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Weil die Seele den Glauben will

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Religion ist ein Menschenrecht. Das beeindruckt KP-Machthaber aber weniger als: Religion ist eine Macht! Ein ORF-Sympo- sion dazu, vereinte fast 100 Publizisten in Wien.

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Religion ist ein Menschenrecht. Das beeindruckt KP-Machthaber aber weniger als: Religion ist eine Macht! Ein ORF-Sympo- sion dazu, vereinte fast 100 Publizisten in Wien.

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Seltsam: Nach Jahrzehnten „sozialistischer Produktionsverhältnisse“, die nach marxistischer Doktrin zu einem automatischen Absterben der Religion (und nebstbei auch des Staates) führen sollten, stirbt das eine wie das andere nicht. Nur: Der Staat hält sich mit Polizeimethoden am Leben, die Religion aber lebt trotz solcher. Und zwar mehr denn je.

Ein solches Phänomen zu untersuchen, ist geradezu ein wissen-

schaftlicher Auftrag, gab ORF- Generalintendant Gerd Bacher zu bedenken, als er am 18. Mai auf dem Wiener Küniglberg ein zweitägiges, von Prof. Paul Lendvai locker geleitetes Symposion über „Religionsfreiheit, Menschenrechte und Entspannung“ eröff- nete.

Der russische Philosoph Alexander Sinowjew, der nach 1974 aller Titel und Ehren entkleidet worden ist und seit 1978 in München lehrt, untersuchte den Unterschied von Ideologie und Glauben. Sein Befund: Die marxistische Ideologie ist weder Wissenschaft noch Glauben, sondern sozialer Regelkodex, den kein Mensch mehr glaubt, aber aus Nützlichkeitserwägungen akzeptiert, soweit sich das nicht umgehen läßt.

Ideologie wende sich nur an die Vernunft, nicht aber an die Seele. „Ideologie verdrängt Religion, ersetzt diese aber nicht. Sie läßt die menschliche Seele leer und verwüstet. Und die Menschen werden unruhig…"

Ähnlich Wolf Ochlies vom Bundesinstitut für ostwissenschaftliche internationale Studien in Köln: Eine religiöse Renaissance sei „in ganz Europa unübersehbar“. Selbst die offizielle bulgarische Jugendforschung habe nachgewiesen, daß vor allem junge Menschen dafür anfällig seien: „weil die Fragen Jugendlicher nach dem Sinn des Lebens von Geist und Institutionen des .realen Sozialismus nicht beantwortet werden können.“

Uberlassen deshalb kommunistische Machthaber den Religionsgemeinschaften das Antwortgeben? Sicher ist: Nur insoweit sie es nicht verhindern können. Am allerwenigsten können sie das in Polen.

Aber der slawische Papst steckt, das klang in mehreren Beiträgen prominenter Referenten an, auch andere Länder des slawischen Ostens an: Jugoslawien zum Beispiel, sogar die Tschechen. Und in Ungarn drängt der Pontifex selbst die Kirche, die „Politik der kleinen Schritte“ ein bißchen selbstbewußter weiterzutreiben.

Tatsache ist: Religionsfreiheit ist laut Helsinki-Schlußakte von 1975 ein Menschenrecht und wurde daher als solches auch von den kommunistischen Signatarmächten anerkannt. Dennoch kommt es sehr auf die nationalen Durchführungsbestimmungen an. Und hier zeigte der aus Ungarn gebürtige Wiener Religionssoziologe Emmerich Andräs sehr überzeugend auf, wie fließend etwa in Ungarn bewußt die Grenzen zwischen dem Legalen, dem Präterle- galen und dem Illegalen gehalten werden.

Recht deutlich äußerte übrigens Sinowjew seine Meinung, daß selbst eine Totalübernahme westlicher Rechtsregeln für Religionsfreiheit in die Rechtssysteme kommunistischer Diktaturen an der Praxis nichts außer das eine ändern würden: Die Zahl der (von „oben“ inaugurierten) Rechtsverstöße nähme drastisch zu!

Um so wichtiger war es, daß mehrere Debattenredner den Appell des Wiener Erzbischofs aufgriffen, der einleitend an die Staaten aller Welt appelliert hatte, Toleranz zu üben — „nicht so sehr im Gesetz, sondern auch in den Lebensverhältnissen des Alltags“.

Kardinal König hatte auch klargestellt, daß Uberzeugungsfreiheit selbstverständlich auch für den Atheismus und nicht nur für die Religion in Anspruch genommen werden könne. Das gilt freilich nur im Westen. Im Osten wird die Verbreitung von Religion auch gesetzlich eingeschränkt oder gar verboten. Werbung für Atheismus aber, oft auch Bekämpfung der Religion, gesetzlich geboten.

Warum bekämpft der Kommunismus eigentlich die Religion? Im Namen einer Wissenschaft, die freilich längst überholt ist, argumentierte Kardinal König.

In den Diskussionen kamen auch noch andere Gründe zur Sprache: der Totalitätsanspruch der Partei, der keine Machtteilung zulasse. Oder der Versuch, vergessen zu machen, daß Kirche nationale Identität vermittelt hat: in Rumänien, Kroatien etwa, natürlich in Polen. Oder weil der Staat nationale Identität durch Zersplitterung in Religionsgruppen gefährdet sieht, wie in Albanien behauptet wird.

Interessant auch, daß enge Bindungen der Kirche an den Staat in vergangenen Jahrhunderten höchst unterschiedliche Folgen hatten. In Polen, wo nach dem Tod eines Königs der Primas automatisch „Interrex“ war (und jetzt ist wieder so ein „Interregnum“, argumentierte Stefan Kisielewski), machte das die Kirche auch dem heutigen KP-Staat gegenüber besonders stark.

Verschiedene orthodoxe Kirchen wieder haben sich in Fortsetzung ihrer traditionellen Staatsdienerrolle zu Quasi-Institutionen auch der kommunistischen Obrigkeiten entwickelt.

Alle diese Unterschiede ändern freilich nichts daran, daß immer mehr Menschen auf die Kirchen bauen, wenn es um die Verwirklichung von Menschenrechten geht. Daß diese in den Händen der Politiker schlecht aufgehoben sind, hatte übrigens Altbundeskanzler Bruno Kreisky in einem fast zweistündigen Meinungsaustausch mit dem ORF-Auditorium festgestellt: Die Menschenrechte seien „bedauerlicherweise keine Kategorie der Weltpolitik“. Um so mehr Bedeutung komme, zumindest „in unseren politischen Breitengraden“, der moralischen Autorität der Religionsgemeinschaften zu.

Das griff der Zagreber Weihbischof Djuro Koksą in einer Fernsehdiskussion auch umgehend auf, verlangte aber auch von den kommunistischen Machthabern, sich der Sinnfrage zu stellen. Daß sich von einer Antwort aus dieser Ecke selbst prominente Kommunisten wenig versprechen, bewies im selben „Cluti 2“ der stellvertretende Chefredakteur des KPU- Zentralorgans „Nepszabadsäg“, Peter Renyi, der ein „vielleicht nicht ewiges, aber doch sehr, sehr langes Nebeneinander von Mar- xismus/Leninismus und Religion“ voraussah.

Aus solcher Erkenntnis müßten freilich in so gut wie allen kommunistischen Ländern noch ganz andere Konsequenzen gezogen werden.

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