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Zwei Jahre Zeit

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In Österreich haben Sozialarbeiter zwei Jahre Zeit, sich auf ihren Beruf theoretisch und praktisch vorzubereiten. (Der Lehrstoff des von Nichtmaturanten vorher zu absolvierenden Schuljahres ist allgemeinbildend und nicht direkt auf die spätere Tätigkeit bezogen.) In diesen beiden Ausbildungsjähren wird den Studierenden eine Fülle von Lehrstoff geboten: Einführung in die Psychologie, in die Pädagogik, in die Psychiatrie, in medizinische, rechtskundliche und soziologisch-ökonomische Fachgebiete, Methodik der Sozialarbeit und anderes mehr. Die notwendige Ergänzung bilden zahlreiche Exkursionen und vor allem die Praktika, die laut Lehrplan insgesamt ungefähr ein halbes Jahr der ganzen Ausbildungszeit beanspruchen dürfen. Diese Zeit ist äußerst knapp bemessen — auch im Vergleich mit ausländischen Verhältnissen —, berücksichtigt man die Funktionen des

Praktikums in der Ausbildung: Information über Einrichtungen; Möglichkeit zu selbständiger Arbeit und Bewährung unter Anleitung; Erlernen des Geschickes, aufbauende Beziehungen mit Menschen herzustellen; erste Berufserfahrungen beim Arbeiten unter Vorgesetzten und Kollegen; Integration von Theorie und Praxis — die erfahrungsgemäß besonders jüngeren Studierenden schwerfällt — und Bereicherung des theoretischen Unterrichtes durch die Erfahrungen der Praktikanten; Persönlichkeitsbildung, besonders auch das Kennenlernen der eigenen Fähigkeiten und Grenzen. Ist die Kürze der für die Praktika vorgesehenen Ausbildungszeit auch grundsätzlich zu bedauern, soll bei der Frage, ob das Praktikum seine Funktionen erfüllen kann oder nicht, die Person des Praktikanten nicht übersehen werden. Ob ein bestimmtes Praktikum für den Studierenden gewinnbringend oder nicht war, hängt ganz wesentlich von seiner Begabung, seinem Charakter, von seiner Reife, seiner Arbeitshaltung, Initiative, seinem Arbeitstempo und seiner Erfahrung ab — daneben natürlich auch von der Dauer des Praktikums, der Aufgeschlossenheit der Praktikumsstelle und der Betreuung durch die Schule.

Praktika und Praktikumsstellen

Welche Praktika sieht nun der Lehrplan vor und welche Praktikumsstellen arbeiten mit der Lehranstalt für gehobene Sozialberufe der Caritas der Erzdiözese Wien zusammen?

In der Mitte des ersten Ausbildungs Jahres verlassen die Studierenden erstmals die Schule für zehn Vormittage. Sie absolvieren das vorgeschriebene Kindergartenpraktikum an einigen ausgesuchten katholischen Kindergärten in Wien. Die männlichen Studierenden haben sich — so problematisch es zunächst aussah — in diesem Pflichtpraktikum bisher ausgezeichnet bewährt. Je vier Wochen ganztägig dauert das Pflichtpraktikum aus Krankenpflege (einschließlich Wochenbettpflege für weibliche Studierende) und aus Säuglingsund Kinderpflege; an Stelle von Säuglingspflege haben männliche Studierende ein Praktikum in der Behinderten- oder Erziehungsfürsorge abzuleisten. Unsere Studierenden arbeiten hauptsächlich an Krankenanstalten, Säuglings- beziehungsweise Erziehungsheimen in Niederösterreich und Wien, fallweise aber auch in anderen Bundesländern, meist in der Nähe ihres Heimatortes.

Das längste und das zentrale Praktikum ist das sechswöchige, ganztägige Jugendamtspraktikum, zentral unter anderem deshalb, weil noch immer der weitaus größte Teil der Studierenden nach Abschluß des Studiums Sozialarbeiter an einem Jugendamt wird. Der Praktikant soll unbedingt in dem Bundesland zum Praktikum eingeteilt werden, in dem er später voraussichtlich arbeiten wird, um sich möglichst frühzeitig mit der nach Bundesländern jeweils verschiedenen Rechtslage und Organisation vertraut zu machen.

Im Rahmen der je 14tägigen Pflichtpraktika (halbtags) aus Tbc- und Altersfürsorge lernen die Studierenden die Tbc-Fürsorge des Gesundheitsamtes und das Altersheim der Stadt Wien kennen.

Zusätzlich zu den bisher genannten Pflichtpraktika sieht der Lehrplan 15 bis 25 Wochen dauernde halbtägige „alternative“ Pflichtpraktika vor; alternativ, weil die Studierenden sich hier weitgehend die Praktikumsstellen auswählen können, die sie kennenlernen wolen. Allerdings muß im Rahmen der Alternativpraktika jeder Studierende eine bestimmte Zeit in der Erwachsenenfürsorge mit Jugendlichen und mit Kindern arbeiten, so daß einer Spezialisierung schon während der Ausbildung der notwendige Riegel vorgeschoben ist. Die Praktikumsstellen müssen, da diese Praktika alle halbtägig und damit „unterrichtsbegleitend“ sind, in Wien oder zumindest in der näheren Umgebung Wiens liegen.

Einblick in die Erwachsenenfürsorge können unsere Studierenden an der Fürsorgestelle der Universitätsklinik für Psychiatrie, bei der Berufsberatung (Wien und Niederösterreich), in den Außenstellen des Psycho-hygienischen Referates (Trinkerfürsorge) am Gesundheitsamt der Gemeinde Wien, beim Sozialen Betreuungsdienst (Gefangenenfürsorge) am Landesgericht für Strafsachen Wien, an Stellen der öffentlichen und privaten katholischen Erwachsenenfürsorge, bei der Berufsfürsorge der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt erhalten, um nur die wichtigsten Stellen zu nennen.

Die Arbeit mit Jugendlichen lernen die Studierenden entweder ganz unmittelbar durch Mitarbeit in einem Heim an Wochenenden (zum Beispiel Mädchenerziehungsheim Klosterneuburg der Caritas Socialis) oder mehr beobachtend (zum Beispiel im Verein für Bewährungshilfe, bei der Jugendgerichtshilfe am Jugendgerichtshof, bei der Jugendpolizei) kennen. Ähnliches gilt für das Praktikum mit Kindern. Auch hier stehen einerseits Kinderheime — auch solche für körperlich oder geistig geschädigte Kinder — als Praktikumsstellen zur Verfügung, anderseits haben die Studierenden die Möglichkeit, in die Tätigkeit zum Beispiel des Institutes für Erziehungshilfe, der Kinder-Übernahmsstelle der Gemeinde Wien, der Heilpädagogischen Beobachtungsstationen der Wiener Universitätskinderklinik und des Landes Niederösterreich Einblick zu nehmen.

Ganz allgemein ergibt sich, daß für eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Schule und Praktikumsstellen ein fester Bestand von Praktikumsstellen notwendige Voraussetzung ist. Die Praktdkumsstelle — genauer die an jeder Stelle für die Praktikanten zuständige

Fachkraft — kann erst nach einiger Erfahrung mit Praktikanten deren Einzelleistung beurteilen, sie entsprechend einsetzen und anleiten. Vor allem aber müssen die Möglichkeiten und Erwartungen der Praktdkumsstelle mit den Erwartungen und Vorschlägen der Schule in ständigem Kontakt koordiniert, Erfahrungen ausgetauscht werden. Nur so entsteht ein echtes Zusammenwirken im Interesse optimaler Ausbildung des Nachwuchses. Konkret seien hier drei Problemkreise angedeutet: 1. Wie ist der Praktikant einzusetzen? Als passiver „Mitläufer“ oder als selbständige Arbeitskraft für entsprechend einfache Routinearbeiten? 2. Der schriftliche Bericht über die Leistung des Praktikanten an die Schule: Soll der Praktikant den Inhalt kennen? 3. Wie kann die Praktikumsstelle Hilfe zur Verarbeitung der Praktikumserfahrungen geben? Die Erfahrung hat gezeigt, daß die Praktikanten Kritik und Anerkennung ihrer Leistungen brauchen. Eine Stunde wöchentlich oder 14tägige Zeit für eine solche Aussprache stellt zwar eine Mehrarbeit für die Praktikumsstelle, aber einen eminent wichtigen Faktor in der Ausbildung dar. Alle Praktikumsstelilen, die mit der Schule zusammenarbeiten, nehmen sich — trotz ihrer oft bis an die Grenzen der Leistungsfähigkeit gehenden Belastung — für die Ausbildung unserer Studierenden viel Zeit und Mühe und geben ihnen jede mögliche Hilfe und Unterstützung. Es sei ihnen allen hier aufrichtiger Dank und Anerkennung für ihre gewissenhafte, wertvolle und uneigennützige Mithilfe bei der Ausbildung ausgesprochen.

Praktikumsbetreuung durch die Schule

Der Bedeutung des Praktikums in der Ausbildung und der Notwendigkeit der intensiven Zusammenarbeit von Schule und Praktikumsstelle trug der Gesetzgeber in einer Bestimmung Rechnung, nach der Lehranstalten für gehobene Sozialberufe einen eigenen Praktikumsleiter anstellen können. Die Lehranstalt „für gehobene Sozialberufe“ der Caritas der Erzdiözese Wien hat als erste Schule Österreichs diese Möglichkeit realisiert und mich seit dem Schuljahr 1964/65 mit dieser Aufgabe betraut. Im Inland gab es kein Vorbild. Die Methode „trial and error“ und vor allem schriftliche und persönliche Kontakte mit Schulen in der Bundesrepublik Deutschland — wo das Vorhandensein eines Praktikumsleiters schon längst Selbstverständlichkeit ist — bestimmen den Weg des Aufbaues. Neben der Organisation, der Aufnahme und Vertiefung des Kontaktes zwischen Praktikumsstelle und Schule, der Vorbereitung der Studierenden auf die Praktika — zum Beispiel durch Hinweise auf die Stellung des Praktikanten, auf die Situation der Prakti-kumsstelle, Erinnerungen an das Berufsgeheimnis, Literaturhinweise, besonders auch Ermutigung — und der Zusammenarbeit mit den Lehrkräften der einschlägigen Gegenstände steht vor allem die Hilfe bei der persönlichen Auseinandersetzung der Studierenden mit der Praxis im Vordergrund. Man muß sich vor Augen halten, wie sehr gerade in dieser Ausbildung die meist noch sehr jungen Studierenden im Praktikum mit einer Vielzahl schwierigster menschlicher Probleme konfrontiert werden. Immer wieder müssen und können im Einzelgespräch an der Praktikumsstelle selbst oder an der Schule unrealistische Erwartungen an die Praxis und falsche Vorstellungen korrigiert, einer resignierenden Haltung vorgebaut, bei der Integration von Theorie und Praxis geholfen werden. Das Erkennen und Akzeptieren der eigenen Grenzen und Fähigkeiten, das Verarbeiten von Mißerfolgen und Erlebnissen mit den Hilfsbedürftigen braucht einen objektiven Gesprächspartner. •

Über jedes Praktikum ist von den Studierenden ein Praktikumsbericht abzufassen, der sie zur Auseinandersetzung mit den Erlebnissen des Praktikums in fachlicher und persönlicher Hinsicht zwingt und ihnen damit auch hilft, sie zu verarbeiten. Dieser Bericht darf daher nicht in einer Beschreibung der Institution und deren Aufgaben und einer Darstellung des Tagesablaufes bestehen, sondern muß sich persönlich auseinandersetzen mit den Problemen, Fragen und den Erlebnissen mit den Hilfsbedürftigen selbst. Der Bericht und die Beurteilung von Leistung und Persönlichkeit durch die Praktikumsstelle (bei längeren Praktika) sind Grundlage für das Gespräch.

Neben dem Einzelgespräch kommt aber auch dem Gespräch, der

Diskussion in der Klassengemeinschaft große Bedeutung zu. Der Praktikumsleiter hat dadurch die Möglichkeit, zentrale Probleme allgemein zur Diskussion zu stellen.

Nach zweijähriger Aufbauzeit kann gesagt werden, daß in der Praktikumsbetreuung ein Anfang gesetzt ist, der schon einige positive Auswirkungen sichtbar werden ließ. Es gibt noch viel zu tun, bis unsere Praktikumsbetreuung allen ihren Aufgaben gerecht werden kann, vor allem gilt es Erfahrungen zu sammeln. Sicher ist, daß eine gute Praktikumsbetreuung durch die Schule gemeinsam mit allen anderen Faktoren die Funktion einer immer besseren Ausbildung des Nachwuchses an Sozialarbeitern erfüllen kann.

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