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Wie österreichisch ist der RFS?

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Mehr als 28 Prozent der ordentlichen Hörer der österreichischen Hochschulen haben bei den vergangenen Wahlen in die studentischen Vertretungsinstitutionen die Mandatare des „Rings Freiheitlicher Studenten“ gewählt, und seit vielen Jahren tun dies wechselnde Generationen von Studenten. Zwar gilt es als abgemachte Sache, diesen „Ring Freiheitlicher Studenten“ (RFS) als Neonaziorganisation abzutun, um so mehr, als wiederholt Angehörige dieser Organisation einschlägig aufgefallen sind; aber nur wenige ziehen daraus den eigentlich naheliegenden Schluß, Österreichs Studenten seien zu fast einem Drittel nationalsozialistisch verseucht. Die anderen, sie wären eigentlich ernster zu nehmen, gehen aber an der Tatsache des Vorhandenseins dieser Gruppe offensichtlich achtlos vorüber; oder doch nicht, denn die Tatsache, daß diese Studenten irre gehen, stellen sie immer wieder fest, nur ziehen sie daraus nur halbe Konsequenzen.

Mir scheint der Tatbestand auf weite Sicht gefährlich. Denn hier wird der Stab über einen beträchtlichen Teil der kommenden österreichischen Akademikerschaft gebrochen. Als interessante Wählergruppe werden sie politisch bei allen Wahlen von allen Seiten mißbraucht. Der einzelne von ihnen jedoch erhält nur dann echte Chancen, wenn er sich insgeheim ein Parteibuch einer der großen Parteien zulegt, die ihrerseits ihm solches mit aufmerksamer Diskretion nahelegen. Daß diese Parteien sich damit gerade in den Augen der Aufrechten unter ihnen korrumpieren, braucht nicht eigens erwähnt zu werden.

„Heimatlose Rechte“

Es bedarf nur geringer Phantasie, um sich eine mögliche Entwicklung vorzustellen: diese jungen Menschen, die aus was für Gründen immer zum nationalliberalen Lager gestoßen sind, erleben sich als politisch Ausgestoßene, Mißbrauchte und sogar mancher Verbrechen dringend Verdächtige. Meist fehlt ihnen der persönliche Bezug zu jener Zeit, die ihnen zum Vorwurf gemacht wird, sie sehen sich nur mittels wenig bedeutsamer Vokabeln immer wieder provoziert und sich in ihrem eigenen Vaterland teils fremd und teils verfemt. Schon aus dem Trotz der Ausgestoßenen heraus zeigen sie sich solidarisch mit denjenigen ihrer Freunde, die mit den Gesetzen in Verfolgung ihres vermeintlich idealen Zieles in Konflikt geraten sind.

Gerade die Wertvollsten unter ihnen werden es ablehnen, sich dadurch zu korrumpieren, daß sie sich mit einer der großen Parteien arrangieren: sie werden eine zahlenmäßig kleine, aber intellektuell potente „heimatlose Rechte“ bilden, wenn sie nicht heimgeholt werden. Die geistig Brillanten werden ihre Chancen in der Wissenschaft suchen und finden und werden dort immer dann zum Zug kommen, wenn sich die Parteien nicht über die Verteilung einigen können. Dort werden sie dann ihr Gedankengut mit mehr Intelligenz und Überzeugungskraft und sicherlich auch unauffälliger vermitteln, als es die spektakulären Fälle jüngster Zeit tun. Es wäre nicht das erstemal, daß eine heimatlose Intelligenz zur Gefahr für den Staat würde.

Man könnte nach den Motiven fragen, die 28 Prozent der Studenten zu ihrer Haltung bewegen.

Dies wird sicher bei einem Teil der Studenten ein Unbehagen an den österreichischen politischen Verhältnissen zutage fördern. Studenten sind wacher als ihre schon im Arbeitsprozeß eingespannten Mitbürger. Ihre Bildung läßt sie auch die Dinge schärfer analysieren. Und eine der Spielarten ihres Protestes gegen die großen Parteien ist ihre Zuflucht zur Dritten Kraft. Einfach, um es simpler auszudrücken, weil einem die in immer neue Bürgerkriegsdrohungen ausbrechende Partei unheimlich und die andere auf die Bauern und die Wirtschaft hin orientierte Partei zu unbeweglich und — warum nicht? — zu „schwarz“ ist.

Ein nicht geringer Teil ist aus dem Elternhaus vorgeprägt. Im zweifellos notwendigen Entnazifizie-

rungsprozeß ist es zu vielen Auswüchsen gekommen, die vor allem die beamtete Intelligenz getroffen hat: belastete Gewerbetreibende erhielten ihre Berechtigung schneller als sehr viele in die „Partei“ gezwungene kleine Beamte zurück; gerade unter diesen aber ist der Anteil studierender Kinder am größten. Bei ihnen besteht zweifellos eine gewisse Anfälligkeit für nazistisches Ideengut. Polizeiliche Verbote, wo Widerlegungen am Platze wären, sind nicht geeignet, sie des Besseren zu belehren.

Schließlich gibt es noch die nationalen Korporationen vieler Schattierungen von den Corps zu den Burschenschaften, vielschichtig in ihrer eigenen großen Tradition und nur in den Augen der Uniformierten uniform. Die Prägekraft, die dieser besonderen Form studentischer Symbiose innewohnt, wird gefährlich unter dem Einfluß unbelehrbarer Ehemaliger, aber ebenso im gemeinsamen Erlebnis des Ausgestoßenseins. Was sehr viele von ihnen in diese Korporationen geführt hatte, war die Anziehungskraft der Gemeinschaft, und sie sehen sich später zu ihrer eigenen Verwunderung für Untaten verantwortlich gemacht, die sie selbst gar nicht erlebt haben. Als sie sich für die gerechte Sache Österreichs in Südtirol einsetzten, unter zunächst stiller Duldung, freilich mit unangebrachten Mitteln, fanden sie sich als Nationalsozialisten wieder: weil sie als einzige statt Worte Taten gesetzt hätten, mußten sie sich sagen.

Ich halte es für eine staatspolitisch eminent wichtige Aufgabe, einen Trennungsstrich zu ziehen, zwischen denen, die sich im „Dritten Reich“ tatsächlich schuldig gemacht haben, und einer Jugend, die davon unbelastet heute heranwächst. Es wäre töricht, zu fordern, eine solche Aussöhnung könnte nur dadurch geschehen, daß sich die Freiheitlichen entweder zum Christentum oder zum Marxismus bekehren. Man darf sie auch nicht schwarz-gelb fixieren wollen. Ihre überwältigende Mehrheit bekennt sich zur demokratischen Republik Österreich. Sie haben freilich stärkere gefühlsmäßige Bindungen an Deutschland als an die anderen näher stehenden slawischen Völker. Dies nimmt man freilich nur ihnen übel: Politiker der Koalitionsparteien dürfen sich in der Steiermark ungeschmäht zur Zugehörigkeit zum deutschen Volkstum bekennen.

VertrauensvorschuB notwendig

Um mich zu deklarieren (so weit haben wir’s schon gebracht): ich halte nichts von der literarischen Qualität jener, die sie als völkische Dichter verehren, ihren Dienst am deutschen Volkstum sehe ich durch zahlreiche Sprachvergewaltigungen in ihren Publikationen reichlich auf gewogen. Mir sagt freilich in unserem Raum der Begriff Nation auch nicht eben viel. Alle Lexikondefinitionen versagen: entweder wohnen nicht alle, die dieselbe Sprache sprechen, im selben Staat, oder es wohnen in einem Staat mehrere Sprachen Sprechende beisammen, dann „happert“ es mit der aufeinander ausgerichteten langjährigen Geschichte: Österreich als politisches Gebilde mit diesen Grenzen gibt es seit 1918, ein Deutschland der Anderen gab es nie, ein anderes, das für mich Nachbarland ist, seit 1871.

Ich meine, man muß konsequent sein: wer es unternimmt, Frieden mit den Marxisten zu suchen und ihnen den Kommunismus nachzusehen, wo sie sich nur zur Demokratie bekennen, müßte dasselbe auch in der anderen Richtung tun. In einer Zeit, da es selbstverständlich gilt, einst liberale Prinzipien in Recht und Wirtschaft anzuwenden, verteufelt man die einstigen Vertreter dieser Richtung, weil in ihrem Namen ein Hitler agiert hat. Ich glaube, man sollte ihnen heute ebenso glauben, daß es ihnen mit ihrem Bekenntnis zur demokratischen Republik Österreich ernst ist, wie man es den Mächtigen der Zeit zwischen 1934 und 1938 glaubt und denen, die noch vor nicht langer Zeit die Diktatur des Proletariats gewünscht hatten, und wie man nicht zuletzt fordert, daß man es einem Otto von Habsburg glauben soll. Alle haben eben, das muß vorweg genommen werden, sonst kann man nicht zusammen leben, die Entwick lung der Geschichte zu Kenntnis genommen und aus ihr gelernt. Und dieser Vertrauensvorschuß als Wagnis ist eben der Einsatz der Demokratie, sonst kann man sich nicht in die Opposition trauen, wenn man in Wahlen unterliegt, und kann überhaupt nicht miteinander reden.

Nicht provozieren

Man soll sich auch nicht unnotwendig provozieren: die einen nicht mit der deutschen Nation, es sei denn, sie definierten sie eindeutig, dann kann man den Gebrauch des Wortes nachprüfen; die anderen nicht, indem man zwanzig Jahre darnach einer nachwachsenden Jugend die Väter zum Vorwurf macht, und Bekenntnisse zu eigenen, durchaus nicht gesicherten Standpunkten fordert. Man soll sich gegenseitig das Bekenntnis zum Rechtsstaat, zur Solidarität im gemeinsamen Vaterland, zur uneingeschränkten gegenseitigen Achtung glauben; soll dann freilich gemeinsam unerbittlich gegen Diskriminierungen durchgreifen, gegen neonazistischen und traditionskatholischen 'Antisemitismus gleicherweise, gegen schwarze und rote Korruption unterschiedslos und gegen jede Unduldsamkeit glr' streng. Dann hätte die Jugend die Möglichkeit, aufgeschlossen und ressentimentfrei sich an den besseren Argumenten zu orientieren. Davor brauchen wir uns ja nicht zu fürchten. Oder liegt da der Hund begraben? Man könnte diesfalls beruhigen.

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