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Seine Majestät — der Herr Lehrbub

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WIEDER STEHT JENER TAG VOR DER TÜR, an dem zehntausende junge Menschen den Schritt ins Berufsleben machen müssen, das sie mit all seiner Härte erfassen wird. Diesem Tag geht aber fast in jeder Familie ein langes Beratschlagen voraus, was denn der Bub oder das Mädchen werden soll.

Die Kinderträume des jungen Mannes, Polizist, Feuerwehrmann oder Kapitän zu werden, gehen in Sachlichkeit unter. Selbst der Vierzehnjährige denkt heute schon sehr real und will nur einen Beruf, der seinen Interessen entspricht und der etwas einbringt. Es ist nicht zu leugnen, daß die finanzielle Frage beim jungen Mann und auch beim Mädchen sehr im Vordergrund steht. Schon auf der Schulbank wird über die Anschaffungen vom ersten „Verdienten“ nachgedacht. Für viele ist dieses Zeichen berufsmäßiger Würde ein tragbares Kofferradio, ein tragbares Magnetophon oder ein Plattenspieler, aus dem dann sehr zur Pein der anderen Straßenbenützer Twistgeheul seinen Siegeszug feiert.

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VOR DIE ENTSCHEIDUNG IHRER ZUKUNFT werden heuer rund 106.300 junge Menschen gestellt sein, wenn sich die Schultore für immer hinter ihnen schließen. Für die wenigsten der Schulentlassenen werden die beiden Ferienmonate so unbekümmert sein wie in den vergangenen Schuljahren. 97.000 Vierzehn- und Fünfzehnjährige — ein Teil von ihnen hat schon das neunte Schuljahr hinter sich — aus Haupt-, Volks- und Sonderschulen stehen vor der Berufswahl, 6300 Maturanten müssen sich entscheiden, ob sie weiterstudieren wollen und können. Rund dreitausend Burschen und Mädchen aus niederen Mittelschulklassen entwerfen 'ihre Pläne für die Zukunft.

Wie es in diesem Jahr jedoch genau aussehen wird, kann man noch nicht mit Bestimmtheit sagen. Aber die Zahlen und Statistiken vom Vorjahr ermöglichen, eine annähernd genaue Prognose um die Berufswünsche der jungen Leute zu stellen, da sich im wesentlichen gegenüber dem Vorjahr nichts geändert hat. Beginnen wir einmal bei der relativ kleinen Gruppe der Maturanten: Von den männlichen Mittelschulabsolventen entschlossen sich 60 Prozent für ein weiteres Studium, bei den Mädchen waren es nur vierzig Prozent. Bei den Burschen — wie könnte es sonst anders sein — lagen die technischen Berufe, also das Studium an einer Technischen Hochschule, an erster Stelle. Dann folgten jene Berufssparten, die sich mit Lehrwesen (Mittelschulprofessor), Bildung und Wissenschaft (Forscher, wissenschaftliche Assistenten) und Unterhaltung (Schriftsteller, Dolmetsch) befassen. An dritter Stelle hatten sich bei den Maturanten Interessen für Rechts- und Wirtschaftsberater bemerkbar gemacht, also ein Besuch der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät einer Universität sowie der Hochschule für Welthandel. Als vierter Berufswunrch folgte der öffentliche Dienst und dahinter die Gesundheitsberufe, in erster Linie Ärzte. Ganz wenige wollen sich dann noch einem kaufmännischen Broterwerb zuwenden.

Bei den Mädchen, die eine abgeschlossene Mittelschulbildung haben, sieht die Situation ganz anders aus. An erster Stelle steht der Lehrberuf, für den sich die meisten meldeten. Auch interessierten sich die jungen Damen sehr für den Gesundheitsberuf (Medizin und Pharmazie) und an dritter Stelle steht der kaufmännische Beruf, wobei häufig einem Hochschulstudium der Abiturientenlehrgang einer Handelsakademie vorgezogen wird. Dolmetsch ist ebenfalls sehr beliebt, hingegen äußerten die wenigsten jungen Damen technische Berufswünsche.

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JUNGE MENSCHEN AUS der Pflichtschule hatten andere Berufswünsche. Bei den 97.000 muß man auch zwischen Burschen und Mädchen eine Grenze ziehen. Wie Umfragen ergaben, will sich ein Drittel aller Burschen Österreichs der Metall- und Eisenbearbeitung zuwenden, wobei der weitaus größere Teil nur Interesse hat,

Kraftfahrzeugmechaniker zu werden. Auch Elektriker und Schlosser erfreuen sich großer Beliebtheit. Zehn Prozent der berufsuchenden jungen Männer interessieren sich für Land- und Forstwirtschaft. Weitere zehn Prozent wollen Bauberufe ergreifen, in erster Linie Maurer werden. Maler- und Anstrei-cherberufe sind ebenfalls sehr gefragt, dann erst kommen in einigem Abstand auf der Statistiktabelle die Zimmerer, Platten- und Fliesenleger.

Nur neun Prozent der Burschen wollen einen kaufmännischen Beruf ergreifen, wobei sich die Wünsche zwischen Verkäufer und Bürokraft gleichmäßig verteilen. Wesentlich weniger Anwärter gibt es bei dem holzverarbeitenden Gewerbe, nach dem bald die Nah-rungs- und Genußmittelerzeuger (Fleischhauer und Bäcker) kommen. Eist dann folgen jene Burschen, die sich einem technischen Beruf widmen wollen. Dazu ist aber eine gewisse Ausbildung außerhalb einer Lehre notwendig, weshalb von all jenen, die diesen Berufswunsch äußerten, gut fünfzig Prozent eine technische Mittelschule besuchen.

Bei den jungen Damen ist der Berufswunsch Nummer eins — es ist zugleich der Modeberuf unseres Jahrzehnts — die Arbeit im Büro. Rund ein Drittel aller berufswählenden jungen Damen Österreichs wollen entweder im Büro sitzen oder verkaufen, wobei sich auch hier wieder die beiden Möglichkeiten der kaufmännischen Branche die Waage halten. Bei der Bekleidungsherstellung (Damen-Maßschneiderei, Herren-Maßschneiderei und Wäscheschneiderei) ist der Andrang dreizehn Prozent, bei der Körperpflege als Beruf, wobei hauptsächlich der Wunsch, Friseuse zu werden, auftaucht, 9,2 Prozent.

Von den Mädchen wollen etwa acht Prozent in der Land- und Forstwirtschaft arbeiten, während sich ebenso viele im Lehrberuf betätigen wollen. Für die Hauswirtschaft zeigen sieben Prozent reges Interesse, wobei aber nicht gesagt ist, daß diese sieben Prozent ihr Brot als Hausgehilfinnen verdienen möchten. Die so interessierten Mädchen besuchen in erster Linie Hauswirtschaftsschulen, um später eventuell einen anderen Beruf zu ergreifen.

Ein sehr erfreuliches Zeichen ist, daß sich für das Gesundheits- und Fürsorgewesen doch zumindest drei Prozent melden und somit ein — wenn auch noch geringes — Interesse für diese Berufsart besteht. Ohne Zweifel

ist in der Krankenpflege heute ein sehr großer Mangel an Kräften zu verzeichnen, wobei man aber nicht vergessen darf, daß es um die finanziellen und sozialen Seiten der Sozialberufe nicht gerade sehr verlockend und aufmunternd steht.

Bei den jungen Menschen ist heute glücklicherweise allgemein der Wunsch vorhanden, einen Beruf zu erlernen. Natürlich, gibt es auch hier Ausnahmen, und manche junge Leute verdienen durch Gelegenheits- und Hilfsarbeiten. Auch wenn der junge Mensch nicht unbedingt das Verlangen hat, eine Lehre über sich ergehen zu lassen, so läßt er sich in einem Großbetrieb anlernen, was heute ja schon dem Begriff einer Lehre nahekommt. Total verzichten auf eine Berufsausbildung wollen von den Burschen, die ihre Fachschuljahre „abgesessen“ haben, 1,4 Prozent, von den Mädchen aber 1,9 Prozent.

Noch keine Vorstellung von dem, was sie einmal werden wollen, haben nach der Pflichtschule 6,5 Prozent der Burschen, 8,3 Prozent der Mädchen. *

IMMER MEHR IN „MODE“ kommt die Fachschule. War früher der junge Mensch vor die Entscheidung gestellt, weiterzustudieren oder einen Beruf zu ergreifen und somit eine Lehrstelle anzutreten, so gibt es seit einigen Jahren den „goldenen Mittelweg“, eben die Fachschule.

Zehn Prozent der aus der Pflicht-

schule kommenden Burschen wollen in einer Fachschule ihre weitere Berufsausbildung erfahren, von den Mädchen sind es 15 Prozent. Dem jungen Menschen stehen in dieser Beziehung ungeheure Möglichkeiten offen, da Absolventen dieser Schulen sofort einen Posten bekommen. Der Bedarf an qualifizierten Fachkräften ist enorm groß, besonders Mittelschultechniker werden auf der ganzen Welt gesucht, und es kommt nicht selten vor, daß aus Österreich Fachkräfte nach Deutschland und in die Vereinigten Staaten gehen, da sich ihnen dort bessere Möglichkeiten des Fortkommens bieten.

Die Sowjetunion hat die Entwicklung der Fachschulen besonders weit vorangetrieben: sie „produziert“ Facharbeiter en masse. Österreich hat sich der neuen Entwicklung im Schulwesen nicht verschlossen. In 201 Schulen, die unter die Kategorie mittlere berufsbildende Lehranstalten fallen, werden zur Zeit rund 46.000 Schüler von über 430 Lehrern unterrichtet. *

DIE GÜNSTIGE KONJUNKTUR hat dem jungen Menschen auf dem Arbeitsmarkt eine Vorzugstellung eingeräumt. Nicht nur das, sie ermöglicht auch, daß schwächer Begabte und Körperbehinderte in den Arbeitsprozeß eingegliedert werden können. Das große Lehrstellenangebot kann heute fast alle Berufswünsche, zumindest die der Burschen, befriedigen.

Natürlich kann es vorkommen, daß

Photos: Grimm

irgendwo in Österreich eben ein paar Berufswünsche nicht erfüllt werden können. Das ist aber nur regional bedingt und nicht ein Zeichen einer abflauenden Konjunktur.

Anders verhält es sich jedoch bei den .Mädchen, denen von Haus aus schon weniger Berufe zur Verfügung stehen. Die meisten wollen ins Büro, weil das Arbeiten in einem Büro ein gewisses Ansehen mit sich bringt. Aber von allen sich dazu meldenden Mädchen fand nur ein Drittel im vergangenen Jahr tatsächlich einen Posten.

In anderen Berufszweigen blieben bei Mädchen im vergangenen Jahr rund 3000 Lehrstellen offen, bei Burschen waren es gegen 11.000 Stellen, die nicht besetzt werden konnten. Von Jugendarbeitslosigkeit und einer dadurch bedingten Verwahrlosung kann also heute zum Glück gar keine Rede mehr sein. Es ist aber auch der allgemeine Wohlstand daran beteiligt, daß heute der überwiegende Teil der Jugendlichen in eine Lehre geht. Die Eltern können es sich leisten, den Buben oder das Mädchen noch drei weitere Jahre zu erhalten.

Das Argument, der Lehrling verdiene ja in seiner Ausbildung ohnehin etwas, fällt weg, da die dreihundert, vierhundert oder fünfhundert Schilling, die er in den Lehrjahren monatlich ausbezahlt bekommt, bei weitem nicht das decken, was die Eltern für Sohn oder Tochter ausgeben.

War früher in erster Linie mehr oder weniger der kleingewerbliche Betrieb die Ausbildungsstätte des Lehrlings, so wird sie heute in immer mehr zunehmendem Maße der Großbetrieb. Dieser Trend ließ sich in den letzten Jahren genau beobachten. Gründe dafür dürften in der sozialen Besserstellung des jugendlichen Arbeitnehmers in einem Großbetrieb zu suchen sein.

Eine entscheidende Neuerung und. Verbesserung der Berufsausbildung ist das Lehrwerkstättenwesen, zu dem heute sehr viele der Großbetriebe übergehen. In diesen Lehrwerkstätten erfolgt die ersten zwei Jahre die Berufsausbildung unabhängig von der Produktion des Betriebes, und der Lehrling erhält neben der obligaten Berufsschule noch eine firmeneigene theoretische Ausbildung nach den modernsten pädagogischen Gesichtspunkten.

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DIE ANFORDERUNGEN an den jungen Menschen, der seine Berufsausbildung durchmacht, sind heute gewiß groß. Aber man sollte sie auch nicht überschätzen und vor allem dem „Herrn Lehrbuben“ nicht zeigen, daß man ihn so notwendig braucht wie ein Stückchen Brot. Es dürfte pädagogisch und psychologisch kaum von Wert sein, wenn der Vierzehnjährige merkt, daß sich Leute um ihn zu sehr bemühen.

Durch die künstlich gezüchtete Wertüberschätzung des Lehrlings ist es nur geradezu selbstverständlich, daß der „Herr Bua“ aufgefordert wird, sich wie ein Erwachsener zu benehmen, und das in einer Weise, die ihm keineswegs zusteht und bei der er noch gar nicht reifemäßig mitkommt..,

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