Bibel - © Foto: Patrick Fore / Unsplash

Platonismus oder Bibel?

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Erlösung hieß im hellenistischen Christentum, dass die Seelen aus dem Kerker befreit werden und in die göttliche Sphäre zurückkehren können, in der sie eigentlich daheim sind. Über das Zusammenspiel von Christentum und griechischer Philosophie.

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Erlösung hieß im hellenistischen Christentum, dass die Seelen aus dem Kerker befreit werden und in die göttliche Sphäre zurückkehren können, in der sie eigentlich daheim sind. Über das Zusammenspiel von Christentum und griechischer Philosophie.

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Das Christentum sollte nach der Krise der griechischen Philosophie wieder an die Bibel anknüpfen.Ludwig Feuerbach, einer der schärfsten Kritiker der Religion, schreibt in seinem Buch "Das Wesen des Christentums" (Kap. V): "… der menschgewordene Gott ist nur die Erscheinung des gottgewordenen Menschen; denn der Herablassung Gottes zum Menschen geht notwendig die Erhebung des Menschen zu Gott vorher. Der Mensch war schon in Gott, war schon Gott selbst, ehe Gott Mensch wurde, d.h. sich als Mensch zeigte. Wie hätte sonst Gott Mensch werden können? … Gott, sagt die Religion, vermenschlichte sich, um den Menschen zu vergöttern." In der Vorrede zur zweiten Auflage dieses Buches verteidigt er sich gegen den Vorwurf, dass er mit seiner Kritik die Religion zerstöre: "Nicht ich, die Religion betet den Menschen an, obgleich sie oder vielmehr die Theologie es leugnet; nicht meine Wenigkeit nur, die Religion selbst sagt: Gott ist Mensch, der Mensch Gott."

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Statt über solche Sätze zu erschrecken, geben die christlichen Theologen und das kirchliche Lehramt Feuerbach Recht, indem sie von einer "Menschwerdung Gottes" und einer darauf beruhenden "Vergöttlichung des Menschen" sprechen (nach dem Grundsatz: "Gott wurde Mensch, damit der Mensch Gott werde"; vgl. Furche 39/2007, Artikel: "Ihr werdet wie Gott"). So schreibt etwa Karl Rahner: "In Wirklichkeit aber ist es so: Gott ist Mensch - und darum ist die Gottesliebe Menschenliebe und umgekehrt" (Glaube, der die Erde liebt, 94). Er versteht darunter keine reale Identität von Gott und Mensch, aber eine Gottebenbürtigkeit des Menschen aus Gnade.

Gott ist Mensch - und darum ist die Gottesliebe Menschenliebe und umgekehrt.

Karl Rahner

Rahner stellte sich der Frage, wie die Vergöttlichung eines Geschöpfs möglich sein kann, ohne dass dieses gnadenhafte Wie-Gott-Sein ein "aufgepfropfter" Fremdkörper bleibt wie ein Edelreis auf dem Wildling. Seine Antwort war, dass der Mensch dazu fähig ist, weil er als Geist bereits von Natur aus unendlich ist, also immer schon vor Gott steht und im Grunde um Gott weiß (darauf beruht auch seine Theorie vom "anonymen Christen"). Rahner hat also diese hellenistische Theologie eines Wie-Gott-Werdens aus Gnade, die von Augustinus auch im Westen vertreten wurde, nur philosophisch zu Ende gedacht. Bevor man ihn deswegen kritisiert, müsste man die hellenistisch- theologische Lehre von Erlösung als Vergöttlichung hinterfragen.

Platonischer Idealismus

Als Kritik an Rahner führt Kardinal Joseph Ratzinger in seinen "Anmerkungen zu Rahners Grundkurs des Glaubens" an, "dass der platonisch-idealistische Zug … bei Rahner durch die Begegnung mit dem deutschen Idealismus eher noch verstärkt wird", und er sieht "das Problematische von Rahners Versuch … in der zu starken Prägung dieser Konstruktion durch Grundgedanken des deutschen Idealismus, die … ihr eigenes Gewicht zeigen, das aus dem Christlichen heraustendiert" (Theologische Revue 74 [1978] 179 und 184). Diese Kritik ist m. E. berechtigt, aber sie gilt dann genauso für die platonisch-augustinische Theologie Ratzingers, wenn dieser schreibt: "Jesus ist Christus, Gott ist Mensch und des Menschen Zukunft heißt darum Einssein mit Gott …" (Theologische Prinzipienlehre, 199).

Auch der Papst stellt die platonisch-idealistisch geprägte Lehre von der Erlösung des Menschen durch Vergöttlichung nicht in Frage. Im Jahr 1996 sagte er als Präfekt der Glaubenskongregation in einem Vortrag: "Nur der Gott, der selbst endlich wurde, um unsere Endlichkeit aufzureißen und in die Weite seiner Unendlichkeit zu führen, entspricht der Frage unseres Seins." In seinem Buch "Jesus von Nazareth" schreibt er: "Und dies ist das eigentlich Erlösende: die Überschreitung der Schranken des Menschseins, die durch die Gottebenbildlichkeit als Erwartung und als Möglichkeit im Menschen schon von der Schöpfung her angelegt ist" (Seite 33). Doch nach der Bibel (Gen 1,26f) ist der Mensch nicht Gottes Ebenbild, sondern Gottes Abbild (wörtlich: Statue). Als endliches Wesen kann er keine unendliche Kapazität haben oder nachträglich empfangen. Das ist auch nicht nötig. Denn Erlösung heißt nicht, dass wir gottgleiche Übermenschen werden, sondern dass unser (Mit-)Menschsein von und in Gott vollendet wird.

Hellenisiertes Christentum

Als das Christentum in die griechische Welt inkulturiert wurde, geschah dies unter den gegebenen hellenistischen Verstehensvoraussetzungen. Diese waren von platonischer Philosophie geprägt und gingen, vereinfacht gesagt, davon aus, dass die menschlichen Seelen eigentlich der göttlich-geistigen Sphäre angehören und zur Strafe für ihre Vergehen in den Körper als Gefängnis der Seele, also in den negativ verstandenen Leib, verbannt wurden. Dort erinnern sie sich an die geistige Welt der Ideen und sehnen sich nach ihr. Erlösung hieß demnach für die griechisch denkenden Theologen jener Zeit, dass die Seelen wieder aus diesem Kerker befreit werden und in die göttliche Sphäre zurückkehren können, in der sie eigentlich daheim sind.

Aus dieser Sichtweise ergab sich nicht nur die Abwertung des Leiblichen im hellenistischen Christentum, sondern vor allem die Vorstellung von Erlösung als durch die Menschwerdung Gottes - genauer: des göttlichen "Logos", der in diesem Platonismus als Schöpfungsmittler, als Weltseele oder Weltvernunft fungiert - ermöglichte Heimholung der Menschen in den göttlichen Bereich. Im Unterschied zum griechischen Denken wurde diese Vergöttlichung von den christlichen Theologen jedoch nicht als rein natürlicher Vorgang verstanden, sondern als freies Geschenk Gottes, das der Mensch nur unter bestimmten sittlichen Voraussetzungen erlangt, vor allem durch die Nachfolge Jesu.

Ende des Platonismus

Die platonisch-idealistische Philosophie, die dieser theologischen Tradition zugrunde liegt, beruht auf einer unkritischen Gleichsetzung der Ideen des menschlichen Geistes mit dem Sein, der gedachten mit der realen Wirklichkeit. Auch Rahner begründet ähnlich wie Hegel die Unendlichkeit des menschlichen Geistes damit, dass schon die bloße Vermutung einer Grenze bedeutet, diese überstiegen zu haben, weil man ein Jenseits erkannt haben muss. Ein gedanklich angezieltes ist aber kein real erreichtes Jenseits, eine denkbare Grenze ist keine real festgelegte und überstiegene Grenze. Wenn ich meinen Erkenntnishorizont für begrenzt halte, im Denken über ihn hinausziele (ohne ihn wie einen Gegenstand im Horizont fassen und seine Reichweite bestimmen zu wollen), dann habe ich damit nicht schon meine Grenzen überwunden.

Der Zusammenbruch jener idealistischen Philosophie und einer darauf gründenden Metaphysik, die den Menschen für "Gottes fähig" hielt, ist ein wesentliches, vielleicht sogar das grundlegende inhaltliche Element der Aufklärung und der Religionskritik, für die Gott nur eine Projektion menschlicher Wünsche ist. Die katholische Kirche wollte im Zweiten Vatikanischen Konzil den Glauben "verheutigen" und auch auf den modernen Atheismus eine Antwort geben. Aber sie hat ihre eigenen philosophischen Verstehensvoraussetzungen nicht kritisch hinterfragt, geschweige denn korrigiert. Daher kann sie den Glauben nicht mit der kritischen Vernunft in Einklang bringen. Stattdessen greift sie immer wieder auf die fundamentalistische Behauptung zurück, durch Jesus Christus die göttliche Wahrheit erhalten zu haben; ohne zu beachten, dass die Wahrheit dieser Offenbarung nicht mit der Botschaft selbst begründet werden kann.

Rückkehr zur Bibel

Der christliche Glaube kann weder mit einer idealistisch-metaphysischen Gotteslehre noch fundamentalistisch durch die Berufung auf eine göttliche Offenbarung begründet werden. In biblischer Sicht beruht er auf den Erfahrungen jener Praxis personaler Liebe, die Jesus begonnen hat und mit seinen Jüngerinnen und Jüngern verwirklichen wollte. Wenn wir uns darauf einlassen, können wir das uns vorgegebene mitmenschliche Dasein als Geschenk Gottes erfahren und deuten, wie es Christus gezeigt hat. Als Basis der Verkündigung braucht es daher in der Kirche Gemeinden, die Erfahrungsräume personaler Gemeinschaft sind und dadurch Sakrament der Liebe Gottes.

Karl Rahner überlegte nach dem letzten Konzil, ob die Kirche nicht an die Zäsur vor der Hellenisation des Christentums zurückgehen und neu an das biblische Glaubensverständnis anknüpfen müsste, um in andere Kulturen - und man sollte ergänzen: auch in die idealismuskritische, aufgeklärte abendländische Kultur - übersetzt werden zu können, ohne sich ihnen einfach anzupassen (Schriften zur Theologie 14, 287-302). Damit hat er das hellenistische Christentum und auch die eigene Theologie prinzipiell relativiert, ohne dies inhaltlich auszuführen. Das bleibt uns als Aufgabe.

Paul Wess

Der Autor ist Dozent für Pastoraltheologie an der Universität Innsbruck.

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