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Digital In Arbeit

Nach der Werkbank auf die Schulbank

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Wer künftig nicht ständig versucht, sein Wissen auf dem jeweils letzten Stand zu halten, verliert dramatisch an Wettbewerbsfähigkeit.

Die Mahnung kommt nicht ohne Grund in diesem Frühjahr. Die EU hat 1996 zum Europäischen Jahr der allgemeinen und Berufsbildung erklärt und hebt dabei besonders das lebenslange Lernen (oder wie es offiziell heißt: das lebensbegleitende Lernen) hervor. Denn Europas Kapital liegt in seinen humanen Ressourcen. Der Kampf gegen die strukturelle Arbeitslosigkeit ist nur zu gewinnen, wenn angesichts einer ständigen Globalisierung der Wirtschaftsbeziehungen und eines immer rascheren technischen Fortschritts das traditionell hohe Bildungsniveau in unseren Breiten bewahrt wird. Nicht nur die Qualifizierung am Anfang eines Berufslebens muß den heutigen Erfordernissen angepaßt werden; es geht ebenso darum, mit der Entwicklung ein Berufsleben lang Schritt zu halten.

Ein Konstrukteur stand noch vor zehn bis 15 Jahren am Reißbrett und benützte einen Rechenschieber; heute arbeitet er an einer CAD-Workstation. Für die Chefsekretärin wurde die alte Schreibstube zur Zentrale für Office-Management mit PC oder Computer-Terminal. Vom Schlosser im Maschinen- oder Stahlbau erwartet man heute weit mehr als die Beherrschung seines Handwerks. Im Weißbuch der EU-Kommission vom November vergangenen Jahres wird darauf hingewiesen, daß im Jahre 2000 (also in knapp fünf Jahren!) rund 80 Prozent der heute genutzten Technologien veraltet sein werden.

Dem müssen wir auch bei uns in Österreich Rechnung tragen. Mit der von den Sozialpartnern, vor allem auch den Gewerkschaften, geforderten besseren Qualifizierung der in das Berufsleben eintretenden jungen Menschen ist es somit allein nicht getan. Im Sinne der von der EU für heuer vorgesehenen Aktivitäten für lebensbegleitendes Lernen haben vier Bundesministerien ein gemeinsames Programm entworfen, das seit Jänner mit zahlreichen Informationsveranstaltungen, Symposien und Enqueten, mit Beratungsstellen für die Erwach-

senenbildung in die Praxis umgesetzt werden soll. Die praktische Arbeit geschieht in den Bildungsinstituten der Sozialpartner, in den Volksschulen, in regionalen Bildungszentren und in Seminaren öffentlicher und privater Stellen. Auch werden derzeit schriftliche (und teilweise elektronisch unterstützte) Materialien zum Selbststudium ausgearbeitet. Die Industriellenvereinigung hat als Ergänzung zur beschäftigungspolitischen Offensive der Regierung vor kurzem ein Abkommen der Sozialpartner für Aus-und Weiterbildung vorgeschlagen.

Insgesamt 1,2 Millionen Männer und Frauen haben 1992 (neuere Zahlen liegen leider nicht vor) an organisierter Weiterbildung teilgenommen;

das würde besagen, daß etwa jeder dritte Erwerbstätige davon beruflichen Erfolg erhofft. Aber'schon gibt es Einschränkungen: Am meisten nützen Führungskräfte die Möglichkeiten der Weiterbildung, doch mit geringerem Bildungsniveau nimmt auch die Beteiligung ab. Es sollen aber nicht nur die ohnedies gut geschulten Erwerbstätigen weitergebildet werden, sondern alle, auch die bisher als Hilfskräfte eingesetzten Arbeiter und die Arbeitslosen.

Hier stellt sich auch die Frage, ob man nicht Langzeitarbeitslosen den Besuch von Umschulungs- oder Weiterbildungskursen zur Pflicht machen sollte. Junge Menschen zwischen 20 und 35, höchstens 40 Jahren besuchen verhältnismäßig eifrig Kurse der Wirtschafts- und der Berufsförderungsinstitute, bei den höheren Altersgruppen fällt die Beteiligung rasch ab. Erfreulich immerhin, daß der Anteil der Frauen bei Fortbildungskursen von Jahr zu Jahr spürbar zunimmt.

Woran liegt es, daß noch immer zu wenig Berufstätige bereit sind, weiterhin - ein Leben lang! - zu lernen? Die einen wollen nach acht Stunden an der Werkbank nicht noch abends einen Kurs besuchen, andere sagen, sie hätten keine Zeit für mehrtägige Seminare oder sie würden ihre freie Zeit besser der Familie widmen. Wobei in manchen Fällen auch die Kosten von Seminaren einen Hinderungsgrund darstellen. Aber da gibt es finanzielle Unterstützung, besonders von den Unternehmen sowie im Rahmen des Arbeitsmarktservice oder aus dem Europäischen Sozialfonds. Hinter all den Absagen steht leider oft die Auffassung, daß man seinen Beruf ohnedies beherrsche, also eigentlich nichts mehr dazulernen brauche.

Die Forderung der Gewerkschaften nach einem einwöchigen Bildungsurlaub im Jahr auf Kosten der Arbeitgeber stößt bei diesen freilich auf strikte Ablehnung. Das würde die Lohnnebenkosten wieder erhöhen. Das Nein zu dieser Gewerkschaftsforderung geht auch von der Überlegung aus, daß die ständige Weiterbildung ja nicht nur im Interesse der Betriebe liegt, sondern in erster Linie ein Anliegen der Berufstätigen sein muß. Bei fünf Wochen Mindesturlaub könnte die Weiterbildung somit in einer Ur-

laubszeit (wie auch in Abendkursen) betrieben werden. Die Industriellenvereinigung hat darauf hingewiesen, daß speziell der Beruf der Lehrer einem tiefgreifenden Wandel ausgesetzt ist, und daß zur Fort- und Weiterbildung der Lehrer auch die Ferienzeiten herangezogen werden sollten. Bei den Berufsschulen ist die ständige Weiterbildung der Lehrkräfte vor allem in den technischen und naturwissenschaftlichen Fächern unerläßlich; die Gefahr, daß Lehrer Wissen vermitteln, das zu ihrer eigenen Ausbildungszeit aktuell war und nach mehrjähriger Berufstätigkeit weit überholt ist, läßt sich nicht leugnen.

SPO-Bundesge-schäftsführerin Brigitte Ederer regte an, statt Überstundenbezahlung ein Zeitkonto für einen mehrmonatigen Bildungsurlaub anzulegen. Daß dies nur für Mitarbeiter mit mittlerem oder höherem Einkommen gelten soll, widerspricht freilich der Erfahrung, wonach gerade für Arbeitnehmer mit geringen Vorkenntnissen die Weiterbildung notwendig ist.

Wichtig scheint jetzt vor allem zu sein, den schon seit Jahrzehnten im Berufsleben tätigen Menschen, den nach der Kinderpause wieder an einen Arbeitsplatz zurückkehrenden Frauen und natürlich auch den Arbeitslosen die Einsicht zu vermitteln, daß lebensbegleitendes Lernen heute unerläßlich geworden ist, eine Notwendigkeit, der man auch Zeit und sogar Geld opfern muß. Das Wirtschaftsministerium hält es sogar für angezeigt, das Prinzip des „Bildungs-Selbstbehaltes" zu fördern.

Der alte Spruch „Wissen ist Macht" hat sich zur Erkenntnis gewandelt „Wissen ist Zukunft". Der Autor ist freier Journalist

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