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Sünde und Sühne 1934

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„Denk' an die Tage der Vergangenheit, lerne aus den Jahren der Geschichte" (Dtn. 32,7): Unter diesem Motto aus dem Alten/Testament wird der Gedächtnisgottesdienst zum 12. Februar in Sankt Stephan stehen.

Die Österreicher haben aus der Vergangenheit gelernt. Die „vaterlandslosen" Revoluzzer von 1934 sind 1945 Patrioten, die autoritären Verfassungsbrecher Demokraten und Republikaner geworden. Die Kirche steht, wie Bischof Maximilian Aichern bei einer Feier der Katholischen Aktion der Diözese Linz zu Recht sagen konnte, heute zwischen und über den Parteien.

Alle haben das Beste gewollt, es war eine tragische Verstrickung in Schuld, deren Zuweisung heute sinnlos ist — also Ubergehen zur Tagesordnung? Das geht trotzdem nicht bei einem Thema, das noch immer aufwühlt.

„Bitter ist die Wahrheit der Geschichte, doch besser scheint es, sie auszusprechen, als sie zu verheimlichen." Alexander Solsche-nizyn hat recht. Und jener Leser hat auch recht, der dieser Tage der FURCHE schrieb: „Was Seipel und Dollfuß wirklich ehrt, ist der Umstand, daß sie sich der Kontrolle durch christliche Ethik nicht entzogen haben, auch wenn sie daran scheitern mußten."

Der sozialistische Wissenschaftsminister Heinz Fischer hat in einem vielbeachteten Aufsatz in der FURCHE (Nr. 36/83) einmal die Frage aufgeworfen, ob man denn christliche Politiker an einer ethisch höherwertigen Politik erkennen könne.

Vielleicht nicht. Aber man kann sie daran erkennen, daß sie sich gefallen lassen müssen, an den Grundsätzen der christlichen Ethik gemessen und, weil unvollkommen, verurteilt zu werden. Agnostiker können sich die Ethik-Regeln selbst so formulieren, daß sie eine Einhaltung gerade noch schaffen. Das ist der (ethische) Unterschied.

Deshalb genügt es nicht, heute zu sagen: Damals haben alle gefehlt — Schwamm darüber. Zum Christsein gehört das Bekenntnis der Schuld, die, ungesühnt, vererbbar ist.

Daß Katholiken 1934 und zuvor gefehlt haben, muß aber auch deshalb festgehalten werden, weil jeder1 Hinweis auf schicksalhafte Unausweichlichkeit des Handelns der Männer um Engelbert Dollfuß (und der Männer um Theodor In-nitzer) den Heroismus jener Katholiken ungerecht schmälern würde, die sehr wohl gegen Demokratievernichtung ihre warnende Stimme erhoben: die Bauernführer um Josef Reither etwa, der Industriellenverbandspräsident Ernst Streeruwitz, vor allem aber ein Leopold Kunschak oder auch ein Karl Lugmayer, Verfasser des „Linzer Programms" der christlichen Arbeitervereine Österreichs (1923), der nach Ausrufung des autoritären Ständestaats schrieb, dieser entspreche keineswegs der Enzyklika „Qua-dragesimo anno".

Worin also haben Katholiken 1934 gefehlt, auch wenn ihr Verhalten im nachhinein sicher leichter als damals als irrig erkannt werden kann?

• Sie fehlten zum ersten in der Verteufelung der Demokratie. Gewiß haben das alle damaligen Parteien getan — man denke an Demonstrationsparolen wie „Demokratie ist nicht viel — Sozialismus ist das Ziel".

Aber wenn alle zur Abwertung der Demokratie beitrugen (und sozialistische Historiker wie Norbert Leser und Walter B. Simon geben diese Mitschuld heute offen zu) — abgeschafft haben sie doch Christen. Das sollte man mit ebensoviel Courage, wie die Genannten heute in ihren Reihen brauchen, unsererseits bekennen.

• Daß katholische Priester aktiv am Parteileben teilnahmen und als streitbare Politiker politisch Andersgesinnten auch den Kirchgang verleiden mußten, haben schon lange auch die Bischöfe erkannt. Die Priester wurden 1945 endgültig aus der Parteipolitik zurückgezogen. Sie dürfen nie mehr dorthin zurückkehren.

#. Verteufelt wurde damals nicht nur die Demokratie, verteufelt wurden auch Menschen. Die politische Sprache der Zwischenkriegszeit war eine Sprache des Hasses und der Herabsetzung, von allen betrieben. Katholiken müssen bekennen: Nie wieder dürfen politische Gegner „Hyänen" oder „sozialistisch-kommunistische Verbrecher" genannt werden. Verhalradikalismus ist der Anfang aller Zerstörung.

#. Daß der Staat seine Autorität mit Waffengewalt verteidigte, können auch im. Rückblick viele verstehen — daß er gefangene Gegner (neun Schutzbündler) ständrechtlich aufhängen oder (acht weitere) erschießen ließ, nicht. Die meisten ausländischen Diplomaten protestierten — der Apostolische Nuntius schwieg.

Mit diesem Bekenntnis ist keine Anklage verbunden. Dazu hat keiner der Heutigen ein Recht. Viele derer, die damals fehlten, haben gebüßt - Dollfuß mit dem Märtyrertod. Aber ohne Bekenntnis ist Frieden nicht möglich. Mit dem Bekenntnis begeben wir Heutige uns in die Hand unserer Söhne, Töchter und Enkel, damit auch sie uns wieder messen können. Weniger wäre nicht christlich.

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