Ein Europäer aus Asien

Werbung
Werbung
Werbung

Zur Person von Adolfo Nicolás, dem neuen Generaloberen des Jesuitenordens.

Seit dem 19. Jänner haben die Jesuiten wieder einen Chef: 217 Wahlmänner aus 91 Ordensprovinzen wählten im zweiten Wahlgang Adolfo Nicolás SJ (71) zum 30. Generaloberen der Gesellschaft Jesu, des mit etwa 19.200 Mitgliedern größten Männerordens der katholischen Kirche. Zuletzt fungierte er als Moderator der "Jesuit Conference of East Asia and Oceania" mit Sitz auf dem Campus des Ateneo de Manila in Quezon City (Philippinen). Nicolás ist der 29. Nachfolger des heiligen Ignatius von Loyola (1491-1556). Aufgrund seiner Studien- und Lebenserfahrungen in verschiedenen Ländern und seinen vielfältigen Leitungsaufgaben gilt der neue "General" als international versiert und geistig beweglich. Er spricht Spanisch, Japanisch, Englisch, Französisch und Italienisch. Freunde nennen ihn Nico.

Wer ist der Neue? 1936 im spa- nischen Palencia geboren, trat Nicolás 1953 in Aranjuez ins Noviziat der Provinz von Toledo ein. Nach philosophischen Studien in Alcalá bei Madrid und einem praktischen Einsatz studierte er von 1964 bis 1968 Theologie an der Sophia-Universität in Tokio, wo er 1967 auch zum Priester geweiht wurde.

Nach einem Aufbaustudium an der Gregoriana in Rom kehrte er nach Japan zurück und lehrte seit 1971 systematische Theologie an der Sophia-Universität. Von 1978 bis 1984 leitete er das Ost- asiatische Pastoralinstitut (EAPI) in Manila. Von 1993 bis 1999 war er Provinzial der japanischen Jesuitenprovinz und übersiedelte in ein Armenviertel. Von 2000 bis 2004 arbeitete er am Diözesanzentrum für Migranten in Tokio, seit 2004 war er Präsident für die Konferenz der verschiedenen Ordensprovinzen in Ostasien und Ozeanien.

Vier Jahrzehnte in Asien

Europäer von Geburt und Ausbildung, verbrachte Nicolás also fast vier Jahrzehnte in Asien, wo über 60 Prozent der Weltbevölkerung leben. Er kennt die Probleme des interreligiösen Dialogs aus eigener Erfahrung, er weiß um asiatische Empfindsamkeiten gegenüber Bevormundungen (auch in der Kirche) in Sachen Inkulturation, er beklagte zusammen mit anderen wiederholt den "theo- logischen Imperialismus", der sich immer wieder aus Europa einschleicht. Beobachter meinen, die Wahl von Nicolás sei ein ermutigendes Zeichen für alle, die den interreligiösen Dialog nicht abkoppeln wollen von einem Eintreten für Glaube und Gerechtigkeit, und die darüber hinaus eine Inkulturation nicht nur der kirchlichen Praxis, sondern auch der kirchlichen Lehre wünschen.

Zufall - oder mehr? Gar Vorsehung? Die Wahl von Nicolás wird von vielen als echter Glücksfall angesehen. Eine ehemalige Mitarbeiterin aus Japan, Schwester Filo Hirota, beschreibt Nicolás als "beinahe perfekt": "Ein ausgezeichneter Theologe, sehr menschlich." In den 80er Jahren habe er eine Art Minikonzil für die japanische Kirche organisiert und dabei unter Beweis gestellt, dass er ebenso "ausgeglichen" wie "gelassen" sei, "prophetisch in seinen Visionen" und ein "Meister des Dialogs". Hirota ergänzt etwas, das in der offiziellen Biographie des neuen Generaloberen bisher nicht aufscheint: "Er macht einen gewinnenden Eindruck wie Charlie Chaplin."

Das bestätigt auch der deutsche Jesuit Martin Maier von den Stimmen der Zeit, der bei der 34. Generalkongregation (1995) eng mit Nicolás zusammenarbeitete: "Wenn man mit ihm beisammen war, ging es einem einfach gut." Als es bei der Schlussredaktion der zu verabschiedenden Dekrete zu ernsten Schwierigkeiten kam, verlor Nicolás weder seine Souveränität noch seinen Humor: "Manchmal fallen selbst die Affen von den Bäumen."

Aus der Mission kommend

Bezeichnend ist, dass zum dritten Mal in Folge der Generalobere aus der Mission kommt: Schon seine beiden Vorgänger, der nun emeritierte Peter-Hans Kolvenbach (1983-2008) und Pedro Arrupe (1965-83), waren im Nahen und Fernen Osten tätig, bevor sie zum Generaloberen gewählt wurden.

Der gebürtige Niederländer Kolvenbach hatte als anerkannter Orientalist jahrzehntelang in Beirut doziert, der Baske Arrupe war in jungen Ordensjahren nach Japan geschickt worden, wo er später ebenfalls Provinzial war (als Nicolás in Tokio Theologie studierte) und unzählige Reisen nach Europa unternahm, um Jesuiten für Japan zu rekrutieren. 17-jährig ist Nicolás Arrupe bei einem Vortrag in Madrid begegnet, als dieser von seinen Erfahrungen nach dem Abwurf der Atombombe in Hiroshima berichtete.

Kann man in der Wahl von Nicolás eine Option für Indien, Japan und China sehen? Eine Option für den Dialog der Religionen? Seine bisherigen Tätigkeitsfelder sprechen dafür. Über die Hälfte des Jesuitennachwuchses kommt allein aus Indien. Was bedeutet das für Europa? Nicolás benennt Schwierigkeiten und scheint bereit, Herausforderungen anzunehmen.

All das zählte für die Wahlmänner offenbar mehr als die Tatsache, dass er im kommenden April sein 72. Lebensjahr vollendet. Die Kombination von theologischer Bildung und praktischer pastoraler Erfahrung, für die er steht, prädestiniert ihn dafür, mit Augenmaß, aber auch mit Mut den Orden in die Zukunft zu führen und sich dabei nicht von Strukturproblemen lähmen zu lassen. "Warum", so fragte Nicolás in einem Interview im vergangenen Jahr, "rufen wir so viel Bewunderung hervor, haben aber so wenig Nachwuchs?"

Inzwischen wurde bekannt, dass Nicolás vor einigen Jahren als Rektor der Universität Gre- goriana ge- handelt wurde, der Vatikan aber Einspruch ge-gen eine allfällige Ernennung signalisiert habe. Seine Rolle als Berater der japanischen Bischöfe im Vorfeld der Bischofssynode für Asien (1998), die mehr Kollegialität und eine Dezentralisierung gefordert hatten, missfiel römischen Kurienkreisen.

Weiterarbeit in Rom

Zunächst hat er die seit 7. Jänner tagende 35. Generalkongregation weiterzuführen, die nach dem Rücktritt seines Vorgängers (14. Jänner) und seiner Wahl in ihre zweite Phase getreten ist. Nicolás hat sich vorab eine kurze Generalkongregation gewünscht. Die oberste gesetzgebende Versammlung solle nicht zu viele Papiere und Dekrete produzieren.

Spannend bleibt die Wahl der vier unmittelbar dem Generaloberen zugeordneten Assistenten sowie der Regionalassistenten. Fragen der Leitung(sstrukturen), eingereichte Postulate und anstehende Fragen sind zu bearbeiten, wofür die Generalkongregation den Präsidenten der Europäischen Provinziäle, den Belgier Mark Rotsaert, zum Sekretär gewählt hat. Für frischen Wind aus dem Fernen Osten ist gesorgt.

Der Autor ist stv. Chefredakteur der Jesuitenzeitschrift "Stimmen der Zeit" in München und Mitherausgeber der Sämtlichen Werke Karl Rahners.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung