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Eine falsche Alternative

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Nach einer Besprechung des neuen Dollfuß-Buches durch Vizekanzler a. D. Fritz Bock bringen wir in dieser Nummer einen Beitrag aus der Sicht des sozialistischen Publizisten Alfred Magaziner zum selben Buch.

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Nach einer Besprechung des neuen Dollfuß-Buches durch Vizekanzler a. D. Fritz Bock bringen wir in dieser Nummer einen Beitrag aus der Sicht des sozialistischen Publizisten Alfred Magaziner zum selben Buch.

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Man erwartet eine Sammlung von Dokumenten und erhält eine Apologie. Franz Goldner versucht in einem Buch, dessen Titel eine Sammlung von interessanten Akten verspricht -tj nämlich von Berichten in Europa stationierter USA-Botschafter aus den 30er Jahren über die verhängnisvollen Vorgänge in Österreich -, eine Ehrenrettung Dollfuß'.

Nun, eine befriedigende Dokumentation wird in dem Band nicht vorgelegt. Es werden lediglich Teile von Aktenstücken zitiert, die Goldners Behauptung belegen sollen, daß der Unglückskanzler Engelbert Dollfuß vor der Wahl gestanden sei, entweder die Demokratie in Österreich aufrechtzuerhalten oder dessen Unabhängigkeit zu retten. Beides wäre nicht möglich gewesen. Dies.hätten leider die Sozialdemokraten, deren Bewegung im Verlauf der Eliminierung der Demokratie im Dienste des Vaterlandes hätte lautlos verschwinden müssen, nicht einzusehen vermocht.

Für einen einfachen Menschenverstand ist es zunächst einmal unbegreiflich, wie man ein Volk zum Widerstand gegen einen mächtigen und skrupellosen Feind stärken kann, indem man dessen verläßlichste Hälfte unterdrückt.^Selbst wenn diese Darstellung wahr wäre, müßte man sich mit ihr nicht lange aufhalten. Es müßte genügen, darauf zu verweisen, daß die Politik des autoritären Regimes kläglich mißlungen ist.

Zur Ehrenrettung von Dollfuß kann aber gesagt werden, daß sie nicht wahr ist. Denn er wird da als ein gutmütiger Einfaltspinsel hingestellt, der geglaubt hat, am besten zu fahren, wenn er brav befolgt, was der Onkel Mussolini ihm anschafft. Nun war er weder ein Einfaltspinsel noch gutmütig. Er war ein Opportunist, der es sehr wohl mit der Demokratie aushielt, so lange sie seinen sozialistischen Gegnern nicht zu viel Spielraum gewährte, der aber auch anders konnte.

Die historische Wahrheit ist die Tatsache, daß die österreichische Demokratie von ihrer Geburt an bedroht war. So hatte zum Beispiel im Jahre 1920 Dr. Seipel, der damals der stellvertretende Vorsitzende der Christlichsozialen Partei war, mit dem ungarischen Gesandten in Wien, Dr. Gratz, eine bedeutsame Unterredung. Bei dieser hat Seipel (so berichtete Gratz seiner Regierung) erklärt, die Christlichsozialen wünschten, mit Hilfe der Heimwehren die Sozialdemokraten von der Macht zu verdrängen. Die Heimwehren seien aber nicht genügend gerüstet, ob die ungarische Regierung da wohl helfen könne?

Die Idee, das Parlament auszuschalten, war 1933 auch nicht mehr gerade neu. Dr. Seipel hat sie schon im Mai 1922 gehabt, als die österreichische Unabhängigkeit keineswegs durch eine deutsche Regierung bedroht war. Im März 1929 drängte Dr. Seipel den Tiroler Heimwehrführer Steidle, „nach dem Vorbild des fascio Mussolinis zu größerer Aktivität“ überzugehen.

Für das faschistische Italien, das seinen Einfluß im Donauraum vergrößern wollte, war das reaktionäre Ungarn unter dem Reichsverweser Horthry der richtige Bündnispartner. Dazwischen lag aber das demokratische Österreich mit seiner wachsamen Sozialdemokratie als lästiges Hindernis. So wurde denn die Ausschaltung dieser Partei zum Ziel einer außen- wie innerpolitischen Verschwörung.

Unter Dollfuß wurde das Ziel endlich erreicht. Wie wenig damit der Unabhängigkeit Österreichs gedient war, hat sich sehr bald gezeigt. Denn Mussolinis Italien war für den Ständestaat ein ebenso verläßlicher Verbündeter, wie das königliche Italien im Ersten Weltkrieg für den Zweibund.

Es gehört zu den Treppenwitzen der Weltgeschichte, daß der Kaiser-jäger-Offizier Dollfüß sein Land und sich ausgerechnet jenem Politiker anvertraute, der im Ersten Weltkrieg Sein Bestes getan hat, um Italien zum Verbündeten der Entente zu machen, sein Bündnis mit Österreich-Ungarn zu brechen und es gegen den ehemaligen Verbündeten in den Krieg zu treiben;

DOLLFUSS IM SPIEGEL DER US-AKTEN, Von Franz Goldner, Verlag Niederösterreichisches Pressehaus, 1979, 168 Seiten, öS 235,-.

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