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In der Zielgeraden…

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Trotz drohender, besonders linksseitiger Lähmungserscheinungen des konstruktiven politischen Lebens im Zusammenhang mit der bevorstehenden Bundespräsidentenwah! sind neue Schulverhandlungen angesetzt worden. Damit sollen die Gespräche, die vor mehr als einem Jahr abgebrochen werden mußten, wiederauf genommen werden. Den Kernpunkt jeder Regelung des Schulwesens bildet bekanntlich die künftige Gestaltung der Ausbildung des österreichischen Pflichtschullehrers, also des Volks-, Haupt- und Sonderschullehrers. Bedeutende Entscheidungen, wie etwa die über Dauer und. Umfang der Schulpflicht, über die Organisation der Volks- und Hauptschule, rücken demgegenüber an die zweite Stelle.

Um die Problematik in ihrer ganzen Weite und Tiefe gleich aufzuzeigen: es handelt sich hier nicht um Meinungsverschiedenheiten bloß in Detailfragen innerhalb des bestehenden Bildungssystems, sondern um eine erbitterte Kampfansage an die Idee und Form der bisherigen Art der Ausbildung des Volksschullehrers bzw. um ihre Verteidigung. Mit einem Wort: die sozialistisch-marxistische Doktrin hat in ihrem internationalen Programm als Herzensanliegen eine Form der Lehrerbildung, die der bisher in Oesterreich geltenden entgegengesetzt ist. Dieser Programmpunkt soll nun bei der neuen Schul- gesetzgebung durchgedrückt werden, und dafür werden massive Mittel, wie z. B. die Blockierung der Konkordatsverhandlungen und der gerechten Subventionierung der katholischen Privatschulen. eingesetzt. Abgesehen von der internationalen marxistischen Linie, spielen in dieser Frage zweifellos auch ein liebevoll konservierter Fortschrittsoptimismus aufklärerischer Provenienz und eine krankhafte Abneigung gegen alles Traditionelle in Oesterreich eine gewisse Rolle. Mit dem Schlachtruf „Reaktionär” will man vor allem die Ahnungslosen schrecken und die österreichische Lehrerbildung überrumpeln. Erst wenn es schon zu spät wäre, käme das Volk darauf, welcher Schaden dabei angerichtet wurde, so wie es eben erst heute nach dem dreißigjährigen Krieg der Wiener Schulreform die Folgen der „fortschrittlichen” Gestaltung von Volks- und Bürgerschule zu erkennen vermag.

In unserem Fall hieße der „Fortschritt” nun: die bisherige berufsschulmäßige Ausbildung der Lehrer soll von einer „hochschulmäßigen” abgelöst werden, statt in eine Lehrer- oder Lehre- rinnenbildungsanstalt habe der Lehramtsanwärter eine pädagogische Akademie, wenn nicht gleich eine zu schaffende oder auszubauende Abteilung der Universität zu besuchen. Dahinter verbergen sich folgende Aenderungen:

1. Die Lehramtsanwärter würden nicht mehr aus der gesamten schulmündig gewordenen Jugend einer Generation genommen werden, sondern nur aus dem schmalen Ausschnitt der Abgänger der allgemeinbildenden Mittelschulen.

2. Die Allgemeinbildung des künftigen Lehrers würde im beruflich völlig neutralen Raum erfolgen und nicht mehr organisch mit dem künftigen Beruf in Beziehung gebracht werden.

3. Die Berufsausbildung, die heute mit verschiedenen Schwerpunkten auf fünf Jahre verteilt ist und nach dem Plan der Verteidiger dieser österreichischen Lehrerbildung auf sechs Jahre ausgedehnt werden soll, würde auf zwei Jahre reduziert werden.

Das würde in der Praxis bedeuten: alles Berufsbildende, Berufsformende, Berufskundliche, das bisher vom 14. Lebensjahr an, zwanglos, der jeweiligen Fassungskraft des Schülers angepaßt, organisch neben den allgemeinbildenden Fächern an den künftigen Lehrer herangebracht wurde, hätte nun bis zum 18. Lebensjahr dem jungen Menschen peinlichst ferngehalten zu werden. Erst in zwei Jahren nach der beruflich neutralen Reifeprüfung würde er von Grund auf in die Theorie, Praxis und Gesinnung des Lehrberufs eingeführt werden dürfen.

Es leuchtet auf den ersten Blick ein, daß dadurch eine empfindliche Verkürzung der Berufsausbildung einträte. Während sich bisher die spezifische Berufsausbildung auf fünf Jahre erstreckt und auf sechs Jahre ausgedehnt werden soll, wollen die Verfechter der „hochschulmäßigen” Lehrerbildung die Schulung in einen Zeitraum von zwei Jahren hineinpressen.

Abgesehen von der geänderten Ausbildungsweise, hätte der Plan vor allem zur Folge, daß der Teil der Volkssubstanz, aus dem sich bisher der Pflicht- schullehrstand rekrutierte, fast gänzlich vom Lehrberuf abgeschnitten würde und ihm verlor e n g i n g e. während sich unbewährte neue Kreise zur Verfügung stellen müßten. Und dies ist das eigentlich Alarmierende, das vor die Oeffentlichkeit gehört. Es ist die Frage: Ist der Lehrer des österreichischen Volkes, bewährt in Stadt und Land, als Kulturträger und Kulturschöpfer in hohem Ansehen in allen Kreisen, bei alt und jung, nun plötzlich unzulänglich und unbrauchbar geworden, daß er abgelöst werden muß? Abgelöst von einem gänzlich neuen Typ, der erst auf einem äußerst problemreichen Experimentierfeld geschaffen werden soll?

Es ist jedoch nicht allein die Gefahr des unzulänglich ausgebildeten oder gar des unerwünschten Lchrertyps, die sich an diesem Kreuzweg der Meinungen erhebt, sondern auch die eines künftig drohenden Lehrermangels. Was nämlich hierzulande von der Linken als der Weisheit letzter Schluß und einzig richtiger Weg gepriesen wird (NR. Dr. Neugebauer — SPOe — in der Budgetdebatte 19 57):

„Auch bei uns in Oesterreich sollte endlich die Lehrerbildung an pädagogischen Hochschulen erfolgen. Dies ist in der Ersten Republik versäumt worden, und darum sind wir auf diesem Gebiet zurückgeblieben. 1869 sind wir mit Europa in einer Linie gegangen, heute sind wir um drei Doppelreihen zurück.” ist inzwischen in einzelnen Gebieten Westdeutschlands durchexerziert worden. Gerade auf diese Tatsache verweisen die Anhänger der akademischen Lehrerbildung mit großem Lärm und Nachdruck. Was uns jedoch aus diesem pädagogischen Mekka an „diesbezüglichen” Nachrichten erreicht, ist alles eher denn überzeugend. So äußerte sich in der Münchner „Welt der Schule” im Februar 1956 an leitender Stelle ein Lehrer zur Lehrerbildungsfrage und stellte unter anderem fest:

„Die Lehrerbildung befindet sich seit dem Ende der Lehrerseminare im Hinblick auf die praktische Berufsausbildung in einer fortschreitenden Deformierung. Darin liegt der Hauptgrund des Niedergangs der Schulen und nicht in mißlichen Zeitumständen … Was die Ratgeber von auswärts (nordwärts) betrifft, so haben wir allen Grund, vorsichtig zu sein. Sie haben nämlich seit dreißig Jahren eine akademische Lehrerbildung, welche sich nicht bewährt hat. Wir stehen im Begriffe, diese unbewährten Modelle (mit ein paar Zu- und Abstrichen) nachzuahmen.”

Das erschütterndste Ergebnis der Versuche in Deutschland liegt jedoch im akuten Lehrermangel, der den verantwortlichen Stellen schon ernste Sorgen macht. Aus einem Artikel der „Bonner Rundschau” vom 14. Februar 1957 erfahren wir, „daß schon jetzt 500 Planstellen bei insgesamt 36.000 Volksschullehrern in Nordrhein-Westfalen unbesetzt sind”. Und nun kommt eine Pikanterie, die in unserem Zusammenhang nicht ihresgleichen hat: Der Artikel dieser westdeutschen Zeitung trägt die Ueber- schrift „Oesterreichische Lehrer sollen kommen” und im Untertitel die Begründung, um den „Mangel an Volksschullehrern entgegenzuwirken”. Das heißt also nicht mehr und nicht weniger, als daß der Mann hinter der „dritten Doppelreihe” das Kommando übernehmen soll!

Wir wollen nicht in — wenn auch berechtigten — Polemiken verweilen. Die Sache ist viel zu ernst. Alle Verantwortlichen in Oesterreich mögen aber einsehen: Es ist nun einmal schon so, daß auch zum Lehrer der Kinder eines Volkes nicht bloß Beruf, sondern Berufung gehört. Hier Wirkmöglichkeiten der Gnade — der gute Lehrer hat einen Platz an Gottes Thron — zu verschütten, ist, wie in allen solchen Fällen doppelt verhängnisvoll. Gerade wir in Wien und Oesterreich, die wir schon einen schweren Mangel an Menschen- und Seelenbildnern, den Priestermangel, zu fühlen bekommen, sollten besonders wachsam sein, ihm nicht auch noch einen Lehrermangel an die Seite zu stellen!

Darüber wird aber mitentschieden werden, wenn die Fachleute, die Politiker, die Juristen in nächster Zeit wieder zu Formeln auf dem Gebist der Schule zu kommen versuchen werden. Sie werden Ausgleiche herzustellen haben und heikle Probleme gegeneinander abwägen. Wehe, wenn dann das Gewicht der Lehrerbildung nicht richtig eingesetzt wird!

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