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Lug und Trug bei Mensch und Tier

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Die Verhaltensforschung gerät immer wieder in der Geruch der Rechtslastigkeit. Zu Unrecht, wie Wissenschaftler beteuern.

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Die Verhaltensforschung gerät immer wieder in der Geruch der Rechtslastigkeit. Zu Unrecht, wie Wissenschaftler beteuern.

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Mit vielem hatte Wolfgang /I Bachmayer gerechnet, als er ITA den Schritt auf das rutschige Parkett der Politik wagte - doch sicher nicht damit, unversehens als Rassist dazustehen. „Ich habe einmal ein wissenschaftliches Werk ganz kurz überflogen, worin steht, daß ein kleines Baby, über das sich ein fremdartiges, sagen wir dunkles Gesicht beugt, automatisch zu schreien beginnt.” Diese Äußerung, getroffen vor vier Jahren bei einer FPO-Ta-gung, beendete zwei Wochen vor den Wiener Gemeinderatswahlen die kurze politische Laufbahn des damaligen Spitzenkandidaten des Liberalen Forums. Flugs saß jedoch nicht nur der unglückliche Quereinsteiger auf der Anklagebank, sondern jene Wissenschaft, auf die Bachmayer sich zu beziehen schien: die Humanethologie, die sich mit der Erforschung des menschlichen Verhaltens beschäftigt. Von einer „Biologismuswelle” war die Rede, auch der obligate Hinweis auf den nationalsozialistischen Rassenwahn durfte nicht fehlen.

„Die Verhaltensforschung gerät unverdientermaßen immer wieder in die Nähe rechten Gedankenguts”, klagt Kurt Kotrschal, Leiter der Kpnrad-Lorenz-Forschungsstelle für Ethologie in Grünau (Oberösterreich). Sie werde mißbraucht und zur Rechtfertigung rassistischer oder fremdenfeindlicher Ideologien herangezogen. Dabei gehe es der Ethologie lediglich darum, Muster im menschlichen Verhalten zu erkennen; Gemeinsamkeiten und Unterschiede sowohl zwischen menschlichem und tierischem Verhalten, als auch bei Verhaltensmustern in verschiedenen menschlichen Kulturen. „Rassismus besteht nicht darin, Unterschiede zu sehen, sondern sie zu ideologisieren”, stellt Kotrschal fest. Bezogen auf den Fall Bachmayer bedeutet dies: Daß europäischen Kindern eine Abneigung gegen Afrikaner angeboren wäre, hält Kotrschal für Unfug. Daß ein auf hellhäutige Gesichter geprägtes Baby bei einem abrupten Farbkontrast erschreckt reagiere, sei jedoch aus der Sicht des Verhaltensforschers nicht auszuschließen.

Die relativ junge Disziplin der Verhaltensforschung geht davon aus, daß menschliches Verhalten auf tierischen Wurzeln beruht. Da der Mensch ein Produkt der Evolution ist, finden viele menschliche Verhaltensweisen ihre Entsprechung im Tierreich und umgekehrt: So wie Dachse ihre Territorien markieren, so zieht auch der Schrebergärtner einen Zaun um sein Grundstück. Pavianmütter nehmen ihren Nachwuchs ebenso liebevoll zur Brust, wie die amerikanische Schauspielerin Pamela Sue Anderson („Baywatch”) ihren Säugling. Und in Wolfsrudeln bildet sich ebenso wie in Jugendbanden eine differenzierte hierarchische Ordnung heraus. Auch der Vergleich verschiedener menschlicher Kulturen kann sehr aufschlußreich sein: Von Papua-Neuguinea bis Attnang-Puchheim ist das Hochziehen der Augenbrauen als Gruß anzutreffen - anscheinend ein Wesenszug des Menschen.

Daß Rassisten und Umvolkungs-theoretiker sich jener Erkenntnisse der Verhaltensforschung bedienen, die ihnen ins Konzept passen, daran mag die Verhaltensforschung schuldlos sein. Ganz grundlos geriet sie jedoch nicht ins Zwielicht: Der Nobelpreisträger Konrad Lorenz, einer der Regründer der Disziplin, geißelte in seinem Ruch „Die acht Todsünden der zivilisierten Menschheit” die „artwidrigen” Verhaltensweisen der Menschheit: Die Rrutpflege sei vernachlässigt, das Rudelverhalten und andere arterhaltende Instinkte verlernt worden. Vor allem der Wiener Humanethologe Irenaus Eibl-Ei-besfeldt ist ins Kreuzfeuer der Kritik geraten: Der Lorenz-Schüler hatte sich in Berufung auf die Tierwelt zu Äußerungen wie „Traditionelle Nationalstaaten sollten eher bestrebt sein, ihre ethnische Einheitlichkeit zu erhalten” (in: Wider die Mißtrauensgesellschaft, Serie Piper, München 1994) und Ähnlichem hinreißen lassen. Ebenso erklärte er die Drei-Generationen-Familie und den

„Hang zum Schönen” zu typisch menschlichen Eigenschaften.

„Die Verhaltensforscher suchen sich immer diejenige Affenart aus, die zu ihrer Ideologie paßt, aber verschweigen, daß man im Tierreich alle möglichen Entsprechungen findet”, ärgert sich Wolfgang Rathmayr, Dozent am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Innsbruck. Tatsächlich hat vor allem die Erforschung des Lebens von Affen in den letzten Jahren eine Fülle an Verhaltensweisen zu Tage gefördert, die verbluffend an uns Menschen erinnern - und so gar nicht in rechtslastige Weltbilder passen: Lug und Trug, Sex und Ge- 1 walt sind auch im Alltag von Affen keine Seltenheit. Paviankinder gaukeln ihrer Mutter eine Attacke durch ein erwachsenes Mitglied der Horde vor, um an dessen Futter zu gelangen. Schimpansen meucheln grundlos einen Artgenossen, der die Einsamkeit der Wälder dem Leben in der Gruppe vorzog. Erwachsene Ronobos führen ein ausschweifendes Sexualleben. (So kanalisiert diese äußerst friedliche Affenart ihre Aggressionen.)

Mit der Kritik an Vaterfiguren der Ethologie rennt Rathmayr bei den meisten seriösen Verhaltensforschern offene Türen ein. Das Lorenz-Buch „Die acht Todsünden der zivilisierten Menschheit” etwa ist für Georg Kotrschal ein „interessantes historisches Dokument, nicht mehr”. Eibl-Eibes-feldts Ergüsse hält er schlicht für „kompetenzüberschreitend”. Und auch einem weit verbreiteten Irrglauben hält er entgegen: „Kein Merkmal ist eins zu eins codiert. Welche Erbanlagen zum Zug kommen, wird massiv von der Umwelt beeinflußt.” Das Gen für Intelligenz, Homosexualität oder Ehrlichkeit - eine Schimäre.

Doch auch nach Klärung historischer Irrtümer und der Abgrenzung gegen pseudowissenschaftliche Ras-sentümelei scheiden sich die Geister an der Verhaltensforschung. „Persönlichkeitsmerkmale sind zu 70 Prozent erblich, zu 30 Prozent von der Umwelt beeinflußt”, bringt Kotrschal den derzeitigen Wissensstand auf den Punkt. Da lebt die alte Streitfrage, die schon die Philosophen beschäftigte, wieder auf: Was liegt in der Natur des Menschen und was ist erlernt? Welche Verhaltensweisen sind ein Erbe der Evolution und welche ein Produkt der Zivilisation?

Dem Erziehungswissenschaftler Rathmayr ist die Vorstellung, daß der Mensch wie eine Marionette an den Fäden seiner Gene zappelt, ein Greuel: „Die Gene determinieren ' den Menschen überhaupt nicht”, ist er überzeugt. Der Mensch stünde zwar in der erblichen Tradition der Tiere, doch Sprache und Kultur unterschieden ihn grundlegend vom Tier, sagt Rathmayr.

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