6852305-1976_52_07.jpg
Digital In Arbeit

Türkische Besatzer fegen Zyperns Norden „griechenrein“

Werbung
Werbung
Werbung

Auf den vorgeschobenen Stellungen der zyperngriechischen „Nationalgarde“ um Nikosias nordöstlichen Vorort Kaimakly blicken schnurrbärtige Krieger in grüner Felduniform grimmig ins „Feindesland“ hinüber. Von hier bietet sich die tiefste und beste Einsicht in das von türkischen Invasionstruppen 1974 besetzte Gebiet, aus dem damals eine Viertelmillion Griechen und Armenier in panischer Furcht die Flucht ergriff. Zurück blieben nur einige um keinen Preis von Haus und Hof zu trennende Alte, orthodoxe Mönche in ihren versteckten Klöstern der nördlichen Küstenberge.

Zwei Jahre lang führten diese Zurückgebliebenen das Dasein von Geiseln und Untermenschen, preisgegeben der türkischen Militärverwaltung und immer zahlreicher von Anatolien herüberströmenden Einwanderern. Seit Anfang November haben die Verantwortlichen des von ihnen selbst proklamierten „Zyperntürkischen Bundesstaates“ jedoch mit der brutalen Austreibung dieser letzten „Bleiber“ begonnen.

Der Kontakt zu den „Bleibern“ war nur über das zyperngriechische Radio möglich gewesen, das dreimal am Tage in besonderen Sendungen für den Norden Nachrichten und Grüße aus dem Süden an die „Enklovismenous“ weitergab, was auf Neugriechisch „die im Käfig Sitzenden“ bedeutet. Jetzt wird von dem Beobachtungsposten in Kaimakly eine Gruppe nach der anderen gesichtet, die auf den amerikanischen Lastkraftwagen der türkischen Armee den Südabhang der Küstenberge herabgekarrt werden.

Ist so ein Austreibungstransport in Sicht, so sammeln sich an der schmalen Lücke zwischen der alten Stadtmauer und dem ehemaligen Lydra-Pa-last-Hotel die Verwandten und noch im Norden lebenden Eltern und Großeltern, Onkeln und Tanten. Sie warten oft stundenlang in dem kleinen Kaffeehaus, das sich „Zur Flüchtlingsrast“ nennt.

Durch das Niemandsland zwischen den griechischen und türkischen Kontrollposten kommt dann zu Fuß und schwer bepackt ein Zug des Elends. Der Weg in umgekehrter Richtung ist nur für Ausländer passierbar. Die türkischen Polizisten am roten Schlagbaum, die eben erst die „Letzten von Karpasia“ schikaniert haben, sind nun freundlich, grüßen mit einem „Mar-hab“ und laden während scharfer Kontrolle der Papiere zu einem heißen Tee ein:

Ein Radfahrer ist die Vorhut durch das ehemalige Diplomatenviertel von Nikosia zum Büro des Pressesprechers der türkischen Seite, eines feinen, kultivierten Mannes, noch ganz vom Schlag des osmanischen „Effen-di“; kein Rüpel aus der Schule Atatürks. Genau durchschaut er den Zweck unseres Ersuchens um Erlaubnis einer Informationsreise durch die besetzten Gebiete, bleibt aber höflich und verbindlich und stellt die Erlaubnis für einen Termin in Aussicht, zu dem man Zypern schon längst den Rücken gekehrt haben wird. Im englischen Informationsbulletin seiner Behörde findet sich kein Wort über die Griechenaustreibung, jüngste archäologische Funde hingegen machen Schlagzeile.

Gespannt erkundigt sich der Beamte nach dem Zustand der verlassenen Moscheen im Süden und will nicht glauben, daß griechische Gendarmen die Besucher des panislamischen Umm-Haram-Heiligtums bei Larnaka nach wie vor zum Ablegen ihrer Schuhe veranlassen. Volksgenossen haben die Türken keine mehr dort drunten. Sie wurden keineswegs von den Griechen ausgetrieben, sondern von Ankara unter Androhung schlimmster Sanktionen in den Norden befohlen. Der Nationalismus, der schon vor 50 Jahren die Völkervielfalt Kleinasiens vernichtet hat, feiert auf Zypern neue Triumphe.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung