Corona: Die Impfung nach Cicero
Ratlos wegen der Impf-Skeptiker? Die Regierung sollte sich Rat bei alten Staatsdenkern holen. Diese würden zur Reform raten – vor allem bei der Politik selbst
Ratlos wegen der Impf-Skeptiker? Die Regierung sollte sich Rat bei alten Staatsdenkern holen. Diese würden zur Reform raten – vor allem bei der Politik selbst
Wie schnell ein Kommunikationsstrom doch aus der Leichtigkeit eines warmen Lüftchens in ein atemberaubendes Kälteloch stürzen kann. Vor etwas mehr als 20 Wochen strömte Österreich noch in einen Sommer wie damals. Ein bisserl impfen, ein bisserl testen – von allem nicht zu viel, dafür viel Spaß am See. Nun aber findet man sich unversehens in einem Sterbe- und Siechenhaus wieder, dessen Bewohner über einen tiefen Graben hinweg gegeneinander polemisieren.
Das Impflager gegen die Ungeimpften, beide angeschlossen an die Verstärker eines allgemeinen Lockdowns. In diesem Sinne muss man – ganz und gar konstruktiv – fragen, wie es in dieser Art der Krisenpolitik und -kommunikation weitergehen soll. Wie etwa die Pflicht zur Impfung ein Erfolg werden kann. Wie das Land nicht nach Lockdown vier in Lockdown fünf und sechs schlittert und gesellschaftlich und politisch ins vollendete Abseits. Man kann dabei ergänzend zu den aktuell vorliegenden Ratschlägen etwa für eine „Entschuldigung bei den Bürgern“ (Peter Filzmaier) oder einen neuen Kampagnenanlauf zur Impfung (etwa von Barbara Stöckl) auch den Rat von Verfassungs- und Staatshistorikern suchen, die die Diskussion um die Impfpflicht ordnen könnten.
Der Stein der Weisen
Man könnte aber auch nachsehen, ob es denn nicht in der abendländischen Tradition Denker und Rezepte gäbe, die einem helfen könnten. Tatsächlich gibt es geniale Köpfe, die sich vor Jahrhunderten schon die gleichen Fragen gestellt haben. Im Kern ging es damals wie heute darum: Wie funktioniert Vertrauen, und wie wird es hergestellt? Bei Aristoteles ist der Staat nicht nur dafür zuständig, für gesellschaftliche Harmonie zu sorgen, ihre Herstellung ist seine schiere Existenzgrundlage. Insofern sieht der Philosoph nicht den Tyrannen als die größte Gefahr für den Staat, sondern den Egoisten: „Ist der Mensch in seiner Vollendung auch das vollkommenste Geschöpf, so ist er bar der Gesetze und des Rechts auch das schlechteste von allen.“ Nun wird der Egoismus gerne auch von Regierungsseite den Impfskeptikern umgehängt. Was aber, wenn die Bürger den Egoismus an der Staatsspitze vorgelebt bekommen haben? Wenn er ihnen zuletzt massiv aus diversen Chats nur so entgegenquoll? Wenn er ihnen nicht nur in Türkis, sondern seit Jahr und Tag auch wahlweise in Blau und Rot entgegenschlug? In diesem Sinn darf man sich rhetorisch fragen, ob die Skepsis gegen Regierung/Impfung/Coronamaßnahmen und das Bestehen auf alternativen Wegen nicht ein sehr gut gedüngtes Feld vorgefunden haben.
Dass also der erste Weg aus der Misere ganz abseits von Corona zu suchen wäre: in einer neuen Ehrlichkeit, Offenheit und (auch wenn das etwas süßlich klingt) Bescheidenheit. In diesem Sinne wäre an den mit dem Ex-Kanzler eng vertrauten Bundeskanzler zunächst ein Gruß des römischen Staatsdenkers Marcus Tullio Cicero zu richten, aus dessen „De Officiis“, geschrieben etwa 50 vor Christus: „Da ich kurz zuvor gesagt habe, unsere Ahnen sollten uns für Vorbilder gelten, so sei gesagt, man sollte ihre Fehler nicht nachahmen.“ Und noch konkreter: „Wer auf der Bühne steht, darf nicht lügen, denn sein Lügen wird sofort offenbar.“
Was aber tun im konkreten Fall im Jetzt der Pandemie von 2021/2022? Der erste Politstratege Niccolò Machiavelli kann da aushelfen – und das ganz ohne List und Falsch. Man muss sich den Renaissance-Diplomaten der Republik Florenz am Arno stehend vorstellen, wie er in die reißenden Fluten des Flusses schaut und sich wundert, da doch der Fluss die meiste Zeit ein Rinnsal ist. Und wie er den folgenden Gedanken in ein Büchlein einträgt, das später unter dem Namen „Der Fürst“ Weltkarriere macht. Machiavelli schreibt: „Wenn man den Arno regulieren will, muss man es im Sommer machen, wenn er kein Wasser führt.“
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