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Osterreichisches

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Von defr Grenzen des Wachstums und den Gefahren einer eltweiten ^Bevölkerungsexplosion zu sprechen,, gehört zum guten Ton i* jeder gehobenen Diskussionsrunde. Der Schock der Ölkrise steckt“ immer noch vielen in den Knochen, die Diskussion Über die explosive Bevölkerungsvermehrung ist wiederum nicht erst modern',-.se,? 1974 zum „Weltbevölkerungsjähr“ ausgerufen wurde. „One World for AH“, eine lebenswertc Welt für-uns alle — lautet das Motto des von der UNO deklarierten und organisierten Jahres der Besinnung auf demographische Probleme auf unserem Planeten.

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Von defr Grenzen des Wachstums und den Gefahren einer eltweiten ^Bevölkerungsexplosion zu sprechen,, gehört zum guten Ton i* jeder gehobenen Diskussionsrunde. Der Schock der Ölkrise steckt“ immer noch vielen in den Knochen, die Diskussion Über die explosive Bevölkerungsvermehrung ist wiederum nicht erst modern',-.se,? 1974 zum „Weltbevölkerungsjähr“ ausgerufen wurde. „One World for AH“, eine lebenswertc Welt für-uns alle — lautet das Motto des von der UNO deklarierten und organisierten Jahres der Besinnung auf demographische Probleme auf unserem Planeten.

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Kaum diskutiert wird im „Weltbevölkerungsjahr“ ein nicht minder bedeutsames demographisches Faktum: die stark rückläufige Bevölkerungsentwicklung in zahlreichen Staaten Buropas, unter denen Österreich als besonders krasses Beispiel herausragt.

Seit 1963 ist in Österreich die Zahl der Lebendgeborenen ständig rückläufig, seit 1963 sinkt aber auch die Zahl der Eheschließungen ständig und stark.

Kaum geändert hat sich dagegen die Zahl der Sterbefälle: sie lag 1963 bei 91.579 und 1973 betrug sie 92.768. Aus diesem Grund ist auch der Uberschuß der Geburten gegenüber den Sterbefällen stark zurückgegangen. Dieser Überschuß betrug 1963 noch 43.230, 1973 dagegen nur mehr 5273 Menschen. Die Geburten- und Sterbefälle in den ersten fünf Monaten dieses Jahres lassen es möglich erscheinen, daß vielleicht schon 1974, wahrscheinlich aber 1975 der Geburtenüberschuß am Nullpunkt angelangt sein wird.

Vor mehr als zwei Jahrzehnten wies der bedeutende deutsche Bevölkerungswissenschaftler Gerhard Mackenrott auf die bemerkenswerte Fähigkeit des europäischen Menschen hin, bis in die untersten sozialen Schichten hinein in seinem Fortpflanzungsverhalten den Willen zu äußern, einen wachsenden Lebensstandard nicht der ungehemmten Vermehrung zu opfern.

Aber nicht nur der Wohlstand war ein Ziel der Familienplanung. In der Geburtenbeschränkung äußerten sich auch emanzipatorische Fortschritte.

Da nun die Geburtenrate der Sterbeziffer nahegekommen ist, scheint es problematisch, zum Gegensteuern zu empfehlen, den Zugang der Mädchen zu den Bildungseinrichtungen und den der Frauen zur Erwerbsarbeit wieder zu drosseln. Politiker würden sich mit solchen Forderungen nur lächerlich machen, deshalb werden sie auch gar nicht erhoben.

Dennoch sind die Bevölkerungswissenschaftler unruhig geworden. Noch werden nationalistische Ängste um die „Erhaltung des österreichischen Volkes“ zurückgewiesen, weil derlei Sorgen das Thema verfehlen. Ob Österreich im Jahr 2000 nur noch 7 statt 8 Millionen Menschen zählt, ist ökonomisch weniger wichtig als die allerdings dann gegebene Struktur der Bevölkerung. Denn schon jetzt ist die Zahl der Rentner annähernd der Zahl der Kinder unter 15 Jahren gleich.

Eine Regierung, die sich bewähren will, hätte zu prüfen, welche Maßnahmen zu treffen sind, um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten. Die von der sozialistischen Parlamentsmehrheit diktierte Fristenlösung war sicherlich kein geeigneter Schritt in diese Richtung.

Vor wenigen Wochen wurde im Parlament nun die Einführung einer Geburtenbeihilfe von 16.000 Schilling, die je zur Hälfte bei der Geburt und am ersten Geburtstag ausbezahlt wird, beschlossen. Es ist müßig, darüber zu diskutieren, ob die Geburtenbeihilfe als familienpolitische Ersatzhandlung für die Einführung der Fristenlösung gedacht war, unbestritten aber sollte sein, daß mit finanziellen Prämien allein der drohende Sterbeüberschuß in unserem Land nicht abgebaut werden kann. Wenn das tatsächlich so einfach wäre, dann müßte die Zahl der Eheschließungen seit 1972 stark gestiegen sein, weil seit damals eine Heiratsbeihilfe in Höhe von 15.000 Schilling vom Staat ausbezahlt wird. Das Gegenteil ist freilich der Fall: die Zahl der Eheschließungen betrug 1973 49.430 und lag damit um rund 10.000 unter dem Durchschnitt der letzten zehn Jahre.

Die Ursachen des starken Geburtenrückgangs (nicht nur in Österreich) dürften vor allem im gesellschaftlichen Klimawechsel, einer steigenden Unsicherheit und einer raschen Zersetzung tradierter Wertvorstellungen liegen. Dieser gesellschaftliche Klimawandel äußert sich in dem von der Konsumgesellschaft ausgeübten Druck, mit dem Lebensstandard der Nachbarn („to keep up with the Jones“) mitzuhalten und dabei den Wunsch nach Kindern in der Bedürfnisskala zurückzureihen; in der Emanzipation der Frau (von der Familie); in der Verbreitung von Empfängnisverhütungsmitteln, schließlich aber auch in der schon längere Zeit mit großer Intensität geführten Diskussion über den Schwangerschaftsabbruch. Ein zentraler Grund für den Geburtenrückgang in Österreich ist schließlich die wachsende Verstädterung unseres Landes, die nur in den wenigsten Fällen mit einer familien- und kinderfreundlichen Kommunalpolitik einherging. Die Durchschnittswohnungen in den meisten österreichischen Groß- und Industriestädten sind auf die Bedürfnisse eines Drei-Personeiy Haushaltes zugeschnitten, die Wohntsiedlungen mit den Hochhäusern sind kaum kinderfreundlich gestaltet, Kindergärten sind oft bis zu fünf Kilometer von den Stadtrandsiedlungen eingerichtet, das Personal ist dort | überdies knapp.

Täglich werden wir mit Fragen über Umwelt, Lebensqualität, über Geburtenregelung, Abtreibung und Ausländerbeschäftigung beschäftigt. Der Zeitpunkt ist nun wirklich gekommen, da es gilt, in der Öffentlichkeit ein demographisches Bewußtsein zu fördern, das Wissen über Bevölkerungsfragen zu verbessern und ganz allgemein Verständnis für eine aktive Bevölkerungspolitik zu wecken. Auf der Ebene von Regierung und Opposition sollten endlich die gravierenden Probleme, die mit einem Nullwachstum oder einer Abnahme der Bevölkerung verbunden sind, in ein bevölkerungspolitisches Gesamtkonzept münden. Wie kompliziert die bevölkerungspolitischen Probleme tatsächlich sind, mag man daran erkennen, daß sich alle Lösungsvorschläge in einem magischen Spannungsfeld zwischen den Polen Ökologie, Demokratie, Sozialstaat und Gesellschaftsordnung bewegen.

Fiskalpolitische und organisatorische Maßnahmen (Geburten-, Heiratsbeihilfen, Kinderzulagen usw.) allein genügen nicht, die großen bevölkerungspolitischen Fragen, die auf Österreich zukommen, zu lösen. Diese Maßnahmen würden nichts nützen, wenn es nicht gleichzeitig gelänge, jenes kinderfeindliche Klima, das sich immer stärker ausbreitet, abzubauen. Bevölkerungspolitik ist immer Zukunftspolitik. Politiker, die das nicht anzuerkennen bereit sind, verspielen diese Zukunft.

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