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„Grüß Gott“ & „Heil Hitler“
Noch viele Zeitzeugen kommen am 27. Februar im Wiener Europahaus zu Wort. Als Alterzbischof Josef Schoiswohl, 1938 Domkurat in Wien, berichtet, er habe damals das „Heil Hitler“ eines SA-Mannes zweimal mit „Grüß Gott“ beantwortet, erwacht der Veranstaltungstitel zu prallem Leben. Die Kirche zu vernichten, habe man damals den Kirchenbeitrag eingeführt, erklärt der Altbischof, aber dann wurde er Zeichen des Widerstandes.
Vor rund 100 gespannt zuhörenden Tagungsteilnehmern breiten auch Prälat Erwin Hesse, der schon 1936 den Nationalsozialismus als „Häresie des Volkes“ geißelte, und Hildegard Holzer, Mit-organisatorin der denkwürdigen Rosenkranzandacht im Stephansdom am 7. Oktober 1938, ihre Erinnerungen aus.
Schon bald nach dem Anschluß absolvierten hellhörige Jugendliche einen Kurs beim Roten Kreuz, denn sie wollten nicht in dem von ihnen vorhergesehenen Krieg für das NS-Regime schießen. Das Vorhaben gelang. „Ich konnte auf die Ausbildung verweisen, kam zur Sanität und mußte bis Kriegsende keinen Schuß abgeben“, erzählt der pensionierte Sektionschef Hermann Lein. Karl Pisa, Staatssekretär unter Josef Klaus, wählte die -länger dauernde - Ausbildung zum Offizier, um seine Zeit als Frontsoldat kurz zu halten.
Bedrückendes kommt beim abendlichen Kamingespräch zur Sprache. Altbundespräsident Rudolf Kirchschläger irritiert gar nicht so sehr die Erinnerung an die jubelnden 200.000 auf dem Heldenplatz: „Die Gesichter der Menschen, die dagestanden sind — vielleicht mit einem Grinsen —, als Juden die Straßen gesäubert haben, bedrücken mich mehr.“
Altvizekanzler Fritz Bocks Bericht von der Ermordnung zweier Juden, die er miterleben mußte, läßt wohl niemanden im Auditorium unbewegt. Man hätte nur „Mein Kampf“ lesen oder die wahren Vorgänge beim „Röhm-Putsch“ von 1934 kennen müssen, um über den Nationalsozialismus Bescheid zu wissen.
Daß auch nach dem März 1938 noch monatelang einige die Hoffnung hegten, Hjtler „zur Erstkommunion“ zu bringen, weiß „Presse“-Herausgeber Otto Schulmeister zu berichten.
Zum Schluß beschwören Bock und Kirchschläger den Geist von 1945. Bock zitiert Leopold Figls berühmte Weihnachtsansprache: „Ich kann euch nichts geben... Ich kann euch nur bitten: Glaubt an dieses Österreich!“ Kirchschläger erinnert daran, daß damals die Liebe zur gemeinsamen Heimat Vorrang gehabt habe, es müsse auch heute möglich sein, zu einem Klima der Verständigung zu finden.
Eindrucksvoller Schluß der Tagung am 28. Februar, Sonntag: Gottesdienst und Referat von „Kleine-Zeitung“-Chefredakteur Fritz Csoklich über „Konsequenzen für heutige katholische Journalisten“ (siehe nebenan), worin er klarstellt: Österreich war in erster Linie Opfer, nicht Täter, Österreich ist ein geschundenes und schizophrenes Land. Und: Das Stochern in der eigenen Vergangenheit ist nichts typisch österreichisches. Auch andere Länder entdecken zunehmend ihre Leichen im Keller...
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