Kämpfer für Amazonien

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100.000 Menschen leben in einem Gebiet, das bald von Stauseen überflutet sein soll. Erwin Kräutler über seinen gefährlichen Einsatz für Bürgerrechte. Das Gespräch führte Oliver Tanzer

Dom Erwin Kräutler, in Koblach in Vorarlberg geboren, ist seit 1980 Bischof von Xingu, der größten Diözese Brasiliens. Kräutler ist durch seinen aufopfernden Kampf für die Rechte von Kleinbauern und Indios Brasiliens bekannt. Seit 2006 steht er wegen Morddrohungen unter Polizeischutz. Sein Kampf gegen das Staudammprojekt Belo Monte am Xingu-Fluss droht zu scheitern. Die Regierung Brasiliens will den drittgrößten Staudamm der Welt um jeden Preis errichten. Doch Kräutler bleibt unbeirrt.

Die Furche: Herr Bischof, im Mai und Juni dieses Jahres wurden nicht weniger als sechs Umwelt- und Menschenrechtsaktivisten in Brasilien ermordet. Wen vermuten Sie hinter diesen Morden?

Erwin Kräutler: Es ist beinahe an der Tagesordnung, dass Menschen, die sich für Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit einsetzen, erschossen werden. Dahinter stecken Leute, die es auf Amazonien abgesehen haben, das Land ausbeuten und von heute auf morgen reich werden wollen. Sie schrecken vor nichts zurück und verfügen über Berufsmörder. Wer sich querlegt, riskiert sein Leben.

Die Furche: Wenn so etwas passieren kann, ohne geahndet zu werden, dann deutet das auf einen kriminellen Staat im Staat hin.

Kräutler: Ein Staat im Staat ist es auch insofern, als diese Leute sehr schwer identifiziert werden können. Wenn man sie tatsächlich stellt, dann folgt ein sehr langwieriger Prozess. In den allermeisten Fällen werden nicht die Auftraggeber verurteilt, sondern "nur“ die Killer. Unser größtes Problem ist die Straflosigkeit. Diese Unternehmer wittern unendliche Gewinne und fallen dabei beinahe in ein kriminelles Delirium. Es macht ihnen absolut nichts aus, gegen Gesetze zu verstoßen und Verbrechen in Auftrag zu geben.

Die Furche: Sie selbst haben auch Morddrohungen bekommen.

Kräutler: Ich stehe seit fünf Jahren unter Polizeischutz. Seit 29. Juni 2006 werde ich rund um die Uhr bewacht. Es ist schon seltsam. Wer kann sich schon daran gewöhnen, immer begleitet zu sein? Meine Freiheit habe ich eigentlich nur in meinem Zimmer, wo ich alleine sein darf und mein Brevier bete. Aber es gibt, Gott sei Dank, auch die innere Freiheit und die habe ich nicht verloren.

Die Furche: Fühlen Sie sich sicher?

Kräutler: Es ist in Brasilien nicht so einfach, einen Bischof umzubringen (lacht). In der Zwischenzeit bin ich brasilienweit und auch international bekannt. Ich bin auch Präsident des Indianerrates der Bischofskonferenz. Auf der anderen Seite sind es die Sicherheitsbehörden, die vermutlich sagen, wir können uns nicht leisten, dass ein Bischof ermordet wird. Der Sicherheitschef wies mich darauf hin, dass im Falle eines Verzichts auf den Personenschutz die Behörden absolut keine Verantwortung übernehmen, sollte etwas passieren. "Bischof, wir wissen mehr als Sie!“, gab er mir zu bedenken. Was sollte ich da tun? Immerhin habe ich ein neues Verhältnis zur Polizei gefunden. 1983 wurde ich von Polizisten niedergeschlagen. Dieselbe Militärpolizei, die mich damals festnahm, bewacht mich jetzt.

Die Furche: Sie sind prominent. Wie geht es Mitstreitern, die nicht über einen ähnlichen Bekanntheitsgrad verfügen?

Kräutler: Ja, leider gibt es hier Unterschiede. Schwester Dorothy arbeitete seit 1982 in meinem Bistum unter den Ärmsten der Armen. Der Mord an ihr 2005 war sofort in aller Welt bekannt. Warum? Schwester Dorothy war US-Amerikanerin. Mein Freund Ademir Alfeu Federicci, ein brasilianischer Menschenrechtsaktivist, Leiter einer kirchlichen Basisgemeinde und Familienvater, wurde ein paar Jahre vorher, am 25. August 2001, aus genau denselben Gründen wie Schwester Dorothy, in seinem Haus vor den Augen seiner Frau erschossen. Dieser Fall ist nicht einmal im eigenen Land bekannt, geschweige denn außerhalb Brasiliens.

Die Furche: Wie geht es den Ureinwohnern, gibt nicht auch gegen sie Drohungen, sie, wenn nötig, mit Gewalt zu vertreiben?

Kräutler: Die Regierung sagt den Leuten: Den Staudamm Belo Monte nicht zu bauen, heißt, Brasilien in ein Energieblackout zu stürzen. Das ist eine glatte Lüge. Der Staudamm und das E-Werk haben nichts mit dem Strom in unseren Häusern zu tun, sondern sollen es ermöglichen, die Aluminium-Produktion auszubauen. Die damit verbundenen Umweltschäden kann man sich gar nicht vorstellen. Die Energie geht ja eigentlich ins Ausland, in Form von energieintensivem Aluminium.

Die Furche: Brasilien wird also für die Produktion von Gütern benutzt, die anderswo aufgrund von Umweltauflagen und Rentabilität nicht mehr erzeugbar wären.

Kräutler: Das ist es, auf den Punkt gebracht.

Die Furche: Zurück zu Belo Monte. Da scheinen die Befürworter endgültig gewonnen zu haben.

Kräutler: Ich bin noch nicht überzeugt, dass der Damm gebaut wird. Es gibt immerhin zwölf Prozesse, die von der Staatsanwaltschaft angestrengt wurden. Die meisten Staatsanwälte stehen auf unserer Seite und klagen die Regierung, beispielsweise weil die indigenen Völker nicht angehört wurden, wie die Verfassung es vorschreibt. Zudem sind von der Umwelt- und Indianerbehörde 64 Auflagen vorgesehen, die für den Start des Projektes erfüllt sein müssen, angefangen vom Schutz der Wasserschildkröten über den Bau von Schulen, Krankenhäusern und Siedlungen bis hin zur Vermessung und offiziellen Anerkennung indigenen Gebietes. Wenn nun die Präsidentin sagt, der Staudamm wird auf jeden Fall gebaut, dann setzt sie sich über die Verfassung, und das bedeutet, wir leben in einer "zivilen Diktatur“. Am ersten Juni gab die Umweltbehörde nun die Baulizenz und behauptete, alle diese Bedingungen seien erfüllt. Auch das ist eine glatte Lüge. Ich weiß, wovon ich spreche. Ich lebe ja hier. Die ganze Welt wird an der Nase herumgeführt.

Die Furche: Nützt Ihnen nicht die Unterstützung großer Stars?

Kräutler: Kaum. Sting war 1989 mit einigen brasilianischen Künstlern bei einem Treffen der indigenen Völker in Altamira. Das hat damals noch Aufsehen erregt. Heute aber sagt die brasilianische Regierung, das sei Einmischung in innere Angelegenheiten. Die zynische Reaktion von Lula in einem solchen Fall war jedes Mal: Wir wissen schon selbst, was gut ist für Brasilien.

Die Furche: Was benötigt ihre Organisation am dringendsten?

Kräutler: Was wir brauchen, ist die entschiedene Verteidigung der Rechtsstaatlichkeit. Und natürlich brauchen wir auch Unterstützung für unsere Initiativen. Am 8. Februar 2011 haben wir der Regierung 600.000 Unterschriften gegen Belo Monte übergeben. Was muss denn noch geschehen?

Die Furche: Stehen Sie noch in Kontakt mit der Regierung?

Kräutler: Lula hat mich zweimal empfangen. Präsidentin Dilma aber verwies mich an den Innenminister. Aber dieser hatte wenige Tage vor dem geplanten Treffen nichts Besseres zu tun, als in Interviews zu behaupten, das Projekt werde auf jeden Fall durchgeführt. Damit war ein Dialog ja schon im Keim erstickt. So habe ich das Treffen abgesagt. Lula hatte mir versprochen, Belo Monte nicht auf Biegen und Brechen zu bauen. Aber jetzt werden wir abgeblockt. Bis heute kam vonseiten der Regierung keinerlei Antwort auf die technischen Argumente eines Expertengremiums von 40 Wissenschaftern, Forschern und Universitätsprofessoren, die das Projekt aus sozialen, ökologischen, ja sogar finanziellen Gründen strikt ablehnen und vor den unabsehbaren und nie wieder gutzumachenden Folgen warnen.

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