Gefangen zwischen zwei Welten

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Fatima soll zwangsverheiratet werden. Die in Wien Geborene ist hin- und hergerissen zwischen den Ansprüchen ihrer Familie und dem westlichen Lebensstil.

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Fatima soll zwangsverheiratet werden. Die in Wien Geborene ist hin- und hergerissen zwischen den Ansprüchen ihrer Familie und dem westlichen Lebensstil.

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Es ist ein besonderer Tag für Fatima (Name von der Red. geändert). Eigentlich darf sie nicht frei über ihre Zeit verfügen, geschweige denn sich frei in Wien bewegen. Nun sitzt die 32-Jährige in einem Wiener Gastgarten, um ihre Geschichte zu erzählen, die es in Österreich gar nicht geben dürfte. Sehr mädchenhaft wirkt sie, viel jünger als sie ist. An diesem heißen Sommertag trägt sie eine weiße hochgeschlossene Tunika mit langen Ärmeln und eine lange Hose, die schwarzen Haare lang und offen. Neben ihr sitzt ihre persönliche Mentorin, die sich in ihrer Freizeit für die Unabhängigkeit der gebürtigen Wienerin mit pakistanischen Wurzeln einsetzt. Sie ermutigte Fatima nicht nur zum Interview, sondern machte es erst möglich, indem sie eine Bestätigung für deren Vater schrieb, dass Fatima in einem "Coaching zur Jobsuche" wäre. Die beiden Frauen lernten einander in einem vom AMS vermittelten Schulungskurs kennen, den die Mentorin leitet. Als "große Freundin" steht sie Fatima seither mit Rat und Tat zur Seite.

An Fatimas Finger blitzt ein Diamantring. Darauf angesprochen, ob sie diesen Ring zum Selbstschutz trägt, weil er einem Verlobungsring gleicht, verneint sie. Was aber eine Zwangsehe bedeutet, weiß Fatima genau. In ihrem Umfeld ist es der Regelfall. Ihre 18-jährige Schwester wird in Kürze von einem Cousin in London geheiratet werden. Nur Fatima bleibt das Sorgenkind der Familie. Seit vielen Jahren wird sie immer wieder potenziellen Ehemännern im In-und Ausland "angeboten". Unlängst war ein 50-jähriger Pizza-Bote in der Wiener Wohnung zu Besuch, um sich Fatima anzusehen - vor der versammelten Familie. "Das ist so unangenehm, wenn einen alle neugierig beäugen", sagt Fatima und rollt die Augen.

Ein Schicksal von vielen

Fatimas Schicksal ist kein Einzelfall. Bei der Wiener Frauenberatungs-Stelle "Orient Express" gelangen in den Sommerferien vermehrt Hilferufe von betroffenen Mädchen ein, die meisten minderjährig, die Zahl steigt seit Jahren. Im Vorjahr wurden 107 Klientinnen beraten, wie viele aber tatsächlich von Zwangsheirat betroffen sind, bleibt im Dunkeln. Das internationale Ausmaß von Zwangsehen ist jedenfalls erschreckend: Allein 50 Millionen Minderjährige werden jährlich zur Heirat gezwungen. Das Thema ist nach wie vor tabuisiert, die potenzielle Bedrohung durch männliche Familienmitglieder groß - selbst gegenüber den Mitarbeiterinnen von "Orient Express". Oft werde der psychische Druck der Familien noch durch körperliche Gewalt verstärkt. "Für Betroffene macht es keinen großen Unterschied, ob sie minderjährig sind oder nicht, wenn der Druck massiv ist", berichtet Serin Sempere Culler, die Beratungen auf Arabisch durchführt. Sie bestätigt, dass viele Mädchen bereits in Österreich geboren wurden und aufgewachsen sind - in einer Parallelwelt. Obwohl sie die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen und Anspruch auf Sozialleistungen haben, schaffen sie den Absprung nicht.

Auch Fatima ist dafür derzeit nicht bereit. "Ich will mein eigenes Leben leben und mit meiner Familie in Kontakt bleiben", sagt sie. Auf den ersten Blick scheint die Familie bestens integriert zu sein: Ihr Vater arbeitet seit über 30 Jahren im öffentlichen Dienst in Wien. Mit dem verdienten Geld konnte er in Pakistan ein stattliches Anwesen bauen. "Er ist ein freundlicher Mann, man glaubt, alles wäre bestens, wenn man ihn kurz trifft", sagt die Mentorin. Sie selbst scheint der Vater jedenfalls akzeptiert zu haben - nichtsahnend, welchen Einfluss die Frau auf seine Tochter ausübt.

Bereits zwei Mal sollte Fatima einen Pakistani heiraten, der dafür ein Visum für Österreich bekommen hätte. Warum sie noch immer unverheiratet ist? "Ich bin nicht schön genug", behauptet Fatima zu Beginn des Gesprächs im genervten Ton. "Am mangelnden Wohlstand der Familie oder meiner Ausbildung kann es ja nicht liegen." Im Laufe des langen Gesprächs kommen immer mehr Ungereimtheiten zum Vorschein, die das eingangs von Fatima gezeichnete Bild ins Wanken bringen. "Sie lebt immer noch nach den alten Mustern dieser Religion und Kultur, auch wenn sie langsam Mut fasst und sich sehr bemüht, unabhängiger zu werden", sagt die Mentorin. "Gleichzeitig ist sie fasziniert vom westlichen Leben und hätte auch gerne diese Freiheiten. Sie geht langsam, Schritt für Schritt, Richtung Unabhängigkeit." Bisher konnte auch sie nicht Fatima dazu bewegen, sich bei "Orient Express" zu melden.

Flucht ins Ungewisse

Seit 2013 gibt es dafür eine vom "Orient Express" zur Verfügung gestellte Notwohnung mit acht Plätzen und zwei Notschlafplätzen - die einzige in Österreich. "Die Mädchen sind so verunsichert, dass sie eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung brauchen", berichtet Sempere Culler. In ihren jeweiligen Heimatstädten, selbst in Wien, sei es nur schwer möglich, unterzutauchen, vor allem wenn es sich um große Familienclans handelt. In Fällen akuter Gefährdung bietet "Orient Express" den Mädchen an, mit einem neuen Namen in eine andere Stadt zu gehen. "Einige beugen sich lieber dem Druck der Familie, als anderswo von Null anzufangen", weiß Sempere Culler.

"Auch die Mütter stehen meist nicht hinter der Tochter, sie haben selbst nichts zu melden." In Fatimas Fall hat die Mutter die Familie verlassen, als Fatima noch klein war. Die Version des Vaters lautet, dass die Mutter "ein leichtes Mädchen" und eine "Rabenmutter" gewesen sei und ihre Kinder einfach zurückgelassen habe. "Seither ist der Papa der Fixstern, um den sie kreist und von dem sie sich nicht lösen kann", sagt die Mentorin.

Manche Mädchen brauchen mehrere Monate, bis sie ihre ganze Geschichte erzählen, weiß Sempere Culler. Immer wieder erleben die "Orient Express"-Beraterinnen Fälle von Mädchen, die sich bereit erklären, mit der Familie zu brechen, um zwei Tage später ihre Entscheidung zurückzuziehen. Viele kehren schließlich nach Hause zurück -in dem Wissen um die große Gefahr, in der sie schweben. Selbst wenn die Hilfesuchenden über ihre Rechte und Möglichkeiten aufgeklärt werden, ringen sich die wenigsten zu rechtlichen Schritten durch. Noch nie kam es in Österreich zu einer gerichtlichen Verurteilung wegen einer geplanten oder vollzogenen Zwangsverheiratung.

Religion keine Rechtfertigung

Das Gesetz ist zwar klar auf Seite der Opfer, greift aber oft nicht (siehe Interview rechts). Mit Jahresbeginn wurde in Österreich auch der Zwangsverschleppung ein juristischer Riegel vorgeschoben, wenn also Mädchen unter dem Vorwand eines "Sommerurlaubs" in die Heimat verschleppt und dort verheiratet werden. Wird dort von einem Imam die Ehe geschlossen, wird diese in Österreich nicht anerkannt. Wie die Islamische Glaubensgemeinschaft zu der heiklen Causa steht? "Religion wird, gerade wenn es um restriktive und patriarchale Denkmuster geht, zur Rechtfertigung vorgeschoben", kritisiert Sprecherin Carla Amina Baghajati. Die IG dürfe sich aber auch nicht damit zufrieden geben, "krasse Verletzungen von Frauenrechten mit der Tradition zu erklären und abzutun." Ob Imame ihre moralische Autorität nutzen sollten, um die Problematik von Zwangsverheiratungen zu thematisieren? "Unbedingt, gerade vor und in der Hauptreisezeit", meint Baghajati. Aufklärungsarbeit dazu werde "in vielen Wiener Moscheen geleistet" - eine konkrete Moschee konnte sie aber nicht benennen. Wichtig sei auch, dass Mädchen sagen, wie ungerecht sie es finden, wenn für sie andere "Anstandsregeln" gelten als für Burschen.

Doppelmoral

Auch davon kann Fatima ein Lied singen. Die arbeitslos gemeldete junge Frau hat während ihrer Jahre in Pakistan zwei Studien abgeschlossen, Modedesign und britische Kulturwissenschaft, allerdings als Fernstudium von daheim aus. Gerne hätte sie ein Doktorat angehängt, wie ihr Bruder, der in England studieren durfte, doch für ihn gelten andere Regeln: Er lebt fernab der Familie in London, ist Mitte 30, unverheiratet und postet auf Facebook sogar stolz seine wechselnden Frauenbekanntschaften. Inzwischen ist er Anwalt in einer renommierten Kanzlei, scheinbar ein Vorzeigebeispiel für erfolgreiche Integration, wäre da nicht ein Schönheitsfehler: Der einst so geliebte Bruder übt nicht nur massiven Druck auf seine Schwester aus, endlich einen Mann zu akzeptieren, um die "Familienehre" zu retten. Er hat ihr deshalb bereits mit der Ermordung gedroht. Ob sie denn gar keine Wut verspürt? Fatima sagt nichts. "Nach außen zeigt sie sich brav und wohlerzogen, wie sie es gelernt hat", springt ihre Mentorin ein. "In den Gesprächen mit ihr erkenne ich aber eine große Wut."

Weh tut Fatima vor allem der Vergleich mit Pakistanerinnen, denen mehr Freiheiten zugestanden werden. Viele pakistanische Familien öffnen sich in Europa. "Aber mein Vater hat sich nur nach außen verändert", klagt sie. In dieser Welt gehe es nur um die Außenwirkung, die sogenannte "Ehre" der Familie, nie darum, wie es den einzelnen Menschen wirklich geht, kritisiert die Mentorin.

Wenn Fatima ausnahmsweise etwas unternehmen darf, muss sie fünf Minuten nach Veranstaltungsende im Auto des Vaters sitzen. Es soll keine Zeit bleiben, um mit "schlechten Einflüssen" in Kontakt zu kommen, sei es auch nur ein flüchtiges Gespräch oder der Austausch von Telefonnummern. Sie soll ihren Mann nicht selbst wählen, keinen Europäer nehmen. Eine Liebesbeziehung hatte Fatima freilich noch nie.

Die Uhr tickt. Je älter sie wird und je länger sie unverheiratet bleibt, umso ungeduldiger wird ihre Verwandtschaft. Wie ein Damoklesschwert schweben die Drohungen über ihr. "Mit spätestens 35 Jahren gilt man als pakistanische Frau als nicht mehr vermittelbar", sagt sie. In einem Jahr wird der Vater seine Pension antreten und zurück in die Heimat gehen - Fatima muss dann mitkommen, sofern sie keinen eigenen Weg eingeschlagen hat. Noch ist ihr Weg aber unklar. Ginge es nach der Mentorin, hätte sich Fatima längst ein Zimmer in einer Studentinnen-WG suchen sollen. Läuft alles nach dem Plan, den die zwei Frauen entworfen haben, wird Fatima ab Herbst eine Ausbildung zur Freizeitpädagogin absolvieren. Das Studium dauert nur ein Jahr, danach wäre sie gefragt am Arbeitsmarkt und könnte sich endlich selbst erhalten, lautet die Hoffnung. Nebenbei bewirbt sie sich für Teilzeitjobs. Noch sind das nur Pläne. "Sie absolviert zwar alle möglichen Kurse, aber wird einfach nicht selbstständiger. Sie erscheint mir wie ein Küken, das am Nestrand sitzt, sich aber nicht fliegen traut", sagt die Mentorin mit sorgenvoller Miene.

Schonfrist läuft ab

Denn Fatima hat schon öfter mit Suizidgedanken gespielt. Zu der Zeit hat sie sich freiwillig verschleiert. "Ich wollte nicht mehr von oben bis unten abgecheckt werden von den Männern", erklärt sie. Wenn sie weder ein noch aus weiß, malt Fatima Bilder oder entwirft Kleider. "Da kann mir niemand sagen, welche Farbe ich nehme", erklärt sie. "Das ist meine Freiheit." Hätte sie diese Ausdrucksmöglichkeit nicht, würde sie laut Eigenaussage nicht mehr leben.

Sollte Fatima nicht die Kraft zum Absprung aufbringen, wird sie wohl bald zwangsverheiratet werden. Seit einem Jahr versucht die Mentorin, Fatima von einem klaren Schnitt zu überzeugen: "Ich sage ihr:'Was soll dir passieren? Wir sind rund um die Uhr für dich da.' Fatima hört sich das alles seelenruhig an, sagt, sie wisse ja, dass sie etwas tun muss, aber es passiert nichts." Keine Entscheidung führt in Fatimas Fall aber auch zu einer Entscheidung. Am Ende des Gesprächs sagt sie in einem bitter-anklagenden Ton: "Mädchen können soviel mehr schaffen, wenn die Familie es erlaubt." - "Oder wenn du es dir selbst erlaubst", ergänzt die Mentorin. "Du bist ja kein Mädchen mehr, du bist eine erwachsene Frau."

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