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Der Kopernikus der Politik

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Niccolo Machiavelli, der Mitbegründer der modernen Staatswissenschaft und Historiker im Rahmen der Renaissance (geb. 1469 zu Florenz, gest. 1527 ebendort), gehört im Fach des Staatsrechts und der Staatspolitik zu den wenigen Denkern, die in die Weltliteratur eingegangen sind. Ja, er führt in ihr ein geheimnisvoll fortdauerndes Leben, bei dem die Elemente und Triebkräfte seiner Denkarbeit über die Jahrhunderte hinweg immer wieder Kritiker aus den Kreisen der Wissenschaft und der Ethik fanden und doch durch ihr unheimlich anziehendes Licht wie faszinierende Symbole einer Gnosis entsprechend veranlagte Menschen in ihren Bann schlugen. Darum hat man dem Staatsdenker Machiavelli mit seinem berühmten und berüchtig- sten Werk „II Principe“ („Der Fürst“), das nodi 1924 in deutscher Übersetzung erschien, mit seinen sieben Bänden über die Kriegskunst und mit seinen acht Büchern über die florentinische Geschichte nicht in hintere Reihen einer Bibliothek verstauen können.

Es gibt eine vielsprachige Machiavelli- Literatur, zu der deutsche, österreichische , und schweizerische Federn Wertbeständiges beigetragen haben. Ludwig Freiherr von Pastor, der in ihm den genialsten Vertreter der heidnischen Renaissance sah, widmete ihm im III. Bande seiner „Geschichte der Päpste“ neun Seiten mit eingehenden Quellennachweisen, ein unwiderleglicher Beweis, welche Bedeutung er der Person des Florentiner Patrizier und den in seinen Werken vertretenen allgemeinpolitischen Lehren beimaß, die nach ihrem Schöpfer den Namen Machiavellismus tragen.

Seine Auffasung von der Ratio status, der Staatsraison, wurde im 17. Jahrhundert geradezu zum politischen Spitzenbegriff. Danach kann ein Usurpator — schmerzvollste Erinnerungen aus der neueren deutschen Geschichte tauchen auf — die höchste Macht nur erringen und behaupten, wenn er ohne Rücksicht auf die christliche Moral und mit rein politischer Berechnung dem Staatswohl mit Machtmitteln dient. Papst Paul IV. (1555—1559) hielt die Werke des florentinischen Staatssekretärs für derart unethisch und irrig, daß er sie sämtlich auf den Index setzen ließ. Später wurden seine Schriften, darunter einige obszönen Inhalts, von Ordensleuten öffentlich verbrannt. Der laszive, zynische und gewalttätige Zug im Wesen Machiavellis, seine Neigung und sein Bekenntnis zur Skrupellosigkeit in der Politik erfüllte Ludwig von Pastor und viele von ihm angeführte Historiker und Kulturgeschichtler mit tiefem Abscheu. Vielleicht wurde dieser wohlverständliche Widerwille sogar unbewußt bei einem so hervorragenden Historiographen wie Pastor überwertig. Er glaubt in ihm den Typ jener Menschen zu erkennen, „die mit höchster Bildung frevelhafte Ruchlosigkeit, hinterlistige Tücke und Verachtung aller sittlichen Mächte verbinden“. Es wäre billig, dieses Verdikt des großen Papstgeschichtsschreibers 21 Jahre nach seinem Hinscheiden global als überholt hinzustellen. Nichts dürfte mißlicher und ungerechter sein, als Pastor eine Verzeichnung des Charakterbildes Machiavellis und eine Verkennung seiner Lehren, bei denen sich neue, bahnbrechende politische Erkenntnisse mit irrigen Wertmaßstäben in der Moral paarten, zuzuschreiben. Der Historiograph der Nachfolger Petri verband die seltenen Eigenschaften universaler Geschichtsschau mit gewissenhafter Quellenakribie auch in Einzelheiten. Unvermeidlich ist aber, daß selbst bei Historikern von seltenem Format die geschichtliche Einsicht und die Wertung von Persönlichkeiten stets einen leisen subjektiven Stempel trägt. Darum ist der leidenschaftliche Gerechtigkeitssinn, mit dem zum Beispiel Sebastian Merkle eifervoll die Vorstellungen Pastors über Savonarola bekämpfte —

eine bittere Polemik, die die letzten Lebenswochen Pastors umdüsterten —, keine Lösung der folgenden Frage: Ist es angemessen, im Rahmen eines viele Bände umfassenden Gesamtwertes einem echten Historiker ein Zuviel oder ein Zuwenig an Farben und einen Mangel an Ebenmaß in der Perspektive nachzutragen? Wir möchten dies verneinen. Gerade für Machiavelli und die Literatur über ihn, die in Deutschland neben dem Antimachiavell Friedrichs II. von Preußen auch einen Promachiavell von F. Thudichum gezeitigt hat, gilt der vortreff-

liehe Vergleich des Baseler Kulturhistorikers Prof. Werner Kaegi, von den „tausend Facetten jenes schillernden Kristalls, das Machiavelli heißt“, die er nicht zum Aufblitzen gebracht habe. Und doch hat der Nachfolger auf dem Lehnstuhl Jakob Burck- hardts in seinem Kapitel „Vom Glauben Machiavellis" in seinen „Historischen Meditationen“ im Wesen des Florentiners und in seiner Denkarbeit einige Merkmale wohl erstmalig aufgehellt und von den Überlagerungen eines ganzen Arsenals an Bibliographie befreit.

Erstaunliches tritt dabei zutage und wird mit feinem Zeichenstift aus den ursprünglichen Quellen nachgewiesen. Längst bekannt war die Tatsache, daß machthungrige Gewalthaber aus ihrem eigenen Machiavellismus „ein skrupelloses Heidentum in der Politik" gestalteten. Der Stein der von der Ethik losgelösten Staatsraison, den der Florentiner ins Rollen gebracht hatte, war zur Lawine geworden! Das ungeheuer Gefahrvolle in seiner Doktrin wurde von Kardinal Reginald Pole in einem Schreiben an Kaiser Karl V. dahin gekennzeichnet, daß Machiavelli mit dem Finger des Teufels geschrieben babe. Aber Kaegi erweist eindrucksvoll: „Machiavellis Verhältnis zum Machiavellismus ist das des Forschers zu einem Naturphänomen, nicht dasjenige des Schöpfers zu einem Werk. Machiavelli ist ein Entdecker, nicht ein Erfinder. Aber immer wieder, wenn ,man sich in seine Schriften vertieft und seinen Gedankenbahnen folgt, ist man überwältigt von der Bedeutung seiner Tat: er ist der Kopernikus der Politik."

Die falsche und doch gewaltige Aktualität Machiavellis erkennt Kaegi zutreffend in einer 1945 in Deutschland verflossenen, in Osteuropa aber noch heute geltenden Begriffsbildung, die die Moralität des angeblich wahren Politikers zu einer widerchristlichen Gegenethik erhoben hat: die Menschen, die die Lehre vom amoralischen Staat als eine Wahrheit empfinden und die Machtbehauptung als eine neue heilige Tafel des politischen Sittengesetzes proklamieren.

Er wägt mit einem Feingefühl, das an den Spürsinn des edlen Alessandro Man- zoni heran reicht, der den Tiefblick Machiavellis für den Zusammenklang oder den Kontrast zwischen den Absichten der Menschen und der Macht der Tatsachen würdigte, die Wesenszüge des Florentiners ab und stellt evident über ihn fest: „Machiavellis Bild formte sich aus Zügen des Machiavellismus. Und doch ist gerade der Sinn seiner Entdeckung nur verständlich, wenn man die spannungsreiche Distanz vom Forscher zum Objekt, vom Jäger zum Wild richtig ermißt " Obwohl Kaegi die großen Akzente im Gemüt Machiavellis nicht im Religiösen, sondern im Politischen erkennt, gelingt ihm doch der Nachweis, inwieweit der Sohn der Arnostadt, der als Neunundzwanzigjähriger unter den Zuhörern Savonarolas gestanden hat und als gereifter Mann im Ton der Achtung und Bewunderung sich über den unerschrockenen Bußprediger äußerte, ein zwar peripherischer Christ war, aber „nicht ein Feind des katholischen Lebens noch der christlichen Religion überhaupt“ war. Dem Baseler Hochschullehrer liegt es fern, in Machiavelli ein Muster christlichen Wandels zu malen: „Er ist ein verständiger Zuhörer, aber nie ein Jünger Savonarolas gewesen." Und doch deutet der Florentiner in seinem „Bildnis von den Dingen in Deutschland" an, daß ein gesundes Steuerwesen ohne Religion und Gesundheit des Gewissens nicht möglich sei. Unter den kleinen Schriften Machiavellis ist sogar eine Predigt, eine Ermahnung zur Buße in seiner Originalhandschrift entdeckt worden. Das deutet auf eine bisher unbekannte Seite seines Wesens hin. Mit Recht verwirft Kaegi die These, als wenn Machiavellis „Principe" ein Verläufer von Nietzsches „Antichrist“ sei. Die kühle Beobachtungsgabe Machiavellis, in dem viele Italiener den frühesten Bannerträger ihrer nationalen Einigung und Befreiung erblicken, erschloß ihm auch das

Wesen der Demokratie. In seinen „Dis- corei“ sagt er: „Das Urteil der Allgemeinheit prophezeit zuweilen — wie man immer wieder sieht — so wunderbar richtig, als sähe sie vermöge einer geheimnisvollen Kraft ihr Wohl und ihr Wehe voraus.“

Benedetto Croce hat sich unlängst in einem Spitzenartikel seiner Zeitschrift „Critica“ ebenfalls tiefschürfend mit dem neuesten Stande der Machiavelli-Kritik unter der Überschrift: „Eine Frage, die vielleicht niemals zu Ende kommen wird“, befaßt. Vom Kern seiner Lehre sagt er: Er wagte es, zu behaupten, daß die Politik weder die Sittlichkeit noch die Verneinung der Moral, das heißt ein Übel sei, sondern daß sie ein positives und unterscheidbares Wesen als Lebenskraft sei. die keine andere Kraft niederringen und keine Vernünftelei auslöschen könne, wie man das nicht besiegt und nicht ausradiert, was eben notwendig ist.“ Der Neapler Philosoph verfolgt mit der ihm eigenen Stoffbeherrschung das Streitgespräch über Machiavelli und den Machiavellismus. Letzteren verweist er in den Bereich der Moralphilosophie und konstatiert, daß selbstverständlich auch im Altertum und im Mittelalter Politik gemacht wurde, die ihre eigenständigen Erfordernisse gehabt habe. Wir lassen eine vereinzelte Schärfe beiseite, die der Begründer der neuidealistischen italienischen Philosophie borstig den katholischen Philosophen in die Schuhe schiebt, daß sie die Politik als ein Übel oder ein Teufelswerk ansähen, um uns von einer solchen gelegentlichen Extratour des eigenwilligen Croce, der aber auf eine Harmonie zwischen Politik und Moral hindrängt, abzuwenden zu einem ebenso pikanten wie interessanten Geständnis. Davon ausgehend, daß Machiavelli von der Überzeugung von dem Determinismus als die Geschichte lenkenden Faktor beherrscht gewesen sei, beklagt Croce, daß der von ihm sonst so verehrte Hegel auf das Gedankengebilde der sogenannten weltgeschichtlichen Individuen verfallen sei, die gleichsam als Gottgesandte zur Fortführung der Geschichte auch unantastbare, heilige Rechte verletzten. Croce nimmt Machiavelli gleichsam als den weniger Irrenden in Schutz, weil er denjenigen verziehen habe, die durch verwerfliche Handlungen dem Guten Bahn gebrochen hätten, so daß man sich mit dem vorhergehenden Übel als unabänderliche Tatsache abfinden müsse. Dagegen gab „der deutsche Philosoph vielen Wahnwitzigen oder Unfähigen die Illusion, unmittelbar von Gott als große Weltmenschen eingesetzt zu sein und nicht den Sittengesetzen Rechnung tragen zu müssen, um das eigene Volk und sich selbst mit diesem emporzuheben“. Croce beklagte, daß Machiavelli keine bessere Geschichtstheorie für sein Denken zur Verfügung stand, das nach seinen Worten von einem unendlichen Verlangen nach guten Zeitläuften erfüllt war. Mit einem leichten Seitenhieb schließt der Neapler Gelehrte: „Machiavelli war ein Genie, aber ein italienisches und daher ein verständiges Genie. Der Genius, der anderswo zur Welt kommt, ist nicht immer verständig.“

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