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Salzburg retour

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Dies ist die Geschichte des letzten Wochenendes vom Jänner 1974, welches ich, von Gertrud Frank, der damaligen Lektorin des Residenz-Verlages, eingeladen, in Salzburg verbrachte, um mit ihr an Mozarts Geburts- oder Todestag ein Konzert zu besuchen, nämlich die Geschichte der Stunden, in denen die Zeit immer wieder stehenblieb oder zurücksprang, umstellt von Traumtraurigkeit, Todesahnungen und dem Halbschlafspiel mit Ängsten (wie zum Beispiel mit Vermutungen über ein bevorstehendes Initiationsritual): Ubernächtigkeit und die Unaussprechlichkeit einer an sich unverfänglichen Frage mag diese Stimmung verursacht haben, vielleicht die von Gertrud Franks Parfüm geweckten Erinnerungen an eine Tote, aber vielleicht kam alle Betroffenheit nur von der Vermischung unserer Parfüms zu dem alle Heiterkeit lähmenden Geruch beim Requiem für die Großmutter mehr als zehn Jahre zuvor (und es ist dies ein Wochenende gewesen, möchte ich drei Jahre später ergänzen, an welchem die Verklärung dem Tod zuvorgekommen ist: was sonst könnte das symbolistische Vokabular von „Salzburg retour“ - Schwan, Ritter, Weihrauch... - verursacht haben).

Gertrud Frank hat die erste Fassung von „Salzburg retour“ zweieinhalb Monate später gelesen, zwar da und dort Abänderungen und Ergänzungen vorgeschlagen, aber - davon angetan, mir zu einer Geschichte verholfen zu haben, in der sie selbst enthalten ist -der Beibehaltung ihres Namens in der Abkürzung „GF“ sofort zugestimmt Die zweite und umfangreichere Fassung hat sie Ende August desselben Jahres übernommen, während einer Schiffsreise im September zu lesen sich vorgenommen, zu welcher Reise es aber „wegen eines lästigen Bronchialkatarrhs und einer Stimmbandreizung“ nicht mehr gekommen ist: daß Gertrud Frank diese Fassung nicht mehr gekannt hat, erspart mir heute Bedenken wie diese, sie ahnungslos-leichtfertig auf das verwiesen zu haben, was dann geschehen ist.

Nach ihrem Tod habe ich dem Schlußteil der Geschichte einige Seiten hinzugefügt und da und dort manches, was aus Rücksicht oder aus Scheu, dem Unverständlichen nachzugehen, Andeutung gewesen war, verdeutlicht, an dem Text selbst aber nichts verändert (wenn ich sagen wollte, daß sich durch ihren Tod meine Ängste in Salzburg bewahrheitet haben, wäre das nicht ganz richtig: Erst durch ihren Tod sind mir meine Ängste vor irgendeiner Trennung und irgendeinem Abschied eindeutig geworden, denn selbst als ich dieses Wochenende beschrieb, verstand ich nicht, daß es vom Tod gehandelt hat; und wie GF die erste Fassung verstanden hat, habe ich nie erfahren: vielleicht hat sie damals Angst um mich

gehabt) und da in dieser Geschichte in Bildern und unseren Gesprächen die Frage wiederkehrt, wem von uns beiden etwas Schlimmes drohe, möchte ich noch hinzufügen, daß GF, im selben Jahr wie ich geboren, im Oktober wenige Tage vor meinem Geburtstag gestorben ist. J. Sch.

Die Bemerkung „die Musik war sehr schön, ja, aber der Honiggeruch ist mir so abgegangen, daß mich das eine Glasstückchen des Lusters mit jedem Zittern an das letzte Flackern von Kerzenflammen denken lassen hat!“, werde ich nach dem Konzert im Foyer glücklicherweise unterdrücken - denn als dann GF beim Ausgang den deutschen Freund und seine Frau begrüßt, sind mir ihre zitternden Ohrgehänge so sehr Zeichen einer Erschöpfung oder einer nicht mehr kontrollierbaren Angst, daß die mir am Morgen vor dem VW der Funkstreife zugeflogene Frage, ob GF, ohne zu rasten, die Kapuzinerbergstiegen hinaufgehen würde, mich in der Befürchtung, sie habe so teure Konzertkarten gekauft, um sich den Weg auf die Galerie zu sparen, so lange ängstigt, bis sie draußen vor dem Mozarteum die Nachtausgabe einer Zeitung in ganz ruhigen Händen hält (und während ich ihr über die Schulter in die Zeitung schaue, streift mich die Erinnerimg an unser erstes Zusammentreffen: Ich hatte im Durchhaus der Verlagsrepräsentanz in Wien, zu früh dorthingekommen, auf sie gewartet und sie dann unter den vielen, die im Lauf einer Viertelstunde den Hausflur betraten, ja und nein sofort erkannt: Diese Dame in Trauer ist es, nein, das kann sie nicht sein!, und ich lasse sie, mich wegdrehend, an mir vorbeieilen - erst als ich dann läute, wundere ich mich über den Eindruck „Trauer“, wo sie als einziges Schwarz eine Kappe aus schwarzem Samt getragen hat). Aber ganz beruhigt werde ich erst sein, sobald sie, mit uns dreien in die Wohnung zurückgekehrt, aus Mitleid mit der Indienuntauglichkeit des anscheinend robusten Deutschen ein Fenster öffnet und zu mir herüberlacht, als sich sein Hustenanfall nach einem Honigkeks halbwegs beruhigt: Und so werde ich aus Dankbarkeit für den von ihm an sich selbst geführten Beweis, daß die äußere Erscheinung und die Hautfarbe wenig über Gesundheit und Anfälligkeit aussage, „hat er etwas gegen Weihrauch?“ GF zuzuflüstern unterlassen, dafür seinem Kompliment für das schöne Kleid, als GF umgekleidet ins Zimmer tritt, erleichtert zustimmen (und mein Erschrecken vor GF's Körperlosigkeit in dem etwas düsteren Abendkleid mit den an hektische Flecken gemahnenden Rosen vergessen...

„Mein Gott - auch Sie hatten als Kind dieses Schutzengelbüd?“ , Ja bestimmt war es das gleiche, der

Engel sah wie eine Walküre mit Flügeln aus, wie eine getaufte Schwanen-jungfrau!“

„Ja tatsächlich, wie eine Schwanen-jungfrau, wenn es dieses Geflügel gibt, so sah der Schutzengel aus, nur im Un-

terschied zu diesem Vogel hier war jede Flügelspitze weiß wie Schnee!“, wiederhole ich (wem eigentlich sind Schwäne heüig?), „aber wie sind wir

eigentlich auf ihn zu sprechen gekommen?“ (daß der Schwan das Attribut des heiligen Giselbert ist, der oft bis zum Hals in den Fluß gestiegen sei und aus Liebe zur Einsamkeit so gebetet habe, zwischen den Gebeten von Fischottern bedient, werden wir uns in sich kreuzenden Briefen einige Tage später mitteilen; und GF wird ein letztes Mal, eigentlich das einzige Mal, auf den Nachmittag anspielen, wenn sie mir zu Ostern einen geschnitzten Hahn schicken wird: „Leider wieder kein Schwan, sondern auch nur ein Huhn, dafür statt mit traurigem Honiggeruch gefüllt mit vielen frohen Osterwün-schen!“)

„Ich werde in der Karwoche nach Mariazell oder noch besser: Nach Czenstochau fahren, vielleicht wird sich unsere Schutzengelin, ehrwürdige Ladenhüterin des Wallfahrermarktes, ausgraben lassen!“

Wenn ich nicht so übernächtig wäre, würde ich dafür sorgen, daß zwischen GF und mir mehr geredet wird, das wäre wirksamerer Widerstand gegen den Schwan, als ihn ängstlich zu verschweigen, und auch dafür sorgen, daß unsere Sätze nicht länger mehr bedeuten, als sie bedeuten - nur warum hat sich, wenn nichts etwas anderes zu bedeuten hat, als es bedeutet, Heiterkeit in die Beklemmung gemischt, als die Augen der hustend Ausgeschlossenen, kaum daß das Wort .Honig' gefallen ist, tränen?

Ja, nach Spanien, aber nicht, um mich zu überzeugen, ob der Montserrat Parsifals Munsalvaesche ist, in einem Hotelnamen hätte sich sicherlich ein entsprechender Hinweis gefunden, die keltische Mythologie interessiert mich ja auch erst seit heute Nacht; und seit ich nicht mehr per Autostop reise (die Einsicht, dafür eigentlich schon längst zu erwachsen zu sein, war mir die erste Ankündigung des mittleren Alters und der mit einigem Glück noch nicht ganz erreichten Hälfte des Lebens), fahre ich manchmal nach Polen, meist aber nur nach Italien, am häufigsten auf ein Wochenende nach Venedig - das hat nichts mit dem Venedig zu tun, welches Thomas Mann inspiriert hat, denn wie könnte ich mich dann dort jedes Mal wundern, daß Richard Wagner ausgerechnet in Venedig am „Tristan“ gearbeitet hat! Mir jedenfalls wird die Todessehnsucht, sooft ich Liebespaare in diesen schwarzen Trögen mit den schwarzen Flügeln lehnen und sich von einem Gondoliere mit dem lächerlichen Hut durch die schmutzigen Kanäle schieben lasse sehe, unglaubwürdig, Gondeln sehen auch wie die Mondsichelaus.aufderdieLourdesMa-donna steht. Ich fahre bloß gern nach Venedig, weil ich im schaukelnden Nachtzug wie der Schwan in der Kiste besonders gut schlafe und manchmal, wenn die Jalousien stark flattern, vom Pfauchen der italienischen Espressomaschinen am Morgen träume.

Erinnern Sie sich vielleicht an das Verkündigungsbild Simone Martinis gleich im ersten Saal der Akademie? Eine zu einem Transparent angewachsene Sprechblase, ich weiß den Fachausdruck dafür nicht, beschriftet mit den ersten Worten des englischen

Grußes, verbindet den Mund des Erzengels und das Ohr der Jungfrau, und überdies ist die Lilie in seiner Hand mit allen Blüten auf sie gerichtet - immer wieder ist mir dieses Bild eine naive Deutung der jungfräulichen Empfängnis, indem das, was vom Erzengel als künftiges Wunder verkündet wird, im Augenblick der Verkündigung in einer Sprechhauch Übertragung und Windbestäubung schon geschehen ist, und so ist mir der Erzengel Gabriel als zarter Vermittler des göttlichen Wort-und Liliensamens der Walküre, die mit einem „Sigmund, sieh auf mich“ dem Helden den Todesbazillus des Vaters zuhaucht, mehr verwandt als einem Schutzengel, der doch im Gegenteil dazu da ist, von seinem Schutzbefohlenen alles, auch Blütenpollen, abzuwehren. Das mag, fällt mir jetzt auf aber noch mehr damit zu tun haben, daß mich als Kind unser Dienstmädchen zum „Indischen Grabmal“ heimlich ins Kino mitgenommen hat und mein Vater ein leidenschaftlicher Entenjäger gewesen ist: seit sich die Ma-harani, oder wen immer die deutsche Inderin La Jana zu spielen hatte, schützend vor den Maharadscha bzw. der ihm zugedachten Kugel in den Weg geworfen hatte, war für mich ein Schutzengel ein heiliger Vogel, welcher, wenn auf das von ihm bewachte Kind gezielt wird, in die Schrotsalven fliegt und dann an seiner Statt, bald wieder lebendig, in die Tiefe stürzt.

Übrigens gehe ich nicht nur morgen mit Ihnen in den Dom, sondern gehe auch in Italien gern in die Kirche, meine Lieblingslektüre ist der Beichtspiegel im Kindergebetbuch:

Wenn man so wenig Italienisch kann wie ich, gerät man dabei sogleich in ein Verhör über unerhörte Verbrechen, ich werde zum Beispiel gefragt, ob ich einem anderen die Gurgel zerquetscht oder ihn mit einem Polster erstickt hat-, te, und wenn ich dann nach der Messe ins Freie trete, sehe ich in jedem jungen Mann, der auf- und abgehend eine Zeitung liest, einen Selbstmörder, der, sich auf die letzte Beichte vorbereitend, sein Gewissen erforscht, sich aber vor der Frage: „Du sollst nicht töten, heißt es - hast du Halsweh zu haben der Mutter verschwiegen? Hast du den Hustensaft brav getrunken?“ eines besseren besinnt, plötzlich begreifend, daß allein schon nicht zum Arzt zu gehen, wenn einem etwas weh tut, eine Sünde gegen das fünfte Gebot ist.

Aber eigentlich wollte ich apropos Richard Wagners Venedig etwas anderes sagen, aber hier kann man ja nicht ruhig schlafen, wenn immer mit den Türen geschlagen wird - wieso wollen Sie, das versteh ich wirklich nicht, bei den nächsten Osterfestspielen schon wieder in den „Tristan“ gehen, wenn Sie Venedig nicht leiden mögen und mit Recht die Gondeln kitschig und makaber finden? Da haben Sie sich beim letzten „Tristan“ gewundert, das haben Sie mir doch geschrieben?, daß Sie in ihrer Bayreuther Zeit, zu jung, zu unbeschwert, zu gesund waren, die „suggestive Verführung“ wahrzunehmen, die vom zweiten Akt ausgeht, und dann wollen Sie noch einmal hingehen?

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