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Delphine gehören nicht in den Zirkus

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Sich mit einer Milbe anzufreunden, ist uns Menschen unmöglich, bei einer Weinbergschnecke im Garten hätten wir gewiß ebenfalls Schwierigkeiten, beim Wellensittich ist es schon leichter, und zu den Säugetieren können wir sofort einen gleichsam persönlichen Bezug herstellen. Daß Tiere, je enger die biologische Verwandtschaft ist, umso mehr, auf den Menschen einen vielfältigen Reiz ausüben, klingt nur deshalb trivial, weil es uns emotional selbstverständlich ist.

Hinter dieser Selbstverständlichkeit steht aber, sieht man genauer hin, eines der interessantesten Phänomene der Biologie, nämlich die Du-Evi-denz, wie es die Verhaltensforschung nennt. Daß wir vor allem bei höheren Säugetieren ohne Zögern davon ausgehen, sie würden in ähnlicher Weise wie wir Freude, Trauer, Angst, Lust und Unlust empfinden, ist eigentlich erstaunlich, da wir selbst die Zahnschmerzen des Nachbarn nicht selbst empfinden, sondern ihm nur „glauben" können. Andererseits entsteht mit dem Eindruck zunehmend ähnlicher Emotionalität unser Gefühl des Vertrauten und Vertraut-Seins.

Bereits in den ältesten Mythen vieler Völker, auch der europäischen Antike, wird vom Erlebnis dieses Vertraut-Seins besonders mit Delphinen berichtet. Amanda Cochrane und Ka-rena Callen, Journalistinnen aus Großbritannien, erzählen in ihrem Buch „Das Geheimnis der Delphine" von der uralten Beziehung zwischen Mensch und Delphin.

Im Vordergrund steht, wie im englischen Originaltitel deutlicher wird, die immer wieder behauptete Heilkraft dieser Tiere. Dabei darf der Ausdruck „Heilkraft" keineswegs im (schul-)medizinischen Sinne verstanden werden, denn eine naturwissenschaftlich oder zumindest statistisch nachweisbare therapeutische Wirkung kann derzeit nicht aufgezeigt werden. Worum geht es also?

Aufgrund der uralten Tradition, die Delphine für göttlich zu halten,

ihnen gleichsam übernatürliche Eigenschaften zuzusprechen, gar das ganze Menschengeschlecht von ihnen abzuleiten, sowie zahlreicher Berichte, daß die Begegnung mit wildlebenden Delphinen ein seltsames Gefühl der Euphorie hervorrufe, begann man, dieses Phänomen genauer zu untersuchen.

In vielen Institutionen vor allem in den USA (wobei die New-Age-Bewe-gung einen geistigen Hintergrund lieferte) versuchte man, die therapeutische Wirkung des „Delphin-Erlebnisses" unter die Lupe zu nehmen.

Dabei stellte sich in mehreren Fällen heraus, daß besonders Personen mit emotionaler Schädigung wie etwa Depression oder Autismus durch den Kontakt mit Delphinen erstaunliche Verbesserungen ihres Zustandes erlebten.

Kinder, die zu keinerlei Kommunikation fähig waren, wurden von diesen Tieren auf buchstäblich spielerische Weise zu Aufmerksamkeit, Konzentration und sozialer Interaktion

animiert. Auch bei Erwachsenen mit zum Teil schweren Verhaltensstörungen trat nach der Begegnung mit Delphinen eine zumindest subjektiv erlebte wesentliche Besserung ein.

Diese Effekte treten zwar nicht regelmäßig und bei allen Personen auf, aber man kann sich trotzdem fragen, welche Ursachen hinter ihnen stehen. Die allgemeine Ursache scheint darin zu liegen, daß wir Menschen bei der Begegnung mit einem uns nahe verwandten höheren Säugetier viel leichter die emotionale Erfahrung der Vertrautheit machen, als unter den Bedingungen einer emotional neuro-tisierten Massenzivilisation mit Menschen.

Dies führt allerdings auch zu jenen manchmal absurden Bindungen an das Haustier, das für „edler" als alle

Menschen gehalten wird.

Abgesehen davon hat der Delphin einige Verhaltensmerkmale, die uns Menschen besonders ansprechen. Mit seiner hohen Intelligenz hängt zusammen, daß ein Großteil seines Verhaltens im Spiel besteht. Es ist bekannt, oder sollte es jedem Psychologen sein, daß Verhaltensstörungen gleich welcher Art am besten durch die Methode des Spieles korrigierbar sind. Der erhobene Zeigefinger ist zwar die am weitesten verbreitete, aber auch die dümmste „Therapie". Dazu kommt, daß Delphine aus einer Gruppe von Menschen offenbar jene „erkennen", die emotional sozusagen „nicht in Ordnung" sind, denn sie beginnen sofort, sich ausschließlich mit diesen zu befassen.

Dies hängt mit einer weiteren auffälligen Eigenschaft zusammen, nämlich der außerordentlichen Hilfsbereitschaft der Delphine. Natürlich haben sie diese nicht für den Menschen entwickelt, aber sie scheinen ein hochkomplexes Sensorium dafür zu besitzen, wer wirklich Hilfe (nicht bloß beim drohenden Ertrinken) benötigt. Als in einem Delphinarium einer der Trainer so tat, als würde er ertrinken, holte ihn einer der Delphine an die Wasseroberfläche und an den Beckenrand. Kaum bemerkte der Delphin, daß dies zur Belustigung des

Publikums geschah, wurde der Trainer mit einem kräftigen Schlag der Schwanzflosse verprügelt. Wir neigen dazu, dasselbe zu tun, wenn einer aus Jux bei einer Bergtour um Hilfe schreit.

Hervorzuheben ist, daß die Autorinnen eindringlich vor der Vermarktung der Delphine in zirkusähnlichen Situationen wrarnen, sie beschreiben auch die Absurditäten, die den Zuse-hern bei Fernsehserien wie „Flipper" vorgemacht werden (wenn ein Delphin den Kopf aus dem Wasser streckt, mit den Kiefern klappert und „nickt", dann heißt dies nicht, daß er lacht und grüßt, sondern daß er höchst verärgert ist), und sie warnen vor allem vor jenen Menschen, die diese Tiere als Spielzeug oder gar als Objekt ihres infantilen Jagdtriebes betrachten. Manchmal geht auch in rührender Weise die Begeisterung mit ihnen durch, etwa dort, wo sie davon berichten, daß diesen Tieren Sex noch wirklich Spaß macht. Fazit: Vielleicht sollten wir von den Delphinen sogar noch einiges lernen.

BOAS GEHEIMNIS DER DELPHINE Von Amanda Cochrane und Karena Scherz Verlag, Bern 1996 286 Seiten, zahlreiche Farbfotos, geb., öS W.-

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