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Schuschnigg bei Hitler
Mit den Worten .Alles gerettet!“ soll am 8. Dezember 1881 der Polizeichef von Wien vor dem brennenden Ringtheater, in dem gerade 386 Menschen ums Leben kamen, den Thronfolger beschwichtigt haben. Die amtlichen Berichte von der „Aussprache“ des österreichischen Bundeskanzlers Kurt von Schuschnigg mit Adolf Hitler auf dem Obersalzberg am 12. Februar 1938 ähnelten zum Verzweifeln dem „Alles gerettet!“ des Beschwichtigungshofrates.
Die „Begegnung“, die der von Hitler abberufene deutsche Botschafter Franz von Papen schnell noch eingefädelt hatte, kam überstürzt, ohne Möglichkeit für
Schuschnigg, sich in Ruhe vorzubereiten, zustande. Die „Einladung“ war eine Vorladung.
Am 12. Februar, am vierten Jahrestag des österreichischen Bü% gerkriegs — Hitler war ein Meister solcher Nadelstiche —, steht Schuschnigg Hitler gegenüber und im „Neuen Wiener Tagblatt“, „Trauer muß Elektra tragen“ von Eugene O'Neill sei „ein Kriminalstück mit einer Fülle von seelischen Differenziertheiten“ und im Burgtheater „mit einer abwehrenden Aufmerksamkeit angehört“ worden. Kein Wort von Berchtesgaden.
Sonntag, 13. Februar: Die Nachricht. Schuschnigg habe sich, erfährt das „Neue Wiener Tagblatt“ „von informierter Seite“, „am Donnerstag zur Reise nach Berchtesgaden entschlossen“, sie sei längst fällig gewesen, „verschob sie aber infolge verschiedener, auf die Aktionen der österreichischen Illegalen zurückzuführender Unstimmigkeiten immer wieder, bis sie jetzt auf Grund eines persönlichen Wunsches Hitlers zustande kam“.
Es ist erstaunlich, was die bloße Tatsache des Gespräches zwischen Schuschnigg und Hitler bewirkte. Die „Neue Freie Presse“: „Bei so scharf umrissenen Persönlichkeiten, wie es der Bundeskanzler Dr. v. Schuschnigg und der Reichskanzler Adolf Hitler sind, ist wohl anzunehmen, daß bei den eingehenden Erörterungen die einzelnen Probleme auch scharf abgesteckt wurden... Es ist anzunehmen, daß sowohl die österreichischen als die deutschen Staatsmänner den Wunsch haben, die von ihnen beabsichtigte Bereinigung in konkreterer Form zu einem späteren Zeitpunkte fortzusetzen. Zweifellos war die Aussprache des gestrigen Tages bedeutsam. Sie bot die Gelegenheit, offen und freimütig die Standpunkte zu vertreten.“
In der „Reichspost“ steht, sicher sei von den „Störungen und Mißdeutungen ... in der heutigen Aussprache der beiden führenden Staatsmänner irgendwie die Rede gewesen. Aber die Einladung wie deren Annahme... sind sinngemäß auf die Beseitigung noch vorhandener Hemmnisse gerichtet gewesen und alles, was man bisher... vernahm, berechtigt zu der Hoffnung, daß Reichskanzler Hitler und Bundeskanzler Schuschnigg... von Mann zu Mann einander nähergekommen sind.“
Vielleicht wäre es besser gewesen, die Welt hätte schon damals die Wahrheit vernommen. Schuschnigg hatte Hitlers Schrei-Monologe über sich ergehen lassen und war kaum zu Wort gekommen. Daß Hitler dem Kettenraucher die Zigaretten verbot, erhöhte den Druck. Mehrmals hatte Hitler „Keitel!“ gebrüllt und Schuschnigg einfach aus dem Raum geschickt wie einen Schulbuben - er ließ den Feldmarschall sich niedersetzen und warten, ohne mit ihm zu reden. Der Bluff wirkte. Schuschnigg und sein Außenminister Guido Schmidt glaubten, der Einmarsch stehe unmittelbar bevor.
Am 16. Februar machte Schuschnigg „vereinbarungsgemäß“ den Nazi Arthur Seyß-In-quart zum Minister für Inneres und Sicherheitswesen. Ebensogut hätte er Hitler gleich um den Anschluß bitten können. Trotzdem schreibt die „Reichspost“: „Ein Kabinett der Konzentration und des Friedens“, und die „Neue Freie Presse“: Es sei „kaum wahrscheinlich, daß die österreichische Frage sich verschärfen wird“. In London ist man weiter. Die „Times“: „Der deutsche Druck wird weiter andauern. Ein Rätsel in dieser Krise ist die passive Haltung Italiens.“
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