Aufstehen gegen die Kultur der Angst

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Im mexikanischen Drogenkrieg ist eine Stufe erreicht, auf der die Demokratie in Gefahr ist – über die Grenzen des Landes hinweg: Die USA fürchten, gemeinsam mit Mexiko aufzustehen oder gemeinsam zu fallen.

Die Todesstrafe soll in Mexikos Drogenkrieg zum Sieg verhelfen. Angesichts der enormen Zunahme an Gewaltverbrechen im Land stimmten unlängst fast alle Parlamentarier dem Antrag der Grünen Umweltschutzpartei zu, von Experten die Wiedereinführung der Todesstrafe prüfen zu lassen. Wie das Volk dazu steht, ist eindeutig: Bei einer Umfrage Ende vergangenen Jahres sprachen sich drei Viertel der Mexikaner für die Todesstrafe aus.

Die mexikanische Öffentlichkeit ist paralysiert. Regelmäßig wird sie von neuen grausamen Mordnachrichten geschockt. Mexikos Präsident Felipe Calderón sieht mit Sieg oder Niederlage im von ihm 2006 initiierten Drogenkrieg sogar die Zukunft der Demokratie auf dem Spiel. Zu lange sei die Drogenkriminalität toleriert worden, kritisiert er: „Es ist keine Option für Mexiko, den Kopf abzuwenden und wie manche Politiker so zu tun, als ob man das Verbrechen vor Augen nicht sieht.“

Unterstützung kommt auch aus dem Ausland: Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú hat die Mexikaner zu ihrem Nationalfeiertag Mitte September aufgerufen, sich der „Kultur der Angst“ zu widersetzen und sich nicht von Drogenbanden einschüchtern zu lassen, sagte die Bürgerrechtlerin aus Guatemala.

Mitverantwortung der USA

Und US-Außenministerin Hillary Clinton versicherte Mexiko im Kampf gegen die Drogenkriminalität die Solidarität der Vereinigten Staaten: „Mexiko und die USA erheben sich gemeinsam oder sie fallen gemeinsam.“ Die Mitverantwortung der USA besteht darin, dass 90 Prozent der von den Banden verwendeten Waffen aus den USA stammen. Zum anderen ist Nordamerika der größte Absatzmarkt für die Drogenkartelle.

Joaquín Guzmán, Mexikos mächtigster Drogenboss mit einem geschätzten Vermögen von einer Milliarde Dollar, hat es sogar auf Platz 41 der vergangene Woche präsentierten Forbes-Liste der mächtigsten Menschen gebracht. Damit übt er laut Meinung des US-Wirtschaftsmagazins mehr Einfluss aus als zum Beispiel der russische Präsident Medwedjew (Rang 43) oder Frankreichs Sarkozy (56).

Calderón kritisierte umgehend Guzmáns Aufnahme in das Forbes-Ranking, weil damit das unselige Wirken dieses Kriminellen verherrlicht werde. Calderóns Ärger ist verständlich. Seine Offensive gegen den Drogenhandel mit mehr als 40.000 Polizisten und Soldaten will wenig greifen – im Gegenteil: Im Vorjahr verdoppelte sich die Zahl der Todesopfer im Drogenkrieg auf über 5300. Der Präsident selbst entging nur knapp einem Mordkomplott. Darüber hinaus wurden 2008 mehr Menschen entführt als in Kolumbien oder im Irak. Insgesamt macht man die mexikanische Drogenmafia für rund 14.000 Morde seit Calderóns Amtsantritt Ende 2006 verantwortlich. Und die an der Grenze zu den USA gelegene Stadt Ciudad Juárez ist nach Angaben der mexikanischen Nichtregierungsorganisation CCSP nach wie vor die Stadt mit der höchsten Mordrate weltweit. Vor allem weil die Fronten im Drogen-Krieg in dieser Region sowohl zwischen Sicherheitskräften und Drogenbanden als auch zwischen den einzelnen Mafiagruppen verlaufen. Die Rauschgiftkartelle machen sich in den Grenzstädten gegenseitig die Schmuggelrouten für Drogen streitig.

Bereits vor Jahrzehnten versorgte Mexiko Nordamerika mit Marihuana. Der große Aufstieg der mexikanischen Drogenkartelle begann jedoch in den 1990er Jahren. Dank des Kokains – eines Suchtgifts, das in Mexiko gar nicht hergestellt wird. Die Droge war ursprünglich von kolumbianischen Kartellen in Medellin und Cali über die Karibik in die USA geschmuggelt worden, schreibt der Mexiko-Korrespondent Hubert Kahl. Auf dieser Route entwickelten jedoch die US-Drogenfahnder immer effektivere Methoden der Überwachung, sodass die Route über Mexiko sich als Alternative anbot. Wegen seiner geografischen Lage zwischen den Kokainbauern Südamerikas und dem riesigen Absatzmarkt in den USA ist Mexiko prädestiniert für den Drogenschmuggel. Und Mexikos Häfen an der Pazifikküste sind ideale Orte, um die aus Asien stammenden Chemikalien zur Herstellung synthetischer Drogen auf den Kontinent zu bringen.

Mittlerweile haben die Mexikaner den Kartellen in Kolumbien bei der Versorgung des US-Marktes den Rang abgelaufen. Nach Angaben des Lateinamerika-Experten Karl-Dieter Hoffmann von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt liefern die mexikanischen Zwischenhändler heute etwa 90 Prozent des in den USA konsumierten Kokains. Die Einnahmen der Kartelle werden auf über 25 Milliarden Dollar (17 Milliarden Euro) im Jahr geschätzt.

Polizei und Politik in Mafia-Hand

In bestimmten Gegenden Mexikos haben die Banden zudem große Teile des Polizeiapparats unterwandert und kontrollieren Bürgermeister und Politiker. Calderóns Aktion scharf gegen den Drogenhandel macht auch vor dieser Tätergruppe nicht halt. Nach Angaben der Generalstaatsanwaltschaft wurden rund 600 teils hochrangige Amtsträger wegen des Verdachts auf Verbindungen zur organisierten Kriminalität festgenommen. Mehr als die Hälfte der Verdächtigen waren politische Verantwortliche auf Gemeindeebene. Hinzu kommen 155 Mitarbeiter in den Regierungen der Bundesstaaten und 45 Vertreter der Bundesregierung.

Selbst die Kirche klopft sich schuldbewusst auf die Brust: „Wir haben versagt, denn die Verantwortung liegt auf jedem von uns“, sagte Sozialbischof Gustavo Rodriguez Vega. Unter den großen Bossen des organisierten Verbrechens gebe es einige, „die die Sakramente empfangen haben“, so der Bischof. Also müsse die Kirche anerkennen, nicht richtig evangelisiert zu haben. Italienische Kirchenvertreter mit eigenen Erfahrungen im Umgang mit der Mafia gaben ihren mexikanischen Kollegen den Rat, eine energische Haltung gegen die Drogenbosse einzunehmen – bis hin zur Exkommunikation.

Jeder sechste Geistliche bedroht

Kirchenvertreter geraten aber auch selbst ins Visier der Drogenmafia. Kolumbien und Mexiko sind für Geistliche die gefährlichsten Länder Lateinamerikas, ergab eine Studie der mexikanischen Bischofskonferenz. Jeder sechste Geistliche ist in Mexiko derzeit Drohungen von Gruppierungen aus der organisierten Kriminalität ausgesetzt. Die Aggressionen nehmen laut der Studie vor allem dann zu, wenn die Kirchenvertreter Probleme aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft anprangerten. „Wir sind zu Geiseln dieser gewalttätigen Auseinandersetzungen der Drogenkartelle geworden“, sagte Erzbischof Franco.

Das paradoxe Verhältnis zwischen Drogenmafia und Religion beschreibt der deutsche Journalist Peter Burghardt in seinem Reportagenband „Mexiko – Der Heiland und die Drogenbarone“ (siehe Buchtipp): Jesus Malverde, eine Art mexikanischer Robin Hood im 19. Jahrhundert, der von der Staatsgewalt hingerichtet wurde, haben sich die Rauschgift-Clans zu ihrem Schutzpatron erwählt. In der Drogen-Metropole Culiacán huldigen ihm die großen und kleinen Verbrecher in einer Kapelle. „So weit kann es kommen“, analysiert Burghardt, „wenn das organisierte Verbrechen zum System wird. Dann ist der Schrecken auch Folklore, Kultur, Religion.“

Das geht soweit, dass die Clans ihre Morde als „göttliche Gerechtigkeit“ rechtfertigen. Als vor drei Jahren gedungene Mörder eines Drogenclans mit Namen „La Familia“ fünf Köpfen auf die Tanzfläche einer Diskothek warfen, lautete ihre Botschaft: „Die Familie tötet nicht für Geld, sie bringt keine Frauen um und keine Unschuldigen. Sie tötet nur den, der sterben muss.“ Ein Drogenboss rief kürzlich sogar während einer TV-Show an und sagte: „Wir wollen nur Respekt für unser Volk. Wenn wir Fehler gemacht haben, bitten wir um Entschuldigung.“

So wie Santiago Meza López, der mindestens 300 Leichen in Säure aufgelöst hat, um die Spuren der Mordtaten zu verschleiern. López ist unter dem Namen „El Pozolero“ bekannt, übersetzt der „Suppenkoch“. Als Rechtfertigung für seine Verbrechen, für die er knapp 500 Euro die Woche verdiente, sagte López, dass die Methode der Auflösung von Leichen in ätzenden Chemikalien im Drogenkrieg immer wieder angewendet werde. Und fügte hinzu: „Ich bitte die Familien dieser Menschen um Verzeihung.“ In den überfüllten Leichenschauhäusern der mexikanischen Grenzstädte liegen letztlich Polizisten wie Killer in ihren weißen Leichensäcken Seite an Seite.

Reportage Mexiko – Der Heiland und die Drogenbarone

Von Peter Burghardt Picus Verlag 2009 154 S., geb., e 14,90

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