Ein Jahrhundert-Plausch

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Georg Markus behandelt die Geschichte des 20. Jahrhunderts auf österreichische Weise: als Witz.

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Georg Markus behandelt die Geschichte des 20. Jahrhunderts auf österreichische Weise: als Witz.

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Am 27. Mai 1951 siegte in der Bundespräsidentenwahl Wiens Bürgermeister Theodor Körner über den oberösterreichischen Landeshauptmann Heinrich Gleißner. Am selben Tag besiegte Österreichs Fußballnationalmannschaft in einem Freundschaftsspiel Schottland. Am nächsten Tag erschien die "Volksstimme" mit der Schlagzeile: "Gleißner und Schottland geschlagen". Eine von hunderten Anekdoten, Witzen, Auszügen aus Kabarettnummern und Randbemerkungen zur Geschichte des 20. Jahrhunderts, mit denen Georg Markus sein neuestes Buch "Sie werden lachen, es ist ernst - eine humorvolle Blanz unseres Jahrhunderts aus Österreich" füllt. Aus Österreich: Für den deutschen Markt bestimmt?

Er füllt es mit Pointen und Wortwitzen, von denen manche gar nicht schlecht sind. Als der 52jährige Ernst Haeusserman als Burgtheaterdirektor vom 66jährigen Kammerschauspieler Paul Hoffmann abgelöst wurde, soll er gesagt haben: "Ich habe mich entschlossen, mein Amt in ältere Hände zu legen." Und als man Otto von Habsburg - ebenfalls 1967 - bei seinem ersten Besuch in Wien erzählte, zu seinem Vortrag seien deshalb so wenige Leute gekommen, weil gerade ein Ländermatch Österreich-Ungarn stattfinde, soll er gefragt haben: "Gegen wen?" Schon das Vorwort beginnt mit einem Witz: "Adam und Eva spazieren durch den Garten Eden. Plötzlich fragt sie ihn: ,Liebst du mich?' Sagt er: ,Wen sonst?'"

Die leichte Muse ist eine Verräterin. Nicht die Reden der Minister und Staatsoberhäupter, nicht die Leitartikler, nicht die großen Hinterfrager alles Hinterfragbaren verraten uns, wie ein Volk denkt. Die leichte Muse verrät es. Worüber die Leute Witze reißen. Vor allem, welche Art von Witz und Witzen ankommt. Unter diesem Gesichtspunkt bietet Markus eine Fundgrube der österreichischen Befindlichkeit.

Er ist ein unermüdlicher Plauderer. Daß seine Bücher so gut ankommen, beweist: Er plaudert richtig, er plaudert so, wie es die Österreicher und viele Deutsche mögen. Bisher hat er sich auf der Kurz- und Mittelstrecke betätigt, im neuesten Buch plaudert er sich durch ein ganzes Jahrhundert. Nämlich unseres. Auf 330 Textseiten bekommt (fast) jedes Jahr ein Kapitel. Zuerst ein paar wichtige Ereignisse aufgezählt, dann Spassetteln aus allen möglichen Quellen. Unter 1999 erfährt der erstaunte Leser, daß selbst die "Kronen-Zeitung" witzig sein kann. Anfang Mai 1999 ließ sie ihren Herrn Strudl sagen: "Der liberale EU-Kandidat Strohmayer schaut auf den Wahlplakaten drein, als wüßt er schon das Ergebnis."

Das Buch beginnt mit 1900, obwohl das genau genommen das letzte Jahr des 19. Jahrhunderts war. Das 20. Jahrhundert hat dieses Jahr bekanntlich einfach usurpiert. Zum Ausgleich schenken wir jetzt zu Silvester dem dritten Jahrtausend ein Jahr. Das 20. Jahrhundert will sein letztes Jahr nicht. Es hat, kein Wunder, genug von sich selbst.

In den ersten 13 Kapiteln über die nur angeblich gute alte Zeit entwickelt sozusagen ein Autor eine Methode, über alles so zu witzeln, daß es zwar bei einem breiten Publikum ankommt, aber nicht zu primitiv wirkt. Markus witzelt nie am Stammtisch, er witzelt immer im Salon. Bei ihm geht es nie deftig zu, sondern so, wie ja in Österreich bekanntlich noch stets die Welt zugrund' ging, also nobel. Höhepunkt der Deftigkeit: 1922 läßt er einen Primarius erklären, "warum ich für die Monarchie bin. Damals hat man noch genau gewußt, in welchen Hintern man kriechen muß. Jetzt gibt es so viele Hintern, daß man den Überblick verloren hat."

Markus verfügt über eine perfekte Methode, den Schatten der Vergangenheit die Wahrheit hineinzusagen und zugleich nichts auf sie kommen zu lassen. Das kommt an den besten Stellen so österreichisch, selbstironisch und leicht daher wie der angebliche Ausspruch eines österreichischen Generals nach der Niederlage von Königgrätz anno 1866: "Vollkommen unverständlich! Wo's doch auf der Schmelz immer so gut 'gangen is'." (Die Schmelz war der Exerzierplatz der österreichischen Armee.)

Über den letzten Jahren der Monarchie liegt auch hier jenes herbstlich milde Licht, in dem der gelernte Österreicher die k.u.k. beziehungsweise k.k. Spätzeit am liebsten betrachtet. Die Katastrophe stand vor der Tür, aber sagen durfte man es nicht. Jedenfalls nicht laut. Nicht in der Zeitung. Aus einem französischen Blatt stammt die Karikatur Franz Josephs als Seiltänzer, unter dem der Knoten des zusammengeknüpften Seils zwischen Österreich und Ungarn aufgeht. Die vielen Karikaturen gehören überhaupt zum Besten, was das Buch zu bieten hat. Zum Beispiel eine von Fritz Schönpflug, wo ein Offizier zum anderen sagt: "So eine herrliche Armee haben wir gehabt ... Und was hat man mit ihr gemacht? In den Krieg hat man sie geschickt!"

Kunstvoll tanzt Markus zwischen halbem Ernst und vollem Unernst hin und her. Die Welt eine einzige Anekdote, der Weltuntergang der beste Witz. Oft denkt man sich: Wenn es auch nicht wahr ist, ist es nett erfunden. Aber der Ausspruch des Burgtheaterdirektors Anton Wildgans, er sei "die einzige Wildgans, für die es keine Schonzeit gibt", ist bestimmt echt.

Die Welt ist zum Lachen: Warum soll einer nicht das ganze Jahrhundert auf diesen Nenner bringen? Zumal ja die Reduktion der Geschichte auf ihren Unterhaltungswert in solcher Massierung auch etwas über uns aussagt. Nämlich über unsere Tendenz, sich auf jede mögliche Weise von der Wirklichkeit abzusetzen. Markus beweist: In Österreich kann man über alles reden. Mittlerweile sind wir so weit, daß man sogar über die Nazivergangenheit reden und damit gut ankommen kann. Man darf nur nicht ernst werden. Wer meint, dies sei ein Widerspruch in sich selbst, hat halt Markus noch nicht gelesen. So beginnt das Kapitel über 1938: "Friedrich Fränzl, Solotänzer der Wiener Staatsoper, stirbt im Alter von 74 Jahren. Heinrich Harrer gelingt die Besteigung der Eiger-Nordwand. Otto von Habsburg ersucht Bundeskanzler Schuschnigg um die Übertragung der Regierungsgeschäfte. Der sozialdemokratische Politiker Otto Bauer stirbt 56jährig in Paris. Am 19. Jänner 1938 hat am Burgtheater Beaumarchais' ,Der tolle Tag' Premiere."

Ich kann diesen Kapitel-Einleitungen, diesen Raffungen, dieser Mischung von Nebensächlichem mit Stolpersteinen, die zu sekundenlangem Einhalten zwingen, einiges abgewinnen. Raffiniert, wie Markus aber nun - 1938! - zu einem längeren Theateranekdötchen über Raoul Aslan übergeht, der sich keinen Text merkt, dann aber die Kurve zu Schuschniggs Reise zu Hitler auf den Obersalzberg kratzt, die er viel kürzer behandelt als Aslans legendäre Hänger: Wahrlich, dieser Autor kennt seine Pappenheimer! Er weiß, was er ihnen zumuten kann. Sogar die eigene grausliche Geschichte, wenn man sie ihnen als Mischung von Theateranekdoten und echten oder angeblich jüdischen Witzen serviert.

Leider ist er oft wirklich kein begnadeter Witzeerzähler. Vielen würgt er ein bißchen die Pointe ab. Zum Beispiel dem vom Juden, der 1938 in ein Reisebüro kommt, um eine Schiffsreise irgendwohin zu buchen, ratlos den Globus dreht, ihn dann wieder vor den Reisebüromann hinstellt und sagt: "Ham's nicht noch was?" Markus läßt ihn, nachdem er den Witz etwas zu umständlich erzählt hat, sagen: "Haben Sie keinen anderen Globus?", was die Pointe stark verwässert. Schärfe ist halt nicht seine Sache. Auch der Witz von den Emigranten, die hinter der Grenze Soldaten schlampig dahermarschieren sehen, worauf der eine sagt: "Was ist das gegen insere SS", wirkt in der Fassung "Wenn ich da an unsere SA denke" ziemlich aufgeweicht.

Hübsch hingegen ist die Geschichte, in der sich Hermann Göring die Umgebung Wiens erklären läßt und angesichts des Hermannskogels sagt: "Ach nee, det wär' ja gar nicht nötig jewesen!" Hitler tritt 1938 wie ein Deus ex machina auf, der ganze Zweite Weltkrieg ist eigentlich ein einziger Theaterdonner mit Pointenblitzen. Dabei ist Markus stets politisch korrekt. Letzte Pointe vor dem deutschen Einmarsch, am 10. März von Fritz Grünbaum auf der verdunkelten Bühne des Simpl serviert: "Ich sehe nichts. Absolut gar nichts. Da muß ich mich in die nationalsozialistische Kultur verirrt haben." Manchmal zeigt er, daß er kein Luftikus ist. Dann läßt er kurz die Tragik des Jahrhunderts durchblinzeln. Aber eher vorsichtig. Doch auch dem Herrn Karl gibt er gelegentlich Futter, mit spitzen Fingern wie einem bissigen Affen im Käfig: "Als ein amerikanischer Besatzungsoffizier einen Wiener nach dem Weg zur Staatsoper fragt, erhält er die entwaffnende Antwort: ,Wann's es aus der Luft g'funden habt's, wern's es z' Fuaß aa find'n!"

Viele Pointen über 1938. Zwei zweitbeste: ",Na', fragt ein Tiroler nach dem ,Anschluß' einen Berliner, ,habt's ihr auch so hohe Berge wie wir in Österreich?' ,Nee', antwortet der Berliner. ,Aber wenn wir welche hätten, wären sie noch viel höher!' Ein Zeitgenosse hat eine weitere, nicht ganz unwesentliche Divergenz gefunden: ,Der österreichische Humor unterscheidet sich vom deutschen dadurch, daß es ihn gibt.'"

Damit, wie überhaupt, bedient Markus - nicht einmal schlecht - das Klischee von 1945, das vielen noch ans Herz gewachsen ist: Die Österreicher sind völlig andere Menschen als die Deutschen, ganz, ganz anders, ein echter Österreicher kann deshalb gar kein Nazi gewesen sein, jedenfalls kein echter. Hier aber der beste Flüsterwitz des Jahres 1938, vor der "Volksabstimmung" vom 10. April über den Anschluß, die offiziell mit 99,73 Prozent Ja-Stimmen ausging: Reichspropagandaminister Goebbels fürchtet, daß 110 Prozent herauskommen.

Unheimlich österreichisch bewältigte nicht nur Österreich, sondern bewältigt auch Markus den April 1945: "In den letzten Kriegstagen fliegen die Alliierten schwere Luftangriffe auf Österreichs Städte. In Wien werden Oper, Burgtheater und Kunsthistorisches Museum beschädigt, andere Gebäude sind vollkommen zerstört. Am 29. März überschreiten sowjetische Truppen die österreichische Grenze, die Schlacht um Wien erreicht ihren Höhepunkt. ,Was ist der Unterschied zwischen der Sonne und Hitler?' ,Gar keiner. Beide gehen im Westen unter.'" Er macht, zugegeben, dazwischen ein paar Absätze.

Als die Nationalratswahl 1999 stattfand, war das Buch gedruckt. Welches Glück. Um unangenehme Ereignisse durch die Brille des Humors sehen zu können, müssen sie wie ein Stück Wild gut abgehangen sein. Vielleicht hätte er sich durch Aktualisierung eines Witzes helfen können, den er bei 1938 einflicht: "Beim Grafen Bobby läutet das Telefon. Eine Stimme sagt: ,Entschuldigen Sie, ich habe falsch gewählt.' Bobby erwidert: ,Das haben wir alle!'"

Aber die Gegenwart widersetzt sich halt stets mehr der Verharmlosung als die Vergangenheit, und Verharmlosung ist ein durchgehender Zug dieses unterhaltsamen Buches. Es ist eben sehr österreichisch. Auch mit seinen Fehlern. Es könnte ja auch kein Mensch alles überprüfen. Wozu auch. In diesem Sinne ein wahres Wort von Egon Friedell. Karl Kraus ist am 12. Juni 1936 gestorben. "Was fehlt," zitiert ihn Markus, "sind Strafbestimmungen gegen die öffentliche Unzucht, die mit der deutschen Sprache getrieben wird." Einige Wochen später drängt Alfred Polgar in einer Gesellschaft zum Aufbruch, worauf Friedell fragt: ",Polgar, was ist, du gehst so zeitlich?' Polgar erwidert: ,Wie kannst du zeitlich sagen?' Worauf Friedell meint: ,Jetzt, wo der Kraus tot ist!'"

SIE WERDEN LACHEN, ES IST ERNST Eine humorvolle Bilanz unseres Jahrhunderts aus Österreich Von Georg Markus Amalthea Verlag, Wien 1999 350 Seiten, geb., öS 291,-/e 21,14

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