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Wahrheit über Dollfuß

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Aus der Flut zeitgeschichtlicher Darstellungen, mit denen der Büchermarkt in der letzten Zeit überschwemmt wird, ragt das im Niederösterreichischen Pressehaus erschienene Buch von Franz Goldner „Dollfuß im Spiegel der US-Akten“ heraus. Was es hervorhebt, ist das dankenswerte Bemühen des Autors, an der Person von Engelbert Dollfuß einen Zeitabschnitt der österreichischen Geschichte darzustellen, der zu den umstrittensten gehört.

Die amerikanischen Akten als Grundlage der genauen Forschungsarbeit Goldners beweisen eindeutig zwei historische Fakten, die allein darüber Aufschluß geben können, warum es in der Zeit der Kanzlerschaft Dollfuß' vom 20. Mai 1932 bis 25. Juli 1934 so und nicht anders gekommen ist.

Das eine Faktum war die Unabhängigkeitspolitik Engelbert Dollfuß', die sich - das ist im übrigen allgemein unbestritten - auf eine wirksame ausländische Hilfe im Ernstfall stützen mußte. Mit Beginn der dreißiger Jahre, vor allem aber mit der sogenannten Machtübernahme Hitlers am 30. Jänner 1933, war es klar, daß Österreich seine Freiheit und Unabhängigkeit nur dann erhalten konnte, wenn es eine entsprechende Unterstützung auf internationaler Ebene durch seine Freunde erhielte.

Nun, Freunde hatte Österreich viele, aber das Maximum des Ausdrucks dieser Freundschaft war ein allgemein politisches, das aus Freundschaftsbeteuerungen, guten Ratschlägen und manchmal auch aus völlig wirkungslosen Demarchen in Berlin bestand. Die einzige Ausnahme bildete das Italien Mussolinis, dem auch schon sehr bald nach dem Ende des Ersten Weltkrieges von den USA, England und Frankreich gewissermaßen eine Wächterrolle über Österreich übertragen worden war.

Die Gegner der Politik Dollfuß' und später auch Schuschniggs konnten auch niemals die Frage beantworten, an wen sich unter diesen Umständen sonst Österreich hätte wenden sollen als an das faschistische Italien, das - wie die Ereignisse vom 25. Juli 1934 ja auch schlagend bewiesen haben - als einziger Staat bereit war, einem offensichtlich für diesen Tag geplanten Einmarsch deutscher Truppen mit Waffengewalt entgegenzutreten. Im Unterschied zu Dollfuß schwächte Schuschnigg die italienische Hilfsbereitschaft schon bald nach seinem Regierungsantritt ab, indem er bei seinen wiederholten Besuchen bei Mussolini den österreichischen Standpunkt insoferne modifizierte, als er eine Hilfeleistung italienischer Truppen im Falle eines deutschen Angriffs ablehnte.

Das zweite historische Faktum, das Goldner auf Grund der amerikanischen Aktenlage herausarbeitete, ist die Rechtfertigung des Uberganges zur autoritären Regierungsform als der einzig möglichen, um der nationalsozialistischen Terrorpolitik in Österreich Herr zu werden. Damit ist aber auch der innerösterreichische Zwiespalt deutlich gemacht, der durch die ablehnende Politik der Sozialdemokraten entstehen mußte, die das österreichische autoritäre System dem nationalsozialistischen gleichsetzten.

Goldner zitiert eine Bemerkung Otto Bauers in der sozialistischen Zeitschrift „Der Kampf, mit der Bauer „theoretisch die Regierung Dollfuß und die Nationalsozialisten auf die gleiche Linie, wie er es auch auf dem Parteitag im April 1933 getan hatte“, setzte (Seite 61).

Der Autor verschweigt aber - historisch richtig gesehen - nicht, daß seitens der Sozialdemokraten die Dollfuß-Regierung bis zum Februar 1934 „toleriert“ wurde, Weil - wie Otto Bauer in dem oben angeführten Zitat ergänzte - „die Nationalsozialisten viel gefährlicher wären“. Diese Tolerierung beschränkte sich allerdings auf ein Minimum und ließ selbst in wirtschaftlichen Dingen jede sozialdemokratische Unterstützung auch dann vermissen, wenn die von der Bundesregierung gesetzten wirtschaftspolitischen Maßnahmen keinerlei parteipolitische Bedeutung hatten.

„Maßnahmen zur Milderung der wirtschaftlichen Folgen der Tausendmarksperre und des deutschen Boykotts österreichischer Waren mußten von der Bundesregierung und die sie stützenden Regierungsparteien ohne Mithilfe der sozialdemokratischen Opposition getroffen werden, obwohl sie Angriffe auf internationaler Ebene gegen den Staat Österreich darstellten... Dem Verfasser ist kein offizieller Parteibeschluß (der Sozialdemokraten) in dieser Frage bekannt geworden“ (Seite 56).

Eingehend befaßt sich der Autor auch mit dem von sozialdemokratischer Seite nach der Selbstausschaltung des Nationalrates immer wieder vorgebrachten Wunsch nach Abhaltung allgemeiner Wahlen. Er erwähnt unter anderem „die Petition der Sozialdemokraten an Bundespräsident Miklas mit 1,200.000 Unterschriften auf Einberufung des Nationalrates im Mai“ 1933, die „doch nicht als eine gegen die Nationalsozialisten gerichtete Maßnahme, die selbst vehement dieses Ziel, Neuwahlen, verfolgten, angesehen werden“ (Seite 56) könne.

Denn es war klar, daß eine Neuwahl der NSDAP in Österreich große Erfolge gebracht hätte. Der wiederholte dokumentarische Hinweis auf einzelne, gegen die Regierung gerichtete gemeinsame Aktionen der Sozialdemokraten und Nationalsozialisten ist aber sicher nur auf unglückliche taktische Erwägungen der Sozialdemokraten und nicht auf ihre programmatische Haltung zurückzuführen.

Wie sehr die sozialdemokratische Parteiführung seit der Selbstausschaltung des Nationalrates am 4. März 1933 schockiert war und ihr das Ende der parlamentarischen Demokratie den Blick für die größeren Zusammenhänge verstellte, kommt an vielen Stellen des Buches zum Ausdruck. So schreibt Goldner: „Die sozialdemokratische Parteiführung versteht die Zeichen der Zeit nicht. Sie verkenht die Vorgänge im Ausland, insbesondere in Frankreich. Sie erkennt nicht das Desinteresse der Westmächte und daß nur Italien die Möglichkeit militärischer Hilfe gegen Nazideutschland bieten kann. Sie sieht nur ihre noch immer im Inland starke politische Stellung“ (Seite 82).

Goldner fällt über die Epoche der sozialdemokratischen Toleranz ein hartes Urteil: „Während das Haus Österreich brannte, wurde seitens der Sozialdemokraten kein Versuch zur Löschung unternommen, sondern nur die Wiederherstellung der vor dem ,Brand' geltenden Hausordnung im Parlament verlangt.“ Dieser Analyse stellt der Autor die Bemühungen Engelbert Dollfuß' entgegen, wieder - d. h. erstmals seit 1918 - einen österreichischen Patriotismus zu erwecken.

„Die Regierung Dollfuß hat die An-tianschlußbewegung dadurch beeinflußt, daß sie den Österreichern wieder ihre eigene Nationalität bewußt machte durch Hinweis auf ihre glänzende politische und kulturelle Vergangenheit und dadurch, daß sie innerhalb von sechs Monaten die Achtung und Sympathie der ganzen zivilisierten Welt erringen konnte.“ (Z itat aus dem Dokument State Department File 863.00/847 - Seite 78.)

Was Franz Goldner im Vorwort zu seinem Werk schreibt, ist in Wirklichkeit die Erkenntnis, die man aus der Lektüre ziehen kann. Er sagt: „Die Ereignisse jener vierzig Jahre zurückliegenden Zeit ersparen keinem Forscher, die Entscheidung zu treffen, von welchem Gesichtspunkt aus er den Ablauf der Ereignisse beschreiben will: ob Erhaltung der Unabhängigkeit des Staates oder Aufrechterhaltung der Demokratie um jeden Preis damals die entscheidende Tagesfrage darstellte und wo die Priorität liegt, wenn das politische Optimum, beide Prinzipien vereinigen zu können, unerreichbar ist.“ Wäre diese Frage damals lösbar gewesen, so hätte sich Österreich zwar nicht die nationalsozialistische Apokalypse, aber viele inneren Kämpfe ersparen können. Nur - sie war damals nicht lösbar.

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