"Keine Angst vor der Moderne"

Werbung
Werbung
Werbung

Vor 50 Jahren wurde Angelo Giuseppe Roncalli zum Papst gewählt. Vor 100 Jahren wurde der Bildhauer Giacomo Manzù geboren. Die Verbindung zwischen beiden bildete Giuseppe De Luca (1898-1962). Von Hubert Gaisbauer

Mit den Worten "Veni, Domine Jesu" ("Komm, Herr Jesus") starb am 19. März des Jahres 1962 im Krankenhaus der Fatebenefratelli in Rom der Priester Don Giuseppe De Luca an den Folgen einer Magenoperation. Wenige Tage davor besuchte Papst Johannes XXIII. den 65-jährigen Monsignore mit den dicken Brillengläsern. "Das war der schönste Moment meines Lebens", sagte Don Giuseppe anschließend zu einem Freund, "nicht weil der Papst gekommen ist, um einen Priester zu besuchen, dem es schlecht geht, nein, sondern wegen der Worte, die er zu mir gesagt hat, und wie er die Worte, die ich ihm sagen durfte, aufgenommen hat!" Und er fügte hinzu: "Dieser Mensch hat keine Angst vor der modernen Welt. Er spürt, worauf es ankommt. Mit dem Konzil wird er nicht nur der Kirche, sondern der Menschheit neue Horizonte eröffnen."

Der Freund am Krankenbett des sterbenden Monsignore war der Arzt Adriano Ossicini, eine der überzeugendsten Persönlichkeiten der italienischen Politik nach 1945. Der Antifaschist, Wortführer der christlichen Linken, dann Sozialminister und Langzeitsenator, erinnert sich vierzig Jahre später an jenen Samstagnachmittag im März 1962 im Fatebenefratelli: "Als der Papst tief bewegt aus dem Krankenzimmer trat, da wusste ich: in diesem Krankenzimmer hat das Konzil begonnen!"

Künstler - Papst - Tod

Und da war noch eine Freundschaft, die dem Leben und Sterben des Don Giuseppe De Luca ein dauerhaftes Andenken errichtet hat, jene mit dem Bildhauer Giacomo Manzù. Der damals wichtigste italienische Bildhauer hatte nach einem Wettbewerb den Zuschlag für das neu zu schaffende fünfte Portal der Peterskirche erhalten. Dies sehr zum Unbehagen einiger Kurienkardinäle, hatte doch der Kommunist Manzù in vielen Arbeiten die Gestalt eines gehenkten Partisanen mit der Gestalt des Gekreuzigten verschmolzen. Der kunstsinnige Monsignore De Luca aber schätzte die künstlerische Qualität des Bildhauers so sehr, dass er bald nach dem Amtsantritt des Roncalli-Papstes empfahl, dass Manzù die Porträtbüste des neuen Papstes anfertigen solle. Johannes XXIII. folgte - wie in vielen politischen und kulturellen Fragen - der Empfehlung De Lucas. Während der Arbeit an der Büste entstand eine große Vertrautheit zwischen dem Künstler und dem Papst, zudem stammten ja beide aus der Provinz Bergamo.

Als Manzù den todkranken Don Giuseppe im Krankenhaus besuchte, hatte dieser die Brille abgenommen und lag mit geschlossenen Augen im Bett. "Caro Giacomo", flüsterte er, "Sie müssen für mich beten!" Manzù berichtete später, dass ihn in diesem Augenblick eine unbändige Wut erfasst hätte. Eine Wut auf den Tod. Am Nachttisch lagen das Brevier, ein kleines silbernes Kruzifix und ein Rosenkranz. "Sie wissen, Don Giuseppe, dass ich nicht beten kann! Und außerdem: ein Gebet von mir würde Ihnen höchstens schaden!"

Manzù hat sein Gebet nach dem Tod De Lucas in Bronze gegossen. Dieser Tod und die Unterstützung des Papstes hatten ihn bewogen, die Torflügeln der "Porta della Morte" für den Petersdom endlich fertig zu stellen. Ihr Thema: der Skandal von Tod und Gewalt. Auf einem der Bildfelder kniet die im Gebet versunkene Gestalt von Johannes XXIII., über der abgesetzten Tiara die Worte: "Pacem in terris". Als das Tor fertig war, war auch Johannes XXIII. schon ein Jahr tot.

Das theologische Konzept der Porta ist das Ergebnis unzähliger Gespräche zwischen dem von den triumphalistischen Vorstellungen der Kurie zermürbten Künstler und dem in seiner Offenheit tief frommen Priester De Luca. Die neuen Flügel des Tores sind die bronzenen Zeugen für einen respektvollen Dialog gegensätzlicher Weltanschauungen.

An der Innenseite befindet sich ein Reliefband im Andenken an die Konzilseröffnung: der Papst und eine Reihe von Bischöfen und Kardinälen mit oft gesichtlosen Köpfen. Ganz links verlässt ein Priester mit gesenktem Kopf das Bild. Darunter ist auf Italienisch zu lesen: "Don Giuseppe De Luca ist diese Tür des Todes gewidmet" (vgl. Abb. oben). Das Gedächtnis an einen, dessen Anteil am Hoffnungspotenzial des 2. Vatikanischen Konzils noch längst nicht ausgelotet ist. Eine für Loris Francesco Capovilla, den Sekretär von Johannes XXIII., flüchtig hingeworfene letzte Notiz De Lucas vor seiner Operation endet mit den Worten: "Ich bin ein Sünder und ein Außenseiter gewesen; aber ich habe Jesus, die Kirche, mein Priestertum und den Papst geliebt."

Lebendigster Geist

Capovilla, mit dem De Luca ebenfalls in tiefer Freundschaft verbunden war, zeichnet später - als Erzbischof - von diesem "Außenseiter" das liebevollste Bild: "Römischer Priester, promoviert in Theologie 1921. Von lebendigstem Geist (vivacissimo ingegno), ein leidenschaftlicher Leser, ein Humanist aus Berufung, er hat die Bedeutung der Kultur für seinen priesterlichen Dienst wie Sauerteig und wie Licht aufgefasst, die Liebe zu Christus und seine Kirche als Mitte." - Ein Priesterbild, wohl wert, dass man es gerade heute in Erinnerung ruft, der Modellfall geistlichen Lebens im Spannungsfeld Kirche und Kultur!

Giuseppe De Luca wurde vor 110 Jahren in der süditalienischen Provinz Potenza geboren, dem antiken Lukanien des Dichters Horaz, das heute zu den bedürftigen Regionen der EU gehört. Von einem örtlichen Jesuitenkolleg wechselte er bald in römische Seminarien. Seinen Oberen soll damals schon sein unbändiger Hang zu geistigen Freiräumen zu schaffen gemacht haben. Neben Theologie studierte er Literaturwissenschaften und beschäftigte sich mit der Herausgabe von antiken Klassikern. Nach der Priesterweihe wirkte er fast fünfundzwanzig Jahre als Seelsorger bei den Kleinen Schwestern von San Pietro in Vincoli, die sich um Arme und Alte kümmerten; während des Faschismus auch ein Refugium für jüdische Flüchtlinge.

Konsequent pflegte Giuseppe De Luca die Freundschaft und den Kontakt mit Künstlern, Intellektuellen und Politikern, die oft mit der Kirche nichts zu tun hatten. Sein Traum war der Dialog zwischen dem Christentum und den politischen und kulturellen Strömungen der Moderne. Eine Episode: 1956 besuchte Kardinal Roncalli auf den Rat De Lucas, mit dem der spätere Papst schon damals in regem Gedankenaustausch stand, als erster Patriarch von Venedig die Kunstbiennale. Fünfzig Jahre lang war die wichtigste Schau moderner Kunst von der Kirche ignoriert, ja geächtet gewesen.

Fromm und intellektuell

Als Gelehrter begründete De Luca ein historisches Jahrhundertwerk: das "Italienische Archiv der Geschichte der Frömmigkeit", dem er seine ganze wissenschaftliche Kraft gewidmet hatte. Fundiert plädierte er in den 50er Jahren für eine Rückkehr zu den ungetrübten Quellen, zur Bibel und zu den Kirchenvätern. Seelsorgliche und liturgische Praxis erschienen ihm oft wie verstopft durch routinierte Frömmigkeitsübungen.

Seine weit gefächerte Kompetenz stand entschieden unter dem Vorzeichen der "Gottesfurcht", dem Anfang der Weisheit. "Wir werden unsere Seele nicht retten", schrieb Giuseppe De Luca einmal, "ohne die Intellektualität auf das Fundament der Versenkung in Gott (unter dem Kreuz!) zu verpflichten."

Immer wieder betonte er in allem Bemühen die Vorherrschaft Christi, dem Mittelpunkt des Alls. "Alles ist SEIN", pflegte er zu sagen: " Auch die Kultur!"

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung