"Nicht genügend" in Religion

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Slowenien gilt als Musterschüler unter den EU-Beitrittsländern. Für die katholische Kirchenspitze ist es dagegen ein "sozialistisch kontaminiertes Land".

Der slowenische Fiskus nimmt jetzt katholische Priester ins Visier; und: das slowenische Parlament hat nach zweijährigem zähem Ringen einen Grundlagenvertrag mit dem Heiligen Stuhl ratifiziert. Diese beiden Meldungen aus Österreichs südlichem Nachbarland markieren die bisher letzten Etappen des gespannten Verhältnisses von Kirche und Staat in dem EU-Beitrittsland. Nach wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und rechtlichen Maßstäben gilt Slowenien als Musterschüler unter den zehn neuen Mitgliedern; im Fach Religion geben kirchliche Amtsträger Slowenien jedoch ein "Nicht genügend". Bezeichnend, wie der Marburger Theologe Ivan ÇStuhec seine Heimat im Blick auf den "Kulturkampf" zwischen Kirche und Staat nennt: Slowenien sei ein "sozialistisch kontaminiertes Land".

Keine Religionsfreiheit?

Die Stellung der katholischen Kirche hat sich seit dem Zerbröseln des Tito-Kommunismus nicht wesentlich verbessert. Der slowenische Primas und Laibacher Erzbischof Franc Rode fuhr im Rahmen des laufenden Mitteleuropäischen Katholikentages (MEKT) mit schwerem Geschütz auf: Slowenien versagt seinen Staatsbürgern die volle Religionsfreiheit im Sinne der Menschenrechte, sagte er beim MEKT-Symposion Anfang November in Celje (vgl. Furche 47/2003). Das Christentum werde durch die slowenische Verfassung in den Bereich des Privaten zurückgedrängt und sei "aus dem Bildungs- und Erziehungsprozess ausgeschlossen". Hauptstreitpunkt ist neben der Rückgabe von Kircheneigentum der Religionsunterricht an staatlichen Schulen, den die Behörden untersagen. Es gibt nur zwei katholische Gymnasien, Glaubensweitergabe erfolgt in der Regel über pfarrliche Katechese. Dies mache Slowenien zu einem Unikum unter den postkommunistischen Ländern und ist laut Rode Folge der atheistisch-marxistischen Einstellung zur Religion.

Umgekehrt widersetzen sich die vorherrschenden linksliberalen politischen Kräfte immer wieder dem Versuch, die Beziehungen zur katholischen Kirche so wie in anderen Reformstaaten zu normalisieren. Sie bezichtigten die Kirche des Versuchs, das Staatsrecht dem kanonischen Recht unterordnen zu wollen. Einer Gruppe von Eltern, die vor zwei Jahren Klage wegen der Vorenthaltung von schulischem Religionsunterricht einbrachten, gab der slowenische Verfassungsgerichtshof ein "Njet" als Antwort. Die Schule müsse religiös neutral sein, die Trennung zwischen Kirche und Staat gewahrt bleiben.

Diese Art vom Widerstand gegen die religionsabstinente politische Linie ist jedoch untypisch für die Bürger Sloweniens. Auch die Katholiken - sie machen laut der Volkszählung von 2002 60 Prozent, laut Kirche 80 Prozent der knapp zwei Millionen Einwohner aus - sind mehrheitlich der Meinung, dass der Glaube Privatsache ist und sich die Kirche nicht ins öffentliche Leben einmischen soll. Der Wiener Pastoraltheologe Paul M. Zulehner sieht die religiöse Kultur aller ost- und mitteleuropäischen Staaten durch den Kommunismus "beschädigt". Slowenien stuft er wie die Slowakei oder Ungarn als "polarisierte Kulturen" mit einem beträchtlichen Anteil deklariert Gläubiger, aber auch vielen "ganz besonders Nichtreligiösen" ein; nicht so "atheisierend" wie Tschechien oder Ostdeutschland, aber auch weit entfernt von der "religiösen Kultur" in Polen, Kroatien und Litauen.

Slowenien leidet unter einer "Nivellierung der Werte", diagnostiziert der Marburger Religionssoziologe Vinko PotoÇcnik. In der slowenischen Jugend als dem "Seismografen der gesellschaftlichen Entwicklung" zeigten sich die Trends zu Konsumismus und Relativismus besonders deutlich. Die Jugendlichen glaubten zwar mehrheitlich an Gott, akzeptierten aber zugleich Abtreibung und Ehebruch, sagte PotoÇcnik beim Symposion in Celje. Zwei Drittel der Slowenen - mehr als in anderen postkommunistische Ländern - bezeichneten sich laut Umfragen als "glücklich" oder "sehr glücklich"; bei der Jugend sei diese Zahl sogar noch höher. PotoÇcnik ortete eine typisch postmoderne Spielart der Toleranz, bei der gelte: "Der heiligste Wert ist der, dass nichts absolut heilig ist."

Wirtschaftsaufschwung

Not lehrt beten, heißt es. Verlernt man es umgekehrt bei zunehmendem Wohlstand? Der wirtschaftliche Aufschwung in Slowenien ist für alle offensichtlich, die auf den gepflegten Autobahnen an den Großbaustellen Marburgs/Maribors vorbeifahren, durch die City der wie der südliche Zwilling von Graz wirkenden Hauptstadt Laibach/Ljubljana flanieren oder an der herausgeputzten Adriaküste baden. Slowenien hatte schon als jugoslawische Teilrepublik den höchsten Lebensstandard und die niedrigste Arbeitslosenquote. Die Slowenen gelten als fleißig, korrekt, strebsam und werden manchmal ironisch als "Preußen des Balkans" bezeichnet. Fast 90 Prozent stimmten im Vorjahr für den EU-Beitritt.

Die katholische Kirche versucht an der wachsenden Prosperität mitzunaschen und fordert seit Jahren die Rückgabe enteigneter Kirchengüter. Das geht äußerst schleppend vor sich, und die öffentliche Meinung wirkt als Gegenwind: Der Sozialwissenschafter Marjan Smrke stellte in der Laibacher Tageszeitung Delo die Berechtigung der Ansprüche überhaupt in Zweifel. Denn die Zeit, in der sich die katholische Kirche die zurückgeforderten Güter aneignete, sei "keine Zeit der Glaubensfreiheit" gewesen. Im Gegenteil, das "katholische Zeitalter" bis zum Zweiten Weltkrieg habe die Religionsfreiheit stärker eingeschränkt als die Ära des Kommunismus. Smrke unterstellt der katholischen Kirche, mehr darum bemüht zu sein, "sich als Märtyrerin darzustellen, als sich mit ihren inneren Problemen zu befassen".

Hoffnung auf Normalität

Durch den EU-Beitritt erhofft sich die Kirche eine gesellschaftliche Aufwertung, so der Bischofsberater und Chefredakteur der katholische Wochenzeitung DruÇzina, Janez Gril. Vor allem die regierenden Liberalen und auch die sozialdemokratischen Nachfolgeparteien der KP hätten nach wie vor eine "Urangst" vor einem Machtzuwachs der Kirche. Der Kontakt zu anderen EU-Staaten, in denen die Kirche eine normale Position in der Gesellschaft hat, könne hier positiv wirken. "Wir wollen keine Privilegien", betont Gril, "aber wir wollen anerkannter Teil der Zivilgesellschaft sein". Mit rechtlicher Absicherung ist es nicht getan, weiß der Marburger Weihbischof Anton Stres, es geht um eine andere Haltung zu Religion. Grundlegende Änderungen des politischen Systems sind in drei Monaten zu schaffen, eine wirtschaftliche Neuausrichtung in drei Jahren, ein Wandel in der Mentalität aber erst nach drei Generationen, sagte Stres in Celje. "Die Kirche kann nur hoffen, dass es tatsächlich nicht so lange dauert."

Der Autor ist Redakteur der Nachrichtenagentur Kathpress.

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