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Vom Dom zur Rotenturmstraße

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Mit weiteren zu Herzen gehenden Bitten und Ermahnungen, dem Glauben treu zu bleiben, schloß der Kardinal seine Ansprache. Ein gemeinsam gesprochenes Glaubensbekenntnis und ein Tedeum beendeten die Feierstunde, die die Jugendlichen vor allem durch die Worte ihres Bischofs in eine Stimmung begeisterter Dankbarkeit versetzt hatte. Sie geleiteten daher den Kardinal über den Stephansplatz. Dabei wurden ungefähr 200 „Andersgläubige“, die sich auf dem Platz befanden, mühelos abgedrängt, was das sofortige Eingreifen von Polizei und Gestapo bewirkte. Unter den Katholiken wurden mehrere Verhaftungen vorgenommen. Vor dem Palais bereitete dann die katholische Jugend dem Kardinal begeisterte Ovationen, die in bewußter Parallelität in den Ruf ausklangen: „Wir danken unserem

Bischof! Wir wollen unseren Bischof sehen!“ Nachdem sich der Kardinal gezeigt und die jubelnde Menge gesegnet hatte, sangen die Jugendlichen das alte Kirchenlied „Auf zum Schwure, Volk und Land“.

Der Überfall

Obwohl selbst der Polizeibericht bezeugte, daß die Andacht im Dom einschließlich der Predigt des Kardinals durchaus religiösen Charakter gehabt habe, erregte sie, ganz besonders die Ovationen für den Kardinal, den Zorn und die Rachsucht der nationalsozialistischen Machthaber. Sie reagierten blitzschnell. Schon am Morgen des nächsten Tages erhielten die St. Stephan benachbarten Ortsgruppen der NSDAP das Aviso, sich zu einem Einsatz bereit zu halten. Und im „Völkischen Beobachter“ vom 8. Oktober konnten die erstaunten Wiener schon in der Früh unter dem Titel „Ruhige Überlegenheit“ dunkle Drohungen gegen politische Gegner lesen, die „berufsmäßig“ gewohnt seien, an bestimmten Orten regelmäßig das Wort zu ergreifen, und die sich gelegentlich wieder in jene Zeiten zurückversetzt fühlten, in denen sie „aus der unbequemen Stimmung von Verdauungsstörungen heraus ungestört öffentliche Kundgebungen von sich geben“ konnten.

Wenige Stunden später war es dann so weit. Um 20 Uhr fand sich auf dem Stephansplatz eine Gruppe nationalsozialistischer Jugendlicher zu einer Demonstration gegen Kardinal Innitzer ein, die in einem organisierten Überfall auf das erzbischöfliche Palais endete. Ungefähr 100 Burschen im Alter von 14 bis 25 Jahren drangen in Gesellschaft von politischen Leitern der Ortsgruppe Stubenviertel nach Spren-

gung des Tores in das Palais ein. Sie suchten brüllend nach dem Kardinal, der jedoch von seinem Sekretär Doktor Weinbacher und von seinem Zeremoniär Dr. J a c h y m noch rechtzeitig hinter der eisernen Türe des

Matrikenamtes in Sicherheit gebracht werden konnte. Die beiden Geistlichen blieben gegenüber den Drohungen der Eindringlinge fest, verrieten nicht den Aufenthaltsort des Kardinals und versuchten, dessen Kapelle zu schützen. Dr. Jachym erhielt dabei mit einem Bronzeleuchter einen Schlag auf den Kopf. Dr. Weinbacher wollten die Demonstranten mit dem Ruf „Den Hund schmeißen wir beim Fenster außi!" in die Rotenturmstraße hinunterwerfen, doch konnte er sich im letzten Augenblick losreißen. Daraufhin tobten die Demonstranten ihren Zorn an der Einrichtung aus. Sie verbrannten die Kleider des Kardinals, stahlen seinen Kardinalsring,. seine Kette und sein Brustkreuz, zerrissen Bilder, zerschlugen Möbel und schändeten die Kruzifixe. Mit im Stiegenaufgang abmontierten Messingstangen zertrümmerten sie in sinnloser Zerstörungswut über 1200 Fensterscheiben.

Aus dem Fenster geworfen

Auch in das gegenüberliegende Churhaus drang eine Rotte von sechzehn- bis fünfundzwanzigjährigen Demonstranten ein. Offenbar auf der Suche nach dem Jugendseelsorger Doktor Stur und dem Domprediger Doktor Karl Dorr, die die Feierstunde am Vortag geleitet hatten, läuteten sie auch an der Tür des Domkuraten und Jugendseelsorgers Johann Krawa- r i k. Dieser öffnete ihnen in der Annahme, seine verängstigte Wirtschafterin suche Einlaß. Fünf oder sechs der Eindringlinge stürzten sich auf den Geistlichen, schleppten ihn auf den Gang und wollten ihn aus dem Fenster werfen. Zweimal scheiterte der Versuch an der altertümlichen Fensterkonstruktion. Beim drittenmal gelang er. Vom Ruf „Hinunter mit ihm!“ begleitet, stürzte Krawarik vom Halbstock des Churhauses, der einem ziemlich hohen ersten Stock eines modernen Gebäudes entspricht, in die Tiefe. Auf einem von Bauarbeiten stammenden Sandhaufen im Hof, auf den dauernd die Scherben der zerschlagenen Fensterscheiben hinunterprasselten, blieb Krawarik mit zwei gebrochenen Oberschenkeln und einer gespaltenen Kniescheibe liegen.

Unterdessen war bereits geraume Zeit seit Beginn des Überfalles vergangen. Polizeipräsident Steinhäusl hatte ihm von Anfang an mit der Uhr in der Hand vom gegenüberliegenden Kaffee „Europe“ aus zugesehen. Erst eine Stunde nach Beginn der Demonstrationen gab er den Befehl zum Einsatz der von Dr. Weinbacher und Dr. Jachym sofort und mehrma’s telephonisch verständigten Polizei. Aber auch dann- griff diese mehr als lässig ein. Die Demonstranten, die bei Erscheinen der Polizei und Feuerwehr sofort das Feld räumten, konnten ungehindert das Palais verlassen. Und jener Polizist, der den schwerverletzten Ku-

raten Krawarikim Hof liegen sah, hielt es nicht für nötig, die Rettung zu verständigen. Um 23.30 Uhr wurden von der Gestapo die zerstörten Räume versiegelt. Von einem Verfahren gegen die Schuldigen oder deren Bestrafung wurde nie etwas bekannt. Dafür suchte die Polizei den Überfall kommunistischen Jugendlichen zuzuschreiben.

„Vorgestern hätten Sie hier sein müssen!“

Kardinal Innitzer zeigte sich bereits am nächsten Tag, Sonntag, dem 9. Oktober, in der Öffentlichkeit und erfüllte seine priesterlichen Funktionen in St. Stephan. Allen übrigen Bewohnern des Palais wurde das schriftliche Versprechen abverlangt, über die Vorfälle des Vortages nichts zu erzählen. Noch am 9. stellte der Kardinal ein ausführliches Memorandum über die Ereignisse des Samstags zusammen, das der zufällig in Wien weilende Berliner Nuntius der Kanzlei Hitlers übermittelte. Dem Nuntius hatte man übrigens trotz seines Diplomatenpasses den Eintritt in die verwüsteten Räume verwehrt.

Am 10. Oktober wollte die Polizei, die nun ständig das Palais bewachte, Beamte des Ordinariats trotz Legitimierung nicht einlassen. Der Kardinal, der zufällig dazukam, machte daraufhin die Bemerkung, daß sie jetzt völlig unnötig seien: „Vorgestern hätten Sie da sein sollen!“

Zwei Tage später eröffneten bei einer nationalsozialistischen Kundgebung in der Ortsgruppe Wien-Siebenbrunn der Gauredner Scholz und der Wiener Gauleiter G 1 o b o c n i k die nationalsozialistische Hetze gegen Kardinal Innitzer und den „politisie-

renden Klerus". Die Ereignisse des letzten Samstags seien die Reaktion auf die „Aktion gewisser schwarzer Kreise“: „Wir Nationalsozialisten wollen keinen Krieg, aber es hat den Anschein, als wenn der Kardinal ihn gewünscht hat!" Globocnik erklärte, daß die Partei ohnedies unerhörte Langmut bewiesen habe. Obwohl Partei und Gau nicht das mindeste damit zu tun hätten, habe er, Globocnik, sogar auf eigene Kosten die „gläserne Fassade“ des Kardinals wieder richten lassen, damit es nicht bei Fremden heiße, dieser werde im Winter frieren müssen. Aber jetzt sei seine Geduld zu Ende.

Der „Fall Innitzer“

Der „Völkische Beobachter", der bis dahin kein Wort über die Ereignisse des Samstags gemeldet hatte, berichtete über die beiden Reden ausführlichst auf der ersten Seite. Der Leitartikel „Der Fall Innitzer“ griff den Kardinal als die Personifizierung des politischen Katholizismus an, wobei besonders dessen Verbindungen zur deutschfeindlichen ausländischen Presse hervorgehoben wurden.

Bei der Kundgebung auf dem Heldenplatz am Abend des 13. Oktober hielt Gauleiter Bürckel vor der Parteiprominenz und den von den politischen Leitern mobilisierten Wiener Nationalsozialisten (nach der Meldung des „VB“ waren es 200.000) in alkoholisiertem Zustand eine einstündige wutschäumende Hetzrede gegen den Kardinal und die politisierenden Kleriker.

Bürckel führte ferner aus, daß die Ereignisse des 7. Oktober eine „unerhörte verbotene politische Demonstration“ dargestellt hätten. Durch diese provoziert, habe sich am nächsten Abend „ein Trupp in der Jugendkraft stehender junger Menschen“ zu einigen Ausschreitungen hinreißen lassen. Die Front der Feinde Deutschlands vom Sender Straßburg über den „Osšervatore Romano“ bis zur „Prawda," habe darüber maßlos entstellt berichtet. Folgende Maßnahmen seien nun die Antwort auf diese Provokation des politischen Katholizismus: Die Ausweisung der tschechischen Juden und aller irgendwie belasteten Tschechen als Hauptbeteiligte an der Demonstration, die restlose Verstaatlichung der Knabenseminare, die Zurückstellung der Amnestie für konfessionelle Politiker und die Ablehnung aller Anträge auf Entlassung Schuschniggs aus der Haft.

Aus allen Rohren

Nach dieser Rede kam es dann auf dem Stephansplatz, vor dem von SA, SS und NSKK bewachten erzbischöflichen Palais in der Rotenturmstraße und auch in den Außenbezirken (unter anderem vor dem Haus „Herold“ in der Strozzigasse — Anm. der Redaktion) zu zügellosen Demonstrationen.

In den nächsten Tagen brachte der „VB“ fortlaufend schwerste Angriffe gegen den Kardinal und die „politisierenden“ Priester, die als Judenknechte, asoziale Kapitalisten und deutschfeindliche Römlinge verächtlich gemacht werden sollten.

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