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Entlastung oder Transithölle?

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Die Befürworter sprechen von der „Jahrhundertchance zur Entlastung der Südosttangente", die Gegner von einer geplanten „weiträumigen Umfahrung des gesunden Menschenverstandes". Die Rede ist von der geplanten B 301, der umstrittenen Südumfahrung Wiens, bei der schon jetzt im Vorfeld der notwendigen Umweltverträglichkeitsprüfung Verkehrsplaner und Anrainer für heftige Diskussionen sorgen.

Es sind geplante 16,3 Kilometer „Autobahn" - sagen die Gegner; eine „vierspurige Bundesstraßenverbindung" - sagen die Befürworter. Sie wird zehn Milliarden kosten - sagen die Befürworter, mindestens 18 Milliarden - sagen die Gegner, die auch mit zusätzlich 60.000 Kraftfahrzeugen pro Tag in der Region rechnen.

Damit sind die politischen Fronten klar. Es sind Fronten, die sich nicht nur im „schönen Stück Österreich" rund um Großprojekte abzeichnen, sondern die in ganz Europa durch die wirtschaftliche Krisensituation noch zusätzliche Brisanz erhalten.

Im Umweltprüfbericht der OECD für das Jahr 1995 wird Österreich dringend empfohlen, „Maßnahmen zur Eindämmung des Straßenverkehrsaufkommens sowie zum Ausbau der Schieneninfrastruktur" zu setzen, um die verkehrsbedingte Luftverschmutzung zu reduzieren. Zwischen 1980 und 1991 wies Österreich den zweitgrößten Straßenverkehrszuwachs aller OECD-Länder auf (80,3 Prozent). Und das Verkehrsaufkommen von 8.100 Kilometer pro Kopf und Jahr ist - nach Luxemburg - das zweithöchste in europäischen ÖECD-Ländern.

Gleichzeitig haben sich die Landeshauptleute von Wien, Niederösterreich und Burgenland darauf geeinigt, die B 301, als Verbindung der A2 (Südautobahn) und A4 (Ostautobahn) zu bauen, um die Südosttangente zu entlasten, die Verkehrsströme in den Wiener Randbezirken und Umland-Ortschaften abzuziehen und so die „Lebensqualität der Anrainer" zu steigern, soweit man von Lebensqualität noch sprechen kann, denn: Zur Zeit sind die LKW-Verkehrsstärken auf der A2 bei Mödling bereits dreimal so hoch wie auf der Brennerautobahn, im Jahr 199410.815DTLV (Durchschnittliche tägliche LKW-Verkehrsstärke).

Die Bürgermeister der betroffenen Orte (Schwechat, Rannersdorf, Leopoldsdorf, Hennersdorf, Zwölfaxing, Mannswörth) sind hin- und hergerissen: Einerseits ächzen ihre Ortsbewohner unter dem Kfz-Verkehr, andererseits sind sie dem Druck der Rürger-initiativen ausgesetzt, die sich mehrheitlich gegen den Bau der B 301 ausgesprochen haben. Ein schwieriger Spagat, der zum Beispiel dem Schwechater Bürgermeister Reinhard Gogola nur mäßig elegant gelingt. „Die B 301 kommt nicht in Frage", meinte er vor besorgten Anrainern, um nach Gesprächen mit Landespolitikern darin eine „Jahrhundertchance für Schwechat" zu erblicken.

Die Bürgerinitiativen wiederum, die sich - wie die Landespolitiker -über die Landesgrenzen hinweg verständigen, führen viele gute Gründe gegen die geplante Hochleistungs-straßenverbindung an: Viele ihrer Mitglieder sind aus der Stadt in das „grüne" Wiener Umland gesiedelt und befürchten nun drastische Zuwächse an Lärm- und Schadstoffbelastung durch den Bau der B 301, die ihrer Meinung nach weniger dazu dient, die Orte zu entlasten, als einen weiterer Lückenschluß für den möglichst flüssigen EU-Ost-Transit abzugeben.

Es sind nicht die „Bl-eigenen" Gutachter, die ihre Befürchtungen bestärken, sondern hochoffizielle Zahlen der ÖSAG (Österreichische Autobahnen- und Schnellstraßen Pla-nungs- und Errichtungsgesellschaft AG), die deutlich belegen, daß die prognostizierte Entlastung der Südosttangente von fünf bis zehn Prozent allein durch die gleichzeitig berechnete Verkehrszunahme bis zum Jahr 2010 mehr als ausgeglichen wird. Zur Zeit frequentieren 133.500 Kraftfahrzeuge diese Region pro Tag. Die Prognose für 2010 geht von 147.300 Fahrzeugen pro Tag - trotz des Baus der B 301 - aus. Das heißt im Klartext: Die Südosttangente wird durch den Bau der B 301 nicht einmal vom Verkehrszuwachs gänzlich entlastet.

Die Grünen in Wien und Niederösterreich unterstützen die Forderungen der Bürgerinitiativen und werfen Landes- und Bundespolitikern eine Beschränkung auf die „Lenkradperspektive" vor. Sie fordern den-großzügigen Ausbau öffentlicher Verkehrsmittel, um tatsächlich die Lebensqualität der Anrainer zu erhöhen.

Verkehrszählungen in Wiener Randbezirken und in der Stadtgemeinde Schwechat belegen, daß zwei Drittel des Kfz-Aufkommens durch einen „Binnenverkehr" und „klein-räumigen Ziel-/Quell verkehr" verursacht sind, der mit einem attraktiven Angebot öffentlicher Verkehrsmittel sofort entschärft werden könnte (Ausbau des Schnellbahnnetzes, Intervallverdichtung auf der Pottendorfer Linie, Schnellbahndurchmesserlinien zum Beispiel St. Pölten - Meidling -Flughafen, Intervallverdichtung Badner Bahn und Buslinien).

Auch die ÖSAG-Zahlen belegen, daß die versprochene Entlastung der niederösterreichischen Umlandgemein-den durch den Bau der B 301 in Verkehrszahlen nicht feststellbar ist: In Vösendorf, Hennersdorf und Schwechat wird zum Beispiel das Verkehrsaufkommen auch mit dem Bau der B 301 steigen. Das bestätigt den kritischen Verkehrsexperten Hermann Knoflacher, der meint: „Hochrangige Straßenverbindungen ziehen automatisch Verkehr an, das gesamte Verkehrsaufkommen in der Region wächst."

Jenseits des bedrohlich steigenden Verkehrsaufkommens geht es um eine weitere grundsätzliche Frage im „Gutachterstreit" rund um die B 301: Sind alle „technisch machbaren" Lösungen auch wirklich noch politisch vertretbar?

So ist im Zuge des Baus der B 301 aus lärmtechnischen Gründen die Untertunnelung eines Ortsteils von Schwechat geplant, die von ihren Erfindern als großartige Idee zur Lösung dieses Problems gepriesen wird. Die Gegner wiederum verweisen auf die Beeinträchtigung des Wasserhaushalts, vor allem der Grundwasserseen im Bereich des Kalten Ganges, und fragen sich, ob die ökologischen Aus-Wirkungen und die möglichen Folgekosten überhaupt noch abschätzbar sind, und wer dafür die Verantwortung übernimmt?

Ihre Hoffnung: Im Zuge der Umweltverträglichkeitsprüfung muß nun „der Nachweis erbracht werden, daß das Projekt umweltverträglich ist und auf breite Akzeptanz der Bevölkerung stößt". Kein leichtes Unterfangen für die Projektbefürworter, denn die überregionale „Bürgerinitiative gegen Transit B 301", die Wiener und die niederösterreichischen Grünen setzen auf gezielte Information der betroffenen Anrainer.

Das Vertrauen in die Landespolitiker ist zur Zeit gering. Landeshauptmann Pröll erklärte noch im Jahr 1993: „Die Verbindung von Ost- und Südautobahn kommt nicht in Frage." Kurze Zeit später, bei einem Frühstück mit dem damaligen Bürgermeister Zilk, war die B 301 beschlossene Sache.

Es ergibt sich das bekannte Bild: Verkehrsplaner, Bundes- und Landespolitiker, die für den „Fortschritt" planen auf der einen Seite - Bürgerinitiativen aus betroffenen Menschen, die um ihren Lebensraum kämpfen und den von oben verordneten „Fortschritt" als verkehrspolitischen Rückschritt beurteilen, auf der anderen Seite.

Dazwischen etablierte Regionalpolitiker, die wiedergewählt werden wollen, am Wirtshaustisch und „vor Ort" ihre Standpunkte „hautnah" verteidigen müssen und die zwischen Parteiräson, finanziellen Abhängigkeiten, Fortschrittsgläubigkeit und dem drohenden Mandatsverlust an Rürger initiativen aufgerieben werden.

„Im Zuge der Umweltverträglich keitsprüfung wird sich zeigen, was die ses Gesetz wert ist", betont Manfrec Smetana, der Sprecher des „Bürgerfo rum gegen Transit B 301". Werden Bürger nur „gehört", oder werden ihre Anliegen ernst genommen? Wird es ein Gutachterstreit oder entscheidet das Werbebudget und die Zahl der Hochglanzbroschüren. Oder wird mit dem Argument „Arbeitsplätze um jeden Preis" das Projekt über die Köpfe der betroffenen Menschen durchgezogen?

Ein hartes Stück gelebte Demokratie steht in Niederösterreich in diesem Millenniums-Jubel jähr bevor.

Die Autorin ist

Pressereferentin der Grünen in Niederösterreich.

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