Das ist eine der notwendigen Voraussetzungen, die geschaffen werden müssen, wenn Österreichs Aufstieg geschichtliche Tatsache werden soll.

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