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Weiterer Marsch ins Ungewisse

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Die Furcht hatte allen großen Parteien Italiens im Nacken gesessen. Wenn man dem fahnenschwenkenden Jubel vor den römischen Parteizentralen trauen durfte, dann hat es freilich bei diesen Regional-, Provinz- und Kommunalwahlen keine Verlierer, nur Gewinner, wenn nicht gar Sieger gegeben. Die Schönheitsfehler aller Resultate verblassen in der Tat neben den Hauptergebnissen:

Aus dem christdemokratisch-kommunistischen Frontalzusammenstoß, den im Wahlkampf vor allem der kommunistische Parteichef Berlinguer mit dem Ziel betrieben hatte, die Regierung in Rom zu Fall zu bringen, geht Ministerpräsident Cossiga ganz im Gegenteil gestärkt hervor. Seine Partei hat zwar im Vergleich zu den Parlamentswahlen von 1979 Einbußen von 1,3 Prozentpunkten erlitten, doch im Verhältnis zu den Regionalwahlen von 1975 konnte die Democrazia Cristiana ihr

Ergebnis um 1,5 Punkte auf 36,8 Prozent verbessern.

Kein Grund zum Triumph, doch Anlaß zur Erleichterung, zumal die Sozialisten, die seit April als zögernde Koalitionspartner Cossiga das Regieren ermöglichen, von ihren Wählern jetzt nicht bestraft erscheinen: Parteichef Craxi kann sich mit 12,7 Prozent, fast drei Punkten mehr als vor einem Jahr, sogar als eigentlicher Gewinner fühlen.

Die Kommunisten, noch unter dem Eindruck ihres vierprozentigen Rückschlags vom letzten Jahr, konnten ihren Abstieg immerhin aufhalten. Sie liegen zwar mit 31,5 Prozent um fast zwei Prozentpunkte unter ihrem ersten großen Erfolg von 1975, doch kaum (0,3 Punkte) unter ihrem Ergebnis vom Vorjahr. Ihre Lokalmacht in den Provinzen und Städten haben sie weitgehend behauptet.

Die Rückkehr Berlinguers in die Opposition hat sich demnach gelohnt, ihn aber auch vom Mitregieren in Rom weiter entfernt als je in den letzten Jahren. Dies freilich auch, weil er der traditionellen Neigung aller Kommunisten erlag, ihre Gegner nicht nur taktisch zu verteufeln, sondern tatsächlich falsch einzuschätzen.

So hatte er im Frühjahr das Ergebnis des christdemokratischen Parteikongresses als „Rechtsdruck” mißverstanden und nicht erkannt, daß die -knappe - „rechte” Mehrheit der Democrazia, die nun die Führung übernahm, sich von der großen „linken” Minderheit nur wenig unterschied:

Sie wollte die „nationale Solidarität” mit den Kommunisten stärker abbremsen, nicht jedoch brüsk abbrechen, und sie war, wie sich bald erwies, auf die zweite große Linkspartei, die Sozialisten Craxis, angewiesen, um überhaupt noch eine Regierung, die zweite Cossigas, bilden zu können.

Craxi, ohnehin ein unsicherer Kandidat, ließ sich damit auf ein Unternehmen ein, das seine Partei mit einer bitteren Wählerquittung bedrohte. Sie blieb ihm jetzt nur deshalb erspart, weil er sich rechtzeitig ohne Skrupel neuen Zulauf von einer Seite gesichert hat, mit der bislang kein vernünftiger italienischer Politiker zu tun haben wollte: von der radikalen Partei Marco Panel-las.

So groß also auch die Fragezeichen sind, die hinter der sozialistischen Regierungsbeteiligung sichtbar wurden -das Kabinett Cossigas als „gefährlich rechts” abzustempeln, wie es Berlinguer tat, wirkte unglaubwürdig.

Doch der kommunistische Parteichef, der sich schon immer besser auf Kompromisse als aufs Kämpfen verstand, beging einen noch schwerer verständlichen Fehler: Er glaubte die menschliche Tragödie, die sich hinter einem der vielen skandalumwitterten Vorgänge italienischer Innenpolitik verbarg, zum Handstreich umfunktionieren und so Cossiga noch vor den Wahlen stürzen zu können.

Gelegenheit bot der dramatische Rücktritt Donat-Cattins, des Vizeparteichefs der Democrazia Cristiana. Diesen konnte zwar niemand dafür verantwortlich machen, daß sein Sohn Marco im terroristischen Untergrund verschwunden ist. Doch von 41 anderen Männern des italienischen öffentlichen Lebens, die ähnliche Vatersorgen haben, unterschied sich Donat-Cattin: Er war politisch verwundbarer, seit er im Frühjahr maßgeblich die größere Distanz seiner Partei von den Kommunisten bewirkt hatte.

Deshalb bot er um so mehr Blößen, als er wie jeder besorgte Vater seine besten Beziehungen zu nutzen versuchte, in diesem Fall - zum Regierungschef.

Wer sich erinnert, wie Cossiga als Innenminister 1978 nach der Entführung Aldo Moros die Staatsräson über alle Parteirücksichten, ja über seine Freundschaft mit Moro stellte, muß der gegenteiligen Versicherung des Regierungschefs glauben, daß er weder dem Parteifreund Amtsgeheimnisse verraten noch Donat-Cattin geraten hatte, seinem Sprößling zur Flucht ins Ausland zu verhelfen. Dennoch verbissen sich die Kommunisten mit moralischem Ubereifer bis in die letzten Stunden des Wahlkampfes in den Fall.

Sie vergaßen dabei, daß man in einem Lande wie Italien, wo Familiensinn, ja Vetternwirtschaft so oft die öffentliche Ordnung ersetzen muß, mehr menschliches Mitleid und Nachsicht für einen unglücklichen Vater hat, als der Parteien Haß und Gunst erlaubt.

Das hat freilich nicht nur die Christdemokraten von größeren Einbußen bewahrt und den Kommunisten nichts eingebracht, es hat auch die Tendenz der Wähler verstärkt, den Parteien insgesamt brüsk den Rücken zu kehren. Uber drei Millionen ungültige oder weiße Stimmzettel wurden abgegeben -eine „Partei” von fast zehn Prozent der Wähler. Das dämpft die Erfolgsstimmung, aber auch die Selbstsicherheit der Parteien.

Auch nach diesen Wahlen ist Italien noch weit von einem funktionierenden System demokratischer Machtablösung entfernt. Sein einziges Sicherheitsnetz bleibt auch jetzt nur jene Solidarität, mit der sich Demokraten aller Parteien am Vorabend der Wahlen um die Totenbahre des „liberalen” Altkommunisten Amendola versammelten.

Vom Christdemokraten Andreotti, der zu ihnen gehörte, stammt das Wort: „Wir müssen die gegenseitige Bereitschaft zum Gespräch wiederfinden.” So entpuppt sich das allgemeine Aufatmen nach den Wahlen als ein Atemholen vordem weiteren Marsch ins Ungewisse.

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