Vattimo,_Gianni - © WIkimedia/ / G. Dall'Orto   -   Gianni Vattimo

Gianni Vattimo: Der Götter Wiederkehr - oder Morgenluft für die Theologie (II)

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Der intellektuelle Diskurs knöpft sich wieder die Religion vor. Exemplarisch zum Thema ist "Jenseits des Christentums" von Gianni Vattimo.

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Der intellektuelle Diskurs knöpft sich wieder die Religion vor. Exemplarisch zum Thema ist "Jenseits des Christentums" von Gianni Vattimo.

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"Glaube in Geschichte und Gesellschaft" - nahezu 30 Jahre ist es her, dass der katholische Theologe Johann Baptist Metz den Versuch unternahm, den christlichen Glauben auf seine gesellschaftliche Relevanz hin zu befragen. Theodor W. Adorno und Walter Benjamin waren die damaligen philosophischen Bezugspunkte, welche es erlaubten, Theologie in einem interdisziplinären Gespräch Gewicht zu verleihen. Und heute? Ruhig geworden ist es im theologischen Diskurs: Der gesellschaftliche Relevanzverlust des Christentums hat die Theologie ebenso in die Krise geführt wie ihre universitäre Selbstisolierung.

In dieser Situation ist es ausgerechnet die Philosophie, die mit Namen wie Jacques Derrida, Jürgen Habermas oder dem italienischen Grenzgänger zwischen Theologie und Philosophie, Gianni Vattimo, einer Kränkelnden zu Hilfe kommt. Letzterer plädiert - wie bereits in "Glauben-Philosophieren" (1997) und "Die Religion" (gemeinsam mit Derrida 2001) - auch in seinem jüngsten Buch "Jenseits des Christentums. Gibt es eine Welt ohne Gott?" (2004) für eine philosophische Relecture des Christentums, genauer: der jüdisch-christlichen Theologie. Und wie schon zuvor, geht Vattimo auch diesmal von Nietzsche und Heidegger aus. Nietzsches Rede vom "Tod Gottes" und Heideggers Wort vom "Ende der Metaphysik" sieht er als charakteristisch für den gegenwärtigen Zustand der Moderne an: Als tot erscheine nämlich gerade jener Gott, der als felsenfestes Fundament sicherer moralischer Urteile herangezogen wurde; als tot erweist sich aber auch jede andere Art, sich auf irgendein letztbegründbares Fundament zurückzuziehen. Was bleibt, ist die Ungewissheit. Diese lässt aber die Theologie für die Philosophie wieder interessant werden, denn: wo keine letztgültigen Aussagen mehr haltbar sind, werden alle Optionen gleich wahrscheinlich.

Vattimo begnügt sich nicht mit einer auf diese Weise legitimierten theologisch-philosophischen Liebäugelei. Vielmehr versteht er die Säkularisierung, jenen Prozess, der gerade in die heutigen Ungewissheiten geführt hat, als Frucht des biblischen Glaubens, denn gerade das sei es, was die paulinische Rede von der "Kenosis", der Fleischwerdung Gottes besage: die Absage an jenen Gott, der als übernatürlich-gewaltvoller Herrscher durch die Zeiten regiert. Statt dessen zeuge Jesu Rede von der "Armut im Geiste" davon, dass der biblische Glaube alles hochtrabende Gottesdenken ablehne - "schwaches Denken" nennt es Vattimo - und versteht die Säkularisierung selbst als eine "Episode der Heilsgeschichte". Doch es gibt eine Grenze der Säkularisierung, eine Grenze der Zertrümmerung der Wahrheiten: die christliche "Caritas", die Nächstenliebe. Sie stellt für Vattimo den nicht-rationalisierbaren Kern der christlichen Botschaft dar, da sie selbst bereits Frucht des "schwachen Denken" sei, da sie den Sturz des über allem thronenden Gottes bereits verinnerlicht und die Verantwortung an die Menschen und ihre Haltung gegenseitiger Liebe delegiert hat.

Diese Gedanken Vattimos sind nicht neu. Neu ist die Tiefe ihrer Ausführungen und Begründungen sowie die Ausdauer, mit welcher er immer wieder um diesen Kern kreist, mit welcher er der Theologie zugleich die Möglichkeit bieten möchte, sich aus ihrer selbstverordneten Schweigsamkeit erneut in den Diskurs zu wagen. Darin besteht die Leistung Vattimos.

Dennoch bleibt ein Unbehagen; allzu leichtfüßig wirkt die Glättung Jahrhunderte alter Grabenkämpfe zwischen Philosophie und Theologie. Und: Vattimo unternimmt nichts weniger als die Preisgabe jenes Gottes, der als das die Zeit befristende Ende gedacht wird! Er lässt Gott selbst in die Geschichte des Seins als dessen Schwächung einwandern - um den Preis des rettenden Gottes, jenes Gottes, nach dem die "unvergessene und unvergessliche Theodizeefrage" (J.B. Metz), die Frage nach dem Leid in der Welt immer wieder ruft.

Vattimos Gott bleibt damit ein Gott der Philosophen - gefordert wäre aber eine Besinnung auf die Bedeutung der Gottesrede und des Glaubens für heutiges Zusammenleben; eine Besinnung, zu welcher die Theologie selbst aus ihrem biblischen Erbe schöpfen müsste - und könnte.

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