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„Unser Führer ist Christus“

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Das Gedenken an die Tage vor vierzig Jahren, als Österreich von der politischen Landkarte verschwand, kann die Ereignisse im Oktober 1938 nicht aussparen. Univ.-Prof. Anton Burghardt war in jenen Tagen Vorsitzender der Katholisch-Deutschen Hochschülerschaft Österreichs. Er hatte 1938 und 1978 Gelegenheit, mit Weihbischof Jakob Weinbacher die Geschehnisse des 8. Oktober 1938 eingehend zu erörtern. Ebenfalls aus seiner persönlichen Sicht schildert in einem Gespräch mit Alfred Grinschgl Univ.-Prof. Erwin Ringel die Ereignisse jener bewegten Tage.

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Das Gedenken an die Tage vor vierzig Jahren, als Österreich von der politischen Landkarte verschwand, kann die Ereignisse im Oktober 1938 nicht aussparen. Univ.-Prof. Anton Burghardt war in jenen Tagen Vorsitzender der Katholisch-Deutschen Hochschülerschaft Österreichs. Er hatte 1938 und 1978 Gelegenheit, mit Weihbischof Jakob Weinbacher die Geschehnisse des 8. Oktober 1938 eingehend zu erörtern. Ebenfalls aus seiner persönlichen Sicht schildert in einem Gespräch mit Alfred Grinschgl Univ.-Prof. Erwin Ringel die Ereignisse jener bewegten Tage.

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Das Gedenken an 1938 kann Innitzers Predigt in St Stephan nicht aussparen

FURCHE: Herr Professor, Sie sind einer der Teilnehmer jener berühmten Innitzer-Predigt vom 7. Oktober 1938 im Stephansdom, welche spontan zu einer gewaltigen Manifestation gegen den Nationalsozialismus wurde. Wie kamen Sie dazu?

RINGEL: Ich war damals Pfarrjugendhelfer in St Stephan. Bis zum Anschluß habe ich als Gymnasiast dem Katholisch-Deutschen Studentenbund angehört. Danach war ja bekanntlich jede politische Betätigung verboten. Es blieb uns lediglich die Pfarrjugend, die sich allerdings auf rein religiöse Bereiche zu beschränken hatte. Wir sahen damals immer schon die Gefahr, daß uns die Nazis einen Mißbrauch unserer religiösen Tätigkeit zu politischen Zwecken vorwerfen und uns so eliminieren würden.. Leiter der Pfanjugend waren damals Walter Samida, ein sehr kämpferisch eingestellter Mann, und später Martin Stur.

FURCHE: Wieviele Jugendliche kamen in den Stephansdom?

RINGEL: Nach meiner Schätzung waren es 9000 oder 10.000 Jugendliche. Bei aller Vorbereitung dieser Sa-che war natürlich nichts richtig orga-

nisiert, es kam ganz spontan zu einer Kundgebung, die ja bekanntlich zwischen 1938 und 1945 die einzige öffentliche antinazistische Demonstration im deutschsprachigen Raum geblieben ist. Die Jugendlichen, die zum Rosenkranzfest kamen, nahmen natürlich an, daß Innitzer sprechen würde, was er aber sagen würde, war unbekannt.

FURCHE: Wie beurteilten Sie damals die Tatsache, daß Innitzer ein halbes Jahr nach seinem „Heil Hitler“ nun die bewegenden Worte „Unser Führer ist Christus“ sprach?

RINGEL: Der Dom war bummvoll, es gab eine Bombenstimmung, Innitzer ist gekommen und ich glaube, er war innerlich schon aufgeladen. Meine These ist folgende: Innitzer hat zuerst eine Anpassungspolitik versucht, die nicht einer persönlichen Feigheit sondern der Sorge um das . Wohl der Christen dieses Landes ent-

sprungen war. Daß er aufgefordert hat, mit Ja zu stimmen, haben ihm sehr viele Katholiken vorgeworfen. Im Herbst hat der Kardinal klar erkannt, daß es mit den Nazis keine Anpassungspolitik gibt. Er hatte die Absicht, sein „Heil Hitler“ wieder gutzumachen. Als Innitzer den Dom betiitt, geht von den 10.000 Jugendlichen der Zündfunke auf ihn über, er wird vom Heiligen Geist geküßt und hält seine antinazistische Predigt. Danach hat der Zündfunke auf die 10.000 wieder zurückgewirkt: es war ein vollkommen spontanes Geschehen. Wir sangen noch, „Großer Gott, wir loben Dich“ und sammelten uns dann auf dem Platz vor dem Dom.

FURCHE: Wie haben sich die Ereignisse im Anschluß an die Innitzer-Predigt entwickelt?

RINGEL: Es war eine Tatsache, daß der Platz vor öjem Dom in unseren Händen war, ebenso war es eine Tatsache, daß einzelne Nazis verdroschen wurden. Wir wandelten dann einzelne Nazisprüche ab und schrien im Chor: „Ein Volk, ein Reich, ein Bischof und „Lieber Bischof sei so nett, zeige Dich am Fensterbrett“. Innitzer hat sich dann am Fenster des

Palais gezeigt. Wir waren im Zustand der Ekstase, es war eine Art Ausnahmezustand, denn hätten wir uns unserer Vernunft bedient, dann wäre es nie zu dieser Kundgebung gekommen Es war ein emotionaler Ausbruch, bei dem die Vernunft nicht mehr zählte. Bis am Abend gab es noch keine Gegenmaßnahmen der Nazis, erst am nächsten Tag schrieb der „Völkische Beobachter“: „Eine Schar bleichsüchtiger Knaben hat es gewagt...“ und dann kam es auch zum Sturm der Hitlerjugend auf das Palais des Kardinals.

FURCHE: Bedeutete die Kundgebung vor dem Dom das Ende der Pfarrjugend?

RINGEL: Nein, erst im Dezember 1939 wurde unsere Pfanjugend endgültig aufgelöst. Wir von der Pfarrjugend wurden verhaftet und man machte uns den Vorwurf, die Pfarrjugend politisch mißbraucht zu haben.

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