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Grillparzer und sein „Ottokar“

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Dem Beschluß des Burgtheaters, mit Crillparzers „König Ottokars Glück und Ende“ wieder zu eröffnen, ging eine lebhafte Diskussion voraus. Nun, Diskussionen über „König Ottokar“ sind kein Vorrecht unserer Tage. Schon die Uraufführung dieses Stückes erhitzte seinerzeit die Gemüter. Grillparzer berichtet in seiner dritten, für die kaiserliche Akademie der Wissenschaften abgefaßten Selbstbiographie über dieses schmerzliche Kapitel seines Lebens. Bei dessen Lektüre steht vor unserem geistigen Auge das alte Oesterreich auf, seine Menschen und ihre Probleme werden deutlich. Mitunter freilich gewinnen wir auch den Eindruck, allen gewaltigen Veränderungen zum Trotz gäbe es unter der Wiener Sonne wenig Neues. Vieles, was uns und unsere Zeit bewegt, beschäftigte in irgendeiner Variation bereits auch unsere Vorfahren. ''Lassen wir jedoch Grillparzer selbst sprechen:

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Dem Beschluß des Burgtheaters, mit Crillparzers „König Ottokars Glück und Ende“ wieder zu eröffnen, ging eine lebhafte Diskussion voraus. Nun, Diskussionen über „König Ottokar“ sind kein Vorrecht unserer Tage. Schon die Uraufführung dieses Stückes erhitzte seinerzeit die Gemüter. Grillparzer berichtet in seiner dritten, für die kaiserliche Akademie der Wissenschaften abgefaßten Selbstbiographie über dieses schmerzliche Kapitel seines Lebens. Bei dessen Lektüre steht vor unserem geistigen Auge das alte Oesterreich auf, seine Menschen und ihre Probleme werden deutlich. Mitunter freilich gewinnen wir auch den Eindruck, allen gewaltigen Veränderungen zum Trotz gäbe es unter der Wiener Sonne wenig Neues. Vieles, was uns und unsere Zeit bewegt, beschäftigte in irgendeiner Variation bereits auch unsere Vorfahren. ''Lassen wir jedoch Grillparzer selbst sprechen:

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„Zwei Jahre waren verflossen und ich stand mit meinem Stücke noch auf demselben Punkte. Es war bei der Zensur eingereicht worden, dort aber verschwunden. Es wußte niemand, wo es hingekommen sei. Anfangs hieß es, es sei der Staatskanzlei mitgeteilt worden und befinde sich in den Händen des Hofrates Gentz. Ich ging denn zu Gentz.

Noch erinnere ich mich des widerlichen Eindrucks, den die Wohnung des Mannes auf mich machte. Der Fußboden des Wartesalons war mit gefütterten Teppichen belegt, so daß man bei jedem Schritte wie in einen Sumpf einsank und eine Art Seekrankheit bekam. Auf allen Tischen und Kommoden standen Glasglocken mit eingemachten Früchten zum augenblicklichen

Naschen für den sybaritischen Hausherrn, im Schlafzimmer endlich lag er selbst auf einem schneeweißen Bette im grauseidenen Schlafrock. Ringsherum Inventionen und Bequemlichkeiten. Da waren bewegliche Arme, die Tinte und Feder beim Bedarf näher brachten, ein Schreibpult, das sich von selbst hin und her schob, ich glaube, daß selbst der Nachttopf, allenfalls durch den Druck einer Feder, sich zum Gebrauch darreichte. Gentz empfing mich kalt, aber höflich. Er hatte mein Stück allerdings empfangen und gelesen, aber bereits wieder abgegeben. Ich ging. Neuer Kreislauf, neue Ungewißheit, zuletzt Verschwinden aller weiteren Spur.

In welche Lage mich das setzte, kann jedermann denken. Es fiel mir nicht einmal ein, einen neuen Stoff zu wählen, denn wenn dieser loyalpatriotische Anstände fand, was war irgend-sonst durchzubringen?

Da kam endlich Hilfe von einer Seite, wo man sie am wenigsten erwartet hätte. Die jetzige Kaiserin-Mutter, damals regierende Kaiserin, befand sich unwohl. Der Dichter Matthäus Collin, einer der Lehrer des Herzogs von Reichsstadt, kam zu ihr, wahrscheinlich um Bericht über die Fortschritte seines Zöglings abzustatten. Da ersucht ihn die gebildete Frau, ihr Bücher zur Lektüre vorzuschlagen. Er nennt ihr einige Werke, die sie aber bereits kennt. Gehen Sie doch zur Theaterdirektion, sagt sie ihm, und fragen Sie an, ob nicht irgendein interessantes Manuskript vorliege, bei der künftigen Aufführung werde ich es mit doppeltem Anteile sehen. Collin geht zur Theäterdirektion und erfährt, daß nichts als unbedeutende Bluetten da seien, die erst durch die Aufführung einen Wert bekommen. König Ottokars Glück und Ende könnte allenfalls Ihre Majestät interessieren, es liege aber seit zwei Jahren bei der Zensur und man könne es trotz aller Bemühungen nicht zurückerhalten. Collin nimmt seinen Weg auch zur Zensurhofstelle, und als man dort den Zweck der Nachfrage erfährt, ist das Stück augenblicklich gefunden.

Collin liest es der Kaiserin vor, die nicht genug erstaunen kann, daß man das S'ück verbieten wolle. In dem Augenblick tritt ihr Gemahl ins Zimmer. Die Kaiserin teilt ihm ihre Verwunderung mit und wie sie in dem Stücke nichts als Gutes und Löbliches gefunden. Wenn sich das so verhält, sagt der Kaiser, so mag Collin zur Zensur gehen und ihnen sagen, daß sie die Aufführung erlauben sollen. Collin, ein im höchsten Grade ehrenwerter Mann, hat den Vorgang vor niemandem verhehlt, und so habe auch ich ihn erfahren. Und so bedurfte es eines Zufalls, um eine Arbeit, die mir, alles andere abgerechnet, eine mehr als iahrelange Sammler-mühe gekostet, nicht aus der Reihe der Dinge verschwinden zu lassen.

Man ging nun an die Afffihrung. Anschütz gab den Ottokar sehr gut. Die Schröder übernahm die kleine Rolle der Margarete. Es fanden sich für alle.anderen passende Schauspieler. Noch erinnere ich mich der Wunderlichkeit, daß Heurteur, der Darsteller des Rudolf von Habsburg, der alles bildlich nahm und wegen Lln-päßlichkeit der Leseprobe nicht beiwohnen konnte, als er mir ein paar Tage darauf auf dem Glacis begegnete, anhielt, um mich über seine Auffassung der Rolle zu Rate zu ziehen. Nun, und wie wollen Sie den Rudolf spielen? fragte ich. Halb Kaiser Franz und halb heiliger Florian, war seine Antwort. Sehr gut, versetzte ich. Wir gingen auseinander, und Heurteur gab seine Roi'e höchst befriedigend.

Als 'der Tag der Aufführung kam, gab es ein Gedränge, desgleichen man im Hofburgtheater weder früher noch später erlebt hat. Leider konnte ich die Ehre dieses Zulaufs nicht bloß mir anrec'-nen, es war vielmehr das Gerücht, daß das Stück von der Zensur verboten gewesen sei, was dem Publikum die Aussicht auf einen allfälligen Skandal eröffnete. Als nun alles höchst loyal und unverfänglich ablief, selbst die Versuche, längstvergangene Ereignisse an neue und an gegenwärtig lebende Personen anzuknüpfen nicht recht gelingen wollten, sah inan sich in einem Teil seiner Erwartungen getäuscht. Zugleich war die Form des Historischen damals glücklicherweise noch nicht geläufig, man hatte sich noch nicht Rechenschaft gegeben, daß man derlei nicht wie ein Miniaturbild nahe vor das Auge, sondern wie ein Deckengemälde in einige Entfernung bringen müsse. Die wegen Mangel des Raumes auf die Spitze getriebenen Situationen schienen übertrieben, man vermißte die stetige Folge des Natürlichen. Das Publikum war nämlich selbst noch natürlich, es hatte noch nicht iene Höhe erklommen, auf der ihm nichts gefällt, als was ihm mißfällt, der Zustimmung aber den Anschein einer höheren Bildung gibt. Es wurde ungeheuer viel geklatscht oder vielmehr, da das Gedränge das Klatschen unmöglich machte, gejubelt und gestampft, aber ich merkte wohl, daß der Eindruck nicht lebendig ins Innere gedrungen war. Der Beifall erhielt sich bei allen Wiederholungen, dessen ungeachtet war es, als ob das Stück durchgefallen wäre, wenigstens wichen mir alle Freunde und Bekannten aus, als ob sie ein Gespräch über das neueste theatralische Ereignis gefürchtet hätten. Am übelsten waren die Bewunderer meiner Sappho zu sprechen,“ sie wendeten auf das eine Stück an, was von dem anderen galt, als ob sie von der Verschiedenheit der Stoffe gar keine Vorstellung hätten, und ich entfernte mich aus den wenigen Häusern, die ich bisher besucht hatte, um nur nicht sachunkundige Einwendungen in einem fort berichtigen zu müssen.

Was bei den übrigen heimlich rumorte, sprachen in höchster Entrüstung die in Wien lebenden Böhmen aus. Die tschechische Nation ist gewohnt, den König Ottokar als den Glanzpunkt ihrer Geschichte zu betrachten. Darin haben sie ganz recht; wenn sie ihm aber durchaus löbliche Eigenschaften zuteilen, so widerlegt sie schon der Umstand, daß seine neuen Untertanen sich gegen ihn gewendet und seine alten ihn verlassen haben. Im ganzen dürfte meine Auffassung auch historisch ziemlich richtig gewesen sein. Wenn ich ihm etwas Zufahrendes und, wie ich es oben genannt, Wachstubenmäßiges gegeben hatte, so war es, weil mir der Kaiser Napoleon vorschwebte; man kann aber nicht sagen, daß Ottokar nicht so gewesen ist, weil niemand weiß, wie er wirklich war. Die Aufzeichnungen über ihn sind höchst dürftig. Indem ich vorzugsweise österreichischen Quellen folgte, geriet freilich — was übrigens schon die dramatische Notwendigkeit forderte — die

Hauptfigur etwas ins Dunkle, aber vor ein paar Jahren hatte man ein Stück „Ottokar“ von Kotzebue aufgeführt, in dem der Held zu einer Art Kinderschreck gemacht war, ohne daß jemand dabei ein Arges gehabt hätte.

Die nationale Aufregung, die von den böhmischen Studenten in Wien ausging, setzte sich aber auch nach Prag fort. Ich erhielt von dort anonyme Drohbriefe, von denen ich noch einen aufbewahre, wo schon auf der Adresse die Grobheiten beginnen, indes im Innern mit der Hölle als Strafe für meine teuflischen Verleumdungen gedroht wird. Es ging soweit, daß, als kh im nächsten Herbst eine Reise nach Deutschland beabsichtigte und dabei Prag als eine der interessantesten Städte nicht übergehen wollte, meine Freunde mir ernstlich abrieten, weil sie von der gereizten Stimmung eine Gefahr für mich befürchteten. Ich ging trotz Stimmung und Warnung über Prag und habe während eines dreitägigen Aufenthaltes wohl schiefe Gesichter gesehen, aber sonst nichts Unangenehmes erfahren.

So lächerlich mir einerseits diese Ueber-treibungen eines im Grunde löblichen Nationalgefühles waren, so weh tat es mir anderseits, gerade des Löblichen der Grundlage wegen ohne Absicht Anlaß gegeben zu haben, daß ein ehrenwerter, in denselben Staatsverband gehöriger Volksstamm sich meine harmlose Arbeit zu einer Verunglimpfung und Beleidigung formuliere. Ich wußte in der Tat nicht mehr, was ich tun sollte. Wo ich hintrat, stieß ich an; und wo. ich Dank erwartet hatte, machte man mich für fremde Absurditäten verantwortlich. Es ist ein Unglück für Oesterreich, in seinen Länderkomplex zwei der eitelsten Nationen dieser Erde einzuschließen, die Böhmen nämlich und die Ungarn. Damals schlummerte diese Eitelkeit noch und war in dem Streben nach einer allgemeinen Bildung eingehüllt, als aber in der Folge die deutsche Literatur die Nationalitäten hervorhob, wobei sie aber nicht die Deutschen zur Wahrung ihres Nationalcharakters ermuntern, sondern ihnen einen ganz neuen Charakter anbilden, sie aus einem ruhigen, verständigen, bescheidenen und pflichttreuen Volke zu Feuerfressern und Weltverschlingern machen wollte, da übersetzten Tschechen und Madjaren die deutsche Albernheit unmittelbar ins Böhmische und Ungarische, dünkten sich originell in der Nachahmung und erzeugten jene Ideenverwirrung, die im Jahre 1848 sich so blutig Bahn gebrochen hat. Sie vergaßen dabei, alles andere abgerechnet, daß ein Volksstamm kein Volk, so wie ein Idiom oder Dialekt keine Sprache ist, und wer nicht allein stehen kann, sich anschließen muß.

Da ich bei der damals in Deutschland herrschenden Erbitterung gegen Oesterreich nicht hoffen konnte, für meinen durchaus öster-. reichisch gehaltenen Ottokar einen Platz auf den übrigen deutschen Bühnen zu finden, und zugleich in der Heimat Rückfälle der Zensur fürchtete, so hatte ich zugleich mit der Aufführung mein Stück im Druck erscheinen lassen, wo sich denn das Merkwürdige begab, daß mein Verleger an einem Tage, dem der Aufführung nämlich, 900 Exemplare verkaufte; ein Absatz, der sich freilich in der Folge ins natürliche Verhältnis zurücklenkte.

Als von einem gedruckten Stücke, für das man daher kein Honorar zu bezahlen brauchte, bereitete auch ein zweites Theater, das an der Wien, die Aufführung vor. Wie diese beschaffen war, kann man daraus abnehmen, daß der mit der Rolle des Ottokar betraute Schauspieler, der jetzt in Berlin engagierte Herr Rott, am Tage nach der ersten Darstellung im Burgtheater einen meiner Bekannten über den gestrigen Erfolg, vor allem aber über die Art fragte, wie Anschütz den Ottokar gehalten habe. Als dieser ihm sagte: streng, heftig, hart, erwiderte Rott, der das Stück noch gar nicht kannte: Ich werde ihn mild geben.

Ich muß noch eine Anekdote als hierher gehörig anführen, und zwar eine Zensuranekdote. Ein paar Jahre später fuhr ich mit dem Hietzin-ger Gesellschaftswagen von Hietzing nach Wien. Ich kam neben einen Hofrat der Zensurhofstelle zu sitzen, der mir schon früher als Polizeidirektor in Venedig während meines dortigen Aufenthaltes alle Freundlichkeiten erwiesen hatte und mir bis auf diesen Augenblick immer zugetan geblieben ist. Er begann das Gespräch mit der damals in Wien stereotypen Frage: warum ich denn gar so wenig schriebe? Ich erwiderte ihm: er, als Beamter der Zensur, müsse den Grund wohl am besten wissen. Ja, versetzte er, so seid ihr Herren! Ihr denkt euch immer die Zensur als gegen euch verschworen. Als Ihr Ottokar zwei Jahre liegenblieb, glaubten Sie wahrscheinlich, ein erbitterter Feind verhindere die Aufführung. Wissen Sie, wer es zurückgebalten hat? Ich, der ich, weiß Gott, Ihr Feind nicht bin. — Aber Herr Hofrat, versetzte ich, was haben Sie denn an dem Stücke Gefährliches gefunden? — Gar nichts, sagte er, aber ich dachte mir: man kann doch nicht wissen! — Und das sprach der Mann im Tone der wohlwollendsten Gutmütigkeit, so daß man wohl sah, der mit den Angelegenheiten der Literatur betraute Beamte habe nicht die geringste Vorstellung von literarischem Eigentum, sowie daß .die Arbeit des Dichters wenigstens ebensoviel Anspruch auf Geltung und Vergeltung habe als die des Beamten oder des Handwerkers.“

Dieser Aufsatz ist, wie der nebenstehende Essay von Kurt Skalnik, dem soeben im Bergland-V erlag, Wien, erschienenen Band 7/8 der Oesterreich-Reihe: Grillparzer, „König Ottokars Glück und Ende“, entnommen.

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