Pflichtarbeit für Arbeitslose?

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Wer arbeitsfähig ist, soll nicht nur eine Chance zum Arbeiten erhalten, sondern diese auch wahrnehmen müssen.

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Wer arbeitsfähig ist, soll nicht nur eine Chance zum Arbeiten erhalten, sondern diese auch wahrnehmen müssen.

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Der ÖVP-Vorschlag, Arbeitslose für gemeinnützige Arbeiten einzusetzen, hat beim Koalitionspartner erwartungsgemäß zunächst keine Diskussionsbereitschaft gefunden. Die Sozialdemokraten wollen erst einmal die Schwarzarbeit stärker bekämpfen und glauben, daß im Bereich der Arbeitslosenversicherung in letzter Zeit schon genügend getan wurde.

Und doch ist eine sachliche Auseinandersetzung mit den keineswegs revolutionären Gedanken der ÖVP zu empfehlen. Dabei können unsere Politiker und Experten auf Erfahrungen zurückgreifen, die bereits in anderen Ländern wie Dänemark, Großbritannien und den Niederlanden reichlich gesammelt wurden.

Über die auch in Österreich inakzeptable Situation der Langzeitarbeitslosen bestehen keine Meinungsverschiedenheiten: Bei den Erwachsenen waren im abgelaufenen Jahr 43.000 Personen länger als ein Jahr ohne Beschäftigung. Rund ein Drittel dieser Langzeitarbeitslosen ist über 40 Jahre alt. Der überwiegende Teil der Betroffenen weist geringe Qualifikationen auf. Allein in Wien leben über 30.000 Menschen, die seit einem Jahr keine Arbeit mehr finden. Rechnet man die Familienmitglieder dazu, sind in der Bundeshauptstadt 100.000 Menschen von den schlimmen Folgen chronischer Beschäftigungslosigkeit betroffen.

Kernstück der ÖVP-Initiative ist der Gedanke, daß alle Arbeitsfähigen, die im Erwerbsalter stehen, nicht nur eine Chance zum Arbeiten erhalten, sondern diese auch wahrnehmen müssen. Ansonsten verlieren sie teilweise oder vollständig die vom Staat gewährte finanzielle Unterstützung. Das betrifft natürlich nicht das Arbeitslosengeld, das ja auf einem Versicherungsanspruch beruht. Beschäftigungslose, die jedoch - wie zum Beispiel Notstandshilfeempfänger - Leistungen vom Gemeinwesen bekommen, sollen eine Gegenleistung für das Gemeinwesen erbringen. Sie erhalten dadurch zugleich Gelegenheit, temporär in einem sicheren Umfeld Qualifikationen und Selbstvertrauen zu erwerben und so dem immer anspruchsvolleren Arbeitsmarkt besser zu entsprechen. Dies soll jedoch ausschließlich durch Arbeitsplätze beim Bund, den Ländern und Gemeinden, sowie bei gemeinnützigen Vereinen geschehen. Starthilfen wären durch das Arbeitsmarktservice zu geben. Auf bestehende Strukturen soll zurückgegriffen werden; eine neue Bürokratie ist nicht erforderlich und unerwünscht.

Hinter diesen Vorschlägen steht die Überzeugung, daß die Sozialpolitik zwei grundlegende Anforderungen zu erfüllen hat: Sie muß erstens dafür sorgen, daß niemand aus dem sozialen Netz herausfällt und - wo immer möglich - aus eigener Kraft wieder Anschluß an den allgemeinen Wohlstand findet. Die derzeitige Gesetzeslage deckt diese Forderung nicht vollständig ab. Die Armut wird größer, immer mehr Mitbürger geraten ins soziale Abseits.

Zweitens ist soziale Fairneß nicht allein gegenüber den Verlierern des ökonomischen Wandels, sondern auch gegenüber denjenigen, die mit ihren Beiträgen gesellschaftliche Solidarität finanzieren, ein wichtiges Postulat. Das bedeutet, daß Langzeitarbeitslose je nach ihrer Fähigkeit (nicht unbedingt nach ihrer Ausbildung und bisherigen Berufslaufbahn) in den Arbeitsprozeß einzugliedern sind.

Das dänische Modell bietet dafür interessante Anhaltspunkte: Die Tätigkeit der Arbeitsämter konzentriert sich weniger auf das Angebot der Arbeitsuchenden, sondern auf die Nachfrage an Arbeitskräften. Es geht nicht mehr allein darum, Verkäuferinnen an Supermärkte, Automechaniker an Werkstätten und Absolventen der Publizistik an Zeitungen zu vermitteln. Wenn das möglich ist, umso besser. Ist aber der Arbeitsmarkt in diesen Sparten gesättigt, dann muß es zumutbar sein, die Beschäftigungssuchenden dort einzusetzen, wo Nachfrage besteht. Das bedeutet, daß das Arbeitsmarktservice auch entsprechende Umschulungsmöglichkeiten anbietet. Dieser Sektor wird in Dänemark und anderen Ländern besonders ernstgenommen. Wer aber Umschulung in einen neuen Beruf ablehnt, kann nicht mehr auf die volle Solidarität der Gemeinschaft rechnen.

In Österreich sind erst bescheidene Ansätze in diese Richtung erkennbar. In der Frage der Zumutbarkeit sind wir noch weit von dem dänischen Weg entfernt, der in der Bevölkerung - wie die Bestätigung der sozialdemokratischen Regierung Rasmussen bei den letzten Wahlen zeigt - eine breite Zustimmung findet. Ohne Zweifel spielen Mentalitätsunterschiede zwischen der individuellen Anpassungsbereitschaft der Skandinavier und dem Glauben an die Allmacht des Staates in Österreich eine wesentliche Rolle. Wie sehr es mitunter an Bereitschaft fehlt, sein Schicksal in eigene Hände zu nehmen, zeigt der mißlungene Versuch, Arbeitslose im Gastgewerbe aus Wien und Niederösterreich in die westlichen Bundesländer zu vermitteln. Das Arbeitsmarktservice kommentierte den Flop mit der seltsamen Bemerkung, es hätte für ein Hotel oder eine Gaststätte ohnedies wenig Sinn, Kräfte zu beschäftigen, die nicht arbeiten wollen.

Dies führt zu der Frage, ob die geringe Differenz zwischen Notstandshilfe einschließlich der damit verbundenen Zulagen und Ermäßigungen einerseits und den Mindestlöhnen andererseits genügend Anreiz für den freiwilligen Wiedereintritt in die Arbeitswelt bietet. Dieses Problem wird auch im Ausland - wie etwa in Frankreich - lebhaft diskutiert.

Leider bleibt dabei oft die Sachlichkeit auf der Strecke. Die Kontrahenten - Befürworter und Gegner einer verschärften Zumutbarkeit - werfen sich Extrembeispiele an den Kopf. Natürlich begegnen wir alle immer wieder Menschen, die durch Verlust des Arbeitsplatzes in unverschuldete Not gelangt sind. Doch ebenso sind uns Menschen bekannt, die es vorziehen, die Notstandshilfe mit Schwarzarbeit zu verbinden, und damit besser aussteigen als jemand, der in einem weniger qualifizierten Beruf arbeitet. Wer nicht diese beiden Seiten sieht, hat ein ausgeprägtes selektives Wahrnehmungsvermögen.

Erweiterte Zumutbarkeit ist keinesfalls nur wirtschaftlich gerechtfertigt, sondern auch ein sozialpolitisches Anliegen. Denn wie kommen hart arbeitende Menschen mit geringem Einkommen dazu, Arbeitsunwillige - und das sind nach den Erfahrungen der Wirtschaft gar nicht so wenige - über Lohnsteuer und hohe Lohnnebenkosten zu finanzieren? Und liegt es nicht auch im Interesse der ehrlich Beschäftigung suchenden Langzeitarbeitslosen, daß sie nicht mit den Arbeitsunwilligen in einen Topf geworfen werden? Und sind letzten Endes nicht ebenso die Arbeitsunlustigen Verlierer, wenn sie - verführt auch durch das längst überholte, weil klassenkämpferische, böse Wort vom "Arbeitsleid" - auf Freude und Selbstbestätigung des Berufslebens verzichten? Wer sich diesen Fragen stellt, wird die Vorschläge der ÖVP nicht von vornherein als indiskutabel ablehnen.

Der Autor ist freier Publizist.

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