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Weihnachtsmänner haben ausgedient

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Alleingang oder Einschwenken? Über diese Frage mögen sich die innenpolitischen Auguren den Kopf zerbrechen. Feststeht, daß Dr. Prader den ÖAAB ganz unvermittelt auf die uneingeschränkte Zustimmung zum sozialistischen Gesetzentwurf über die erweiterte Abfertigung festlegte, ja für seinen Bund sogar noch die ideelle Vaterschaft für dieses Gesetz in Anspruch nahm, obwohl die Gesamtpartei bisher nur eine Teilzustimmung befürwortete. Klubobmann Koren bemühte sich sofort, den Verdacht eines Gegensatzes zwischen Prader- und Parteilinie herunterzuspielen, indem er die Möglichkeit eines Ja der Gesamtpartei andeutete — wohl nicht zuletzt deswegen, um nicht auch die übrigen Bünde auf den Geschmack von Alleingängen zu bringen, etwa den Bauernbund hellhöriger für Kreiskys Sirenentöne zu machen.

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Alleingang oder Einschwenken? Über diese Frage mögen sich die innenpolitischen Auguren den Kopf zerbrechen. Feststeht, daß Dr. Prader den ÖAAB ganz unvermittelt auf die uneingeschränkte Zustimmung zum sozialistischen Gesetzentwurf über die erweiterte Abfertigung festlegte, ja für seinen Bund sogar noch die ideelle Vaterschaft für dieses Gesetz in Anspruch nahm, obwohl die Gesamtpartei bisher nur eine Teilzustimmung befürwortete. Klubobmann Koren bemühte sich sofort, den Verdacht eines Gegensatzes zwischen Prader- und Parteilinie herunterzuspielen, indem er die Möglichkeit eines Ja der Gesamtpartei andeutete — wohl nicht zuletzt deswegen, um nicht auch die übrigen Bünde auf den Geschmack von Alleingängen zu bringen, etwa den Bauernbund hellhöriger für Kreiskys Sirenentöne zu machen.

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Freilich spricht rein taktisch viel für Praders Vorstoß: Der Appetit auf Neuwahlen konnte zum Heißhunger werden, als „Absprungbasis” wäre der SFÖ nichts willkommener als ein ÖVP-Nein zu einem Sozialgesetz — und die Volkspartei muß sich daher fragen, ob sie ihm diesen Gefallen erweisen soll, noch dazu bei einem finanziell eher leichtgewichtigen Gesetz, das überdies durch zahlreiche Kollektivverträge und Betriebsvereinbarungen ganz oder teilweise vorweggenommen ist.

Worum geht es eigentlich? Der erste Eindruck ist, es werde hier mit Kanonen auf Spatzen geschossen, denn der Mehraufwand für zusätzliche Abfertigungen soll unter einem Prozent der gesamtösterredchdschen Lohnsumme bleiben; vorgesehen ist, daß die Abfertigung künftig auch bei gewissen Fällen der Selbstkündigung fällig werde, nämlich bei Erreichung des Pensionsalters und für Frauen bei Heirat beziehungsweise Geburt eines Kindes.

Nun will die ÖVP der Pensionsab- fertigung zustimmen;’ obwohl diese der große Brocken ist (laut Arbeiter- kammer 250 Millionen Schilling im Jahre, laut Bundeswirtschaftskammer sogar 919 Millionen Schilling), wogegen die bisher abgelehnte Hei- rats- und Geburtsabfertigung nur 100 Millionen Schilling nach der einen, 224 Millionen Schilling nach der anderen Berechnung betragen soll. Wäre dieser kleinste Happen eine Kraftprobe wert?

Ob freilich die Berechnungen stimmen, steht auf einem anderen Blatt; schon daß die Ergebnisse so weit voneinander abweichen, zeigt, daß entweder flüchtig gerechnet wurde oder der Unsicherheitsfaktor groß ist. Erfahrungsgemäß kosten Sozialleistungen immer mehr, als ursprünglich errechnet wird. Das wird voraussichtlich gerade bei der Heirats- und Geburtsabfertigung stimmen: ihre Einführung wird nämlich die Zahl der Kündigungen sprunghaft anstedgen lassen, so daß die augenblicklichen Verhältnisse keine brauchbare Berechnungsgrundlage darsteilen; die Zahl der Pensionsreifen ist hingegen abzusehen und kaum auswertbar.

Ebenso verteilen sich die Ruhestandsanwärter gleichmäßig auf die gesamte Wirtschaft, wogegen die Heirats- und Geburtsabfertigung einseitig die Zweige mit hoher Frauenbeschäftigung belastet, was zumal für Kleinbetriebe zu einem ernsten finanziellen Problem werden kann. Ein Lastenausgleich durch einen eigenen Abfertigungsfonds, wie heute verschiedentlich vorgeschlagen wird, ist freilich auch eine fragwürdige Sache, bedeutet ein solcher doch die Schaffung einer neuen Bürokratie oder wenigstens die Ausweitung einer bestehenden, was mit vidibeschworenen Verwaltungsvereinfachung kaum in Einklang zu bringen ist.

„System Weihnachtsmann” ist antisozial

Nun ist die Sozialpolitik auch, aber nicht nur eine Sache des Rechen- stiftes. Ist eine Maßnahme notwendig, entspricht sie einem echten Bedürfnis, so muß sie uns ein Opfer wert sein; anderseits sollte eine halbgare Maßnahme mit ungewissen

Folgen auch dann unterbleiben, wenn sie „billig” ist.

Wie steht es in unserem Falle? Ein Bedürfnis ist zweifellos vorhanden: Junge Leute, die einen Haushalt gründen oder ein Kind bekommen, können, zumal wenn sich die Frau aus dem Berufsleben zurückzieht, einen zusätzlichen Betrag immer brauchen.

Aber beweist das die Notwendigkeit? Grundsätzlich ist jede Sozialmaßnahme notwendig, es gibt so gut wie keine, für die kein Bedarf vorhanden wäre. Wird mit ihr gar eine wahlpolitisch wichtige Zielgruppe angesprochen (und das sind junge Ehepaare zweifellos), so gibt es bald keinen Politiker, der an der Notwendigkeit, ja Dringlichkeit zu zweifeln wagte; messen wir mit dieser Elle, so scheitern wir schnell an der Un- ermeßlichkeit der Notwendigkeiten. Neue Sozialbedürfnisse sind rasch gefunden und unumschränkt vermehrbar — sehr dm Gegensatz zu den dafür- verf ü gbaren - -Mi ttein. Eine vefantw&rtungsbdSrußte’ n ‘ ‘SoZTäTjboli- t& zeWhÜet’- sich- ‘■9äft?r %icht: durch besonderen Einfallsreichtum aus, sondern durch eine strenge Auswahl aus der Unzahl der Wünsche, durch Beschränkung auf einige wichtige Ziele, durch Vermeiden einer Verzettelung der knappen Mittel — kurz, sie ist ungefähr das Gegenteil dessen, was heute in Österreich unter Sozialpolitik verstanden wird.

Solche Überlegungen lassen sich zugegebenermaßen schwer in mundgerechte Schlagworte ummünzien, um so mehr als eine zielstrebige Aufklärungsarbeit in dieser Hinsicht ziemlich vernachlässigt wurde. Eine verantwortungsbewußte Sozialpolitik müßte freilich von beiden Großparteien getragen werden, denn wenn die eine Partei es nicht läßt, mit immer neuen Einfällen den Weihnachtsmann zu spielen, wird sich die andere mit Recht davor hüten, in die Buhmannrolle gedrängt zu werden. Das Opfer dieser Lizitation ist das österreichische Volk.

Die einzige echte Gefahr, die es heute für den österreichischen Sozialstaat gibt, ist gerade das „System Weihnachtsmann”, das Sich-beliebt- machen-Wollen der Parteien mit kleinen Geschenken für alle Seiten, obwohl kaum Geld da ist, das bestehende Sozialgebäude einigermaßen instand zu halten, geschweige denn dort auszubauen, wo ein zwingender Bedarf besteht. Was sich da heute biedermännisch als warmherzige soziale Umsicht, die an alle Möglichkeiten denkt, gebärdet, ist in Wirklichkeit ein zynisches Spiel mit dem Sozialstaate, eine eiskalte Antisozialpolitik.

Was sollen all die niedlichen Sozial - päckchen auf dem Gabentisch einer freigiebigen Regierung, solange so wichtige und unerläßliche Sozialaufgaben wie die Erneuerung und Erweiterung der Krankenhäuser, die Schaffung von Alterheimen usw. nicht oder nur ganz unzulänglich erfüllt sind. Gewiß sind diese politisch weniger ergiebig: mit dem Versprechen einer Abfertigung im Heiratsfalle lassen sich mehr Wählerstimmen gewinnen als mit der Einrichtung einer Herzintensivstation. Aber wenn Sozialpolitik ständig als Wahlpolitik mißbraucht wird, ist es zum Sozialbankrott nicht weit.

Im Lichte dieser grundsätzlichen Überlegungen gewinnt auch die Abfertigungsfrage Bedeutung, mag sie auch für sich genommen als Nebensächlichkeit erscheinen; aber

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nätronalen Vergleich einen weit (überdurchschnittlichen Sozialaufwand hat, so sind nicht zuletzt die vielen kleinen, an sich unbedeutenden Maßnahmen schuld, die so im Laufe der Zeit durchgeführt wurden.

Zweckfremde Belastung

Daß ‘die Abfertigungen den Staatshaushalt nicht unmittelbar belasten, sondern von den Unternehmern zu tragen sind, macht im Grundsätzlichen keinen Unterschied; denn auch die Tatsache, daß Österreich heute mit seinen Lohnnebenkosten von mehr als 70 Prozent der Bruttolöhne zusammen mit Italien an der Spitze aller Industrieländer Hegt, trifft uns alle. Unsere Baremkom- men liegen zwar noch immer merklich unter denen etwa in Deutschland oder in der Schweiz, obwohl die Gesamtlohnkosten, welche die österreichischen Unternehmer zu tragen haben, oft schon höher als in den genannten Ländern sind.

Niedrige Barlöhne sind die unausweichliche Folge, der netten kleinen Geschenke: der Weihnachtsmann kassiert schon wieder für das, was er uns gibt, wenn auch unter anderem Titel. Sein Auftreten ist um so unzeitgemäßer, als heute die Wirtschaft besser ihre Mittel für die große un- erläßHche Sozialaufgabe des Umweltschutzes einsetzen sollte.

Den Brautleuten und Jungeitem wäre aber mit höheren Löhnen auf die Dauer bestimmt mehr geholfen als mit gelegentlichen einmaUgen Sonderzuwendungen. Das sind die Alternativen, die bedacht werden müssen, ehe man neue Sozialleistungen, so erfreulich sie auch für sich genommen sein mögen, eilfertig bejaht.

Was darüber hinaus die Abfertigung im besonderen noch kennzeichnet, ist ihre zunehmende Zweckentfremdung, ihre Belastung mit Aufgaben, die sie sinnvoll gar nicht erfüllen kann. Sie ist ein Kind der Wirtschaftskrise und sollte damals den unzähligen schuldlos Entlassenen die Suche nach einem neuen Arbeitsplatz einigermaßen erleichtern. Sie wurde auch im Zeitalter der Vollbeschäftigung bedbehalten, mit vollem Recht übrigens, denn die wenigen Entlas senen trifft heute ihr Schicksal in der Wohlstandsumwelt um so härter, weshalb sie um so notwendiger eine Überbrückungshilfe benötigen. Infolge der Vollbeschäftigung hat aber…die. Masse der…Arbeitnehmer, den ursprünglichen Zweck der Abfertigung aus dem Auge verloren: sie versteht sie nicht mehr als Notgroschen, sondern als einen auf Grund eines längeren Dienstverhältnisses erworbenen Anspruch; wer aus diesem Arbeitsleben ausscheidet, möchte daher endlich „seine” Abfertigung bekommen.

Ob nichtig oder falsch, hier hat man es mit einer „gewachsenen” Auffassung zu tun, an der heute kaum noch etwas zu ändern ist. Daß es nicht bei der Abfertigung im Pensionie- rungsfalle bleiben wird, Hegt auf der Hand. Einmal als Rechtsanspruch aus einem langfristigen Dienstverhältnis anerkannt, wird sie wahr- scheinHch früher oder später bei jeder Selbstkündigung nach einer höheren Zahl von Dienstjahren, etwa 15 oder 20, gefordert werden; eine solche Forderung wäre übrigens gerade heutzutage nicht ganz unbegründet, weil angesichts des’allgemeinen Strukturwandels der Betriebe die Arbeitsbedingungen oft zum Nachteil der älteren Kräfte (die vielleicht anderswo noch in gewohnter Weise eingesetzt werden könnten) verändert und diese auf unbefriedigende „Abstellgeleise” geschoben werden; die Abfertigung aus diesem Grund würde übrigens voraussichtlich selten genug in Anspruch genommen, um wirtschaftlich unbedenkHch zu sein, denn die ältere Kraft wechselt nicht ohne triftigen Grund den Arbeitsplatz.

Schlag gegen die Frauenemanzipation

Damit wäre auch den Frauen mit wirklich berücksdchtigungswerten Ansprüchen gedient, nämlich jenen Frauen, die verhältnismäßig spät heiraten oder Kinder beikommen und dann vor der Wahl stehen, entweder weiterzuanbeiten oder auf die in langen Jahren erworbenen Ansprüche gänzlich zu verzichten. Vermutlich wäre daher der ÖAAB besser beraten, diese Art der erweiterten Abfertigung an SteUe der Hed- rats- und Geburtsabfertigung zu befürworten, um einerseits eine Verbesserung zu bringen und nicht in den Geruch zu kommen, weniger sozialen Eifer als die Sozialisten an den Tag zu legen.

Denn die Abfertigung in jedem Fall von Heirat und Geburt eines Kindes, wie sie der neue Gesetzentwurf vorsieht, ist aus vielerlei Gründen bedenklich. Zunächst ist sie völlig systemwidrig, da sie sich nicht aus dem Dienstverhältnis ableiten läßt; für solche Leistungen (falls man sie für notwendig erachtet) wäre eben doch nur ein staatlicher Fonds zuständig.

Diese Systemwidrigkeit muß zwangsläufig unerfreuliche Folgen haben: sie ist ein Schlag gegen das in Österreich ohnehin noch zarte Pflänzchen der Frauenemanzipation, denn die Unternehmen werden im Hinblick auf die Abfertigung noch zögernder jüngere Frauen an verantwortungsvolle und gutbezahlte Posten stellen; damit wird gerade den arbeitsamen und tüchtigen Frauen geschadet, was besonders gegen jene ein Unrecht darstellt, die gegen ihren Willen unverheiratet oder kinderlos bleiben und nie in den Genuß der vorzeitigen Abfertigung kommen. Hier entsteht eine Ungleichheit vor dem Gesetz, die schwerer wiegt als die heute gern erwähnte Tatsache, daß der Mann nie von dieser Art Abfertigung ausgeschlossen ist, denn aller Emanzipation zum Trotz sind die RoUe der Frau und die des Mannes gerade in der Familie doch verschieden. Überdies fördert, die Heirats- und Geburtsabfertigung den häufigen Arbeitsplatzwechsel, schon heute eine unerfreuliche Tatsache; Denn welche Frau wird sich die Abfertigung entgehen lassen, auch wenn sie weiterzuarbeiten gedenkt, zumal sie in Zeiten des Arbeitskräftemangels sehr schnell wieder einen anderen Posten findet?

Das kann auch keine gesetzHche Bestimmung, welche die Inanspruchnahme der Abfertigung von einem endgültigen Ausscheiden aus dem Berufsleben abhängig macht, ernstlich verhindern. Welcher Apparat wäre vonnöten, um das zu überprüfen! Und will man, zumal in Zeiten des Arbeitskräftemangels, arbeitsfähige und arbeitswdlHge Frauen zeit ihres weiteren Lebens vom Berufsleben femhalten, nur weil sie einmal eine Abfertigung in Anspruch nahmen? Solche Bestimmungen wären auf die Dauer nicht durchsetzbar, schon deshalb nicht, weil sie gerade den wohlhabenderen FamiHen, die sich ein dauerndes Ausscheiden der Frau aus dem Berufsleben leisten können, zugute kämen, was sich kaum mit den jüngsten Bestrebungen nach noch mehr sozialer Gerechtigkeit vereinbaren ließe.

Was aber geschieht, wenn man diese Einschränkungen fallen läßt, mit einer geschiedenen Frau, die wieder berufstätig wurde und nochmals heiratet? Kassiert sie abermals? Sehr leicht kann auf diese Weise aus einer angeblich familienfördernden Maßnahme eine Scheidungsförderung werden.

Die Heirats- und Geburtenabfertigung ist ein Musterbeispiel dafür, wohin eine völlig systemlose Sozialpolitik führt, wie sie zum Mißbrauch verleitet und soziales Unrecht schafft. Dennoch wird sie, dank dem ‘bei uns herrschenden „System Weihnachtsmann”, sehr wahrscheinlich beschlossen werden.

Die Ansicht, daß jede Sozialmaßnahme, gleich welcher Art, gut sei, ist für den hochentwickelten, modernen Sozialstaat unbrauchbar, ja schädlich. Das „System Weihnachtsmann” soUte endlich durch eine wohlüberlegte, langfristige Sozialplanung ersetzt werden, die sich an den echten sozialen Bedürfnissen, nicht an der poHtischen Opportunität ausrichtet. Eine Utopie im Sozialstaat Österreich?

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