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Digital In Arbeit

Mit 40 zum alten Eisen

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Mit Erstaunen müssen viele Frauen ab 35 Jahren feststellen, daß sie eigentlich schon zu alt für einen beruflichen Neuanfang sind. Dies zeigt eine Studie über Langzeitarbeitslose.

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Mit Erstaunen müssen viele Frauen ab 35 Jahren feststellen, daß sie eigentlich schon zu alt für einen beruflichen Neuanfang sind. Dies zeigt eine Studie über Langzeitarbeitslose.

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Mir hab'n sich eigentlich etwas Jüngeres vorgestellt“, das bekommen häufig jene bei der Stellensuche zu hören, die nicht mehr gängigen Vorstellungen von Leistungsfähigkeit entsprechen. Es ist auch der Titel der Nummer 25 der „Forschungsberichte aus Sozial-und Arbeitsmarktpolitik“.

Ab welchem Alter einem das passieren kann? Diese im Auftrag des Arbeits- und Sozialministeriums zwischen Herbst 1987 und Frühjahr 1988 durchgeführte Erhebung über die Situation älterer Arbeitsloser ergab, daß die Altersgrenze sehr niedrig liegt: Arbeitslose Männer haben ab dem 40. Lebensjahr relativ schlechte Chancen, wieder in das Erwerbsleben einzusteigen und Frauen sogar ab 35 JahrenI Beachtlich.

Ein Blick in die Statistik zeigt, daß die Arbeitslosenrate der über 40jährigen eher unter dem Durchschnitt Hegt. Das ist vor allem auf zwei Ursachen zurückzuführen: Ältere -Mitarbeiter sind meist arbeitsrechtlich relativ gut abgesichert. Andererseits sind sie aber oft einem starken Druck zur Früh-pensionierung ausgesetzt.

Worin besteht dann aber das Problem der Arbeitslosigkeit bei älteren Jahrgängen, wenn es nicht die Zahl der Betroffenen ist? Es sind die Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung für jene, die ohne Arbeit dastehen. Hier geben Zahlen Auskunft: „Je älter Arbeitslose sind, desto länger dauert ihre Arbeitslosigkeit; während die Verweildauer im Gesamtschnitt 105 Tage beträgt.. .,sind40- bis 49jährige durchschnittlich bereits 132,5 Tage, 50-bis 54jährige 141Tage, und über 60jährige 179 Tage arbeitslos.“

Frauen sind in besonderem Maß von Wiedereinstiegsproblemen betroffen. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Lohn- und Berufsgruppe hat jedoch keinen Einfluß auf die Vermittlungsfähigkeit. „So finden Bezieher höherer Einkommen nicht leichter wieder eine Beschäftigung als die mit niederem Einkommen“, faßt die Studie zusammen.

Zahlen spiegeln aber keineswegs wider, welche Sorgen und Probleme die betroffenen Menschen bedrängen. Wie belastend langanhaltende Arbeitslosigkeit ist, haben die Autoren der Studie anhand von ausführlichen Gesprächen mit Betrof-' fenen zu erfassen versucht.

Zunächst einmal: Aus welchen Gründen wurden die Befragten arbeitslos? Am häufigsten wurde Krankenstand als Kündigungsgrund genannt und an zweiter Stelle rangierte Verjüngung der Belegschaft als Motiv (oft bei einem Wechsel der Geschäftsführung).

Aber es gibt auch Fälle, in denen jemand selbst gekündigt hatte, dann aber keine Arbeit finden konnte. „Ich habe mir das Arbeitsuchen damals etwas leichter vorgestellt“, ist eine kennzeichnende Erfahrung dieser Personengruppe, die immerhin eine Fachfrau für Lebensmittelvertrieb an Großküchen, eine Chefsekretärin mit vier Fremdsprachen oder einen Maschinenschlossermeister mit langjähriger Erfahrung als Betriebsleiter (alle zwischen 40 und 44 Jahren) umfaßt. „Vor einigen Jahren noch durchaus üblich, scheint der Wunsch nach einem Laufbahnwechsel spätestens ab 40 Jahren ein riskantes Unterfangen zu sein“, meinen die Autoren.

Und die Erfahrungen bei der Stellenbewerbung? Sind durchwegs deprimierend. Kaum daß man sein Alter sagt, erlischt das Interesse. Man bekommt gar nicht mehr die Möglichkeit, seine beruflichen Erfahrungen und Qualitäten überhaupt ins Gespräch zu bringen. Das relativiert natürlich auch den Wert von Kursen, die Arbeitslose zur Steigerung ihrer Qualifikation besuchen. Man schafft es doch nie, gerade das zu können, was die Unternehmen erwarten. Und diese wollen sich bei älteren Bewerbern möglichst jede Einschulung ersparen.

Womit hätte man aber am ehesten Chancen? „Die wichtigste Eigenschaft ist, daß man pflegeleicht ist“, resümiert jemand seine Erfahrungen. Dazu die Autoren der Studie: „Ausschlaggebend für das Merkmal .qualifiziert' sind... umfassende Verfügbarkeit, enorme Leistungsbereitschaft, Angepaßtheit, Wohlverhalten, Arbeitsdisziplin, Integrationsfähigkeit und das alles zu Kollektivvertragslöhnen. “

Ein enormes Handicap sind zweifellos die hohen „ Anschaffung sko-sten“. Den Unternehmern sind vielfach die Lohnforderungen zu hoch. Und dabei nehmen vor allem ältere und qualifizierte Arbeitskräfte ohnedies hohe Lohneinbußen nach längerer Arbeitslosigkeit in Kauf. Einer Wiener Untersuchung zufolge betragen sie durchschnittlich ein Drittel des ursprüngüchenEinkommens.

„Die Chance, eine Stelle zu kriegen, ist Nullkomma josef. Ichhab mich jetzt schon damit abgefunden, denn sobald man das Alter sagt, ist man abgeschrieben. Man kann sich höchstens, damit man eine Beschäftigung hat, eine Therapie suchen“, stellte resignierend einer der Gesprächspartner fest.

Kommen Langzeitarbeitslose überhauptmit ihren Probleme halbwegs zurecht? Das läßt sich nicht allgemein beantworten. Am schwersten taten sich jene Personen, die zuletzt Hilfsarbeiten ausgeübt hatten und die allein im Haushalt leben. Mehr als die Hälfte von ihnen fühlen sieh zutiefst in ihrer Existenz bedroht oder sind schon im Abseits gelandet. Sie stecken in einer sozialen Talfahrt, ihre Arbeitsverhältnisse „verwildern“, bieten immer weniger Einkommen und Sicherheit.

Wer aus einer leitenden Position heraus arbeitslos wird, ist finanziell meist durch Ersparnisse von früher abgesichert. Diese Personen haben es vor allem schwer, ihr Selbstwerbgefühl in einer sozialen Umgebung, in der Erfolg zum Image gehört, wiederherzustellen. Unter angekratztem Selbstwertgefühl leiden mehr oder weniger aber alle - und viele unter Einsamkeit.

Es ist irgendwie beklemmend zu lesen, wieviel Resignation in den Äußerungen dieser Arbeitslosen zum Ausdruck kommt - vor allem, wenn man bedenkt, daß es sich um Personen handelt, die eigentlich im „besten Alter“ sind. Wohl ergreift diese Studie bewußt Partei und gibt daher keinen objektiven Überblick über die Arbeitsmarktsituation. Aber sie läßt schon eine Tendenz unseres Wirtschaftssystems erkennen: den Kult der Dynamik, der Höchstleistung, der Neuerung -Eigenschaften, die man vor allem der Jugend zutraut. Aber ist es nicht äußerst,bedenklich, wenn das dazu führt, daß man ab 35 oder 40 Jahren das Gefühl vermittelt bekommt, schon zum „alten Eisen“ zu gehören?

„ARBEIT SUCHEN AB 40*, Forachungsbe-richte au Sozial-und ArbestsmarktpoliukNr. 25, Herausgegeben von Ingrid Frassine und U e König im Auftrag de Bundes mini Stenum für Arbeit und Soziale.

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