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Wasserkraft, Strom und Licht

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Obgleich die Wasserkraft in Form der verschiedenen Wasserräder die älteste mechanische Energiequelle der Menschheit ist — trieb sie doch in dieser Form die Mühlen und Schmieden der Alpentäler —, so kam der ganze industrielle Aufschwung des verflossenen Jahrhunderts doch erst mit der Entdeckung der Dampfmaschine durch James Watt im Jahre 1767 in Fluß. 1866 baute Werner v. Siemens die erste brauchbare Dynamomaschine, 1879 erfindet Edison die Vakuumglühlampe„ 1891 gelingt erstmalig die elektrische Kraftübertragung mittels hochgespanntem Drehstrom von 15.000 Volt über eine Strecke von 178 Kilometer zwischen Lauffen am Neckar und Frankfurt am Main mit 300 PS und einem Wirkungsgrad von 75 Prozent, womit der Siegeslauf der Elektroenergiewirtschaft beginnt. Weitere Erfindungen, wie die der Francisturbine (1849) durch den gleichnamigen Amerikaner, 1884 der Pelton-turbine und 1912 die revolutionierende Entdeckung des Österreichers Kaplan, der mit seiner raschlaufenden Wasserturbine die ideale Maschine für den direkten Antrieb elektrischer Generatoren in Niederdruckwerken liefert, sind Marksteine auf dem Gebiete des Wasserkraftmaschnenbaues Auf dem Sektor der Wärmetechnik erfindet 1883 der Schwede de Laval die Dampfturbine, ein Jahr später der Engländer Parson die Überdruckturbine. 1897 wird in der Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg der von dem Deutschen Diesel erfundene erste Dieselmotor gebaut und eröffnet neue Möglichkeiten auf dem Gebiete der öl-energiewirtschaft.

Ab 1882 entstehen zunächst Blockstationen und später Kraftwerke in den einzelnen Städten zur Befriedigung des elektrischen Energiebedarfes, der vorerst zur Beleuchtung dient. In Österreich baut 1887 Bad Gastein eine Hydrozentrale mit einer 130-PS-Turbine und vier Gleichstromgeneratoren, 1888 Innsbruck das Mühlauerwerk mit zwei Wasserturbinen zu je 150 PS. In Wien wird 1889 in der Neubad-gasse das erste Elektrizitätswerk mit zwei Dampfmaschinen zu je 20Ö PS errichtet. 1898 geht der erste Turbogenerator von 1000 Kilowatt bei 1500 Umläufen je Minute in Betrieb. Um 1910 beginnt der Bau großer Uberlandzentralen auf den Braunkohlenfeldern Mitteldeutschlands, die die äußerst schlechte und nicht transportfähige kalorienarme Kohle an Ort und Stelle verfeuern, um in Hochspannungsfernleitungen die Energie in die Verbrauchszentren zu transportieren. Für Wien wird 1913 das Braunkohlenkraftwerk Ebenfurth bei Zil-lingsdorf gebaut. Damit beginnt der aus unserer heutigen Energiewirtschaft nicht mehr wegzudenkende Verbundbetrieb in kleinem Ausmaße.

Durch den Zerfall der Monarchie ihrer Kohlenvorräte beraubt, sieht sich die Republik Österreich gezwungen, Ersatz zu schaffen, und findet diesen in den reichlich vorhandenen ungenützten Wasserkräften aller Gattungen, vom Niederdruckflußkraftwerk mit den geringen Gefällen zwischen 2 bis 15 Meter, aber verhältnismäßig großen Wassermengen, über die Mitteh-druckanlagen mit Gefällsstufen bis z 50 Meter, bis zum Hochdruckwerk mit den größten Gefällsstufen. Österreich besitzt im Spullerseewerk in Vorarlberg mit 793 Meter das höchste Gefälle.

Der verstärkte Ausbau der Wasserkräfte nach dem ersten Weltkrieg in allen Staaten zwingt die kalorische Technik, aus Konkurrenzgründen die Wirtsdiaftlichkeit ihrer Anlagen weiterzutreiben. Es entstehen einerseits Hochdruckturbinen im Kraftwerksbau, in der Industrie erobert sich die Gegendruckturbine mit der Dampfveiwertung in der Textil- und Zuckerfabrik das Feld. Außerdem entstehen Fernheizwerke, in denen der Dampf nach teilweiser Arbeitsleistung in der Turbine Heizleistungen zugeführt wird.

Die sprunghafte Entwicklung des österreichischen Wasserkraftausbaues geht aus den folgenden Zahlen hervor. Hatten wir 1918 eine Gesamtleistung von 241.000 Kilowatt mit 895 Millionen erzeugten Kilowattstunden, so erzeugten die kalorischen Werke 870 Millionen Kilowattstunden, der hydraulische Anteil betrug 51 Prozent. Die Kopfquote erreichte damals 270 Kilowattstunden. 1937 lauteten die Zahlen 744.000 Kilowatt Wasserkraft mit 2362 Millionen Kilowattstunden, kalorisch 501 Millionen, insgesamt 2863 Millionen, bei einer Kopfquote von 427 Kilowattstunden. Der hydraulische Anteil stieg auf 82,5 Prozent. Demgegenüber betrug die Erzeugung der Schweiz im selben Jahr 6,8 Milliarden Kilowattstunden mit 1620 Kilowattstunden je Einwohner. Inzwischen wuchs im Betriebsjahr 1944/45 die schweizerische Erzeugung bis auf 9,65 Milliarden Kilowattstunden an, mit 2300 Kilowattstunden je Einwohner. Davon wurden 99,4 Prozent hydraulisch erzeugt. Die wichtigsten Verwendungsgruppen verteilen sich folgendermaßen: 27,7 Prozent auf Haushalt und Gewerbe, 26,4 Prozent auf die Industrie, 15,8 Prozent auf Elektrokessel und 8,6 Prozent auf -die Bahnen. Den Rest bestreiten die Verluste, Speicherpumpen sowie ein Stromexport in der Höhe von 884 Millionen Kilowattstunden. 1945 war Österreich bei einer Wasserkraftausbauleistung von 1,263.000 Kilowatt mit 3922 Millionen Kilowattstunden von insgesamt 4,5 Milliarden Kilowattstunden angelangt, trotzdem betrug die Kopfziffer noch nicht einmal ein Viertel des schweizerischen Wertes.

Wenn bei dem recht beträchtlichen Aus-baa seit 1918 bei ums derzeit ein arger Energiemangel besteht, so ist dies aus dem Wesen des Energieanfalles und Verbrauches zu erklären. Der biherige Kraftwerksbau erstreckte sich meist auf Flußwerke, die leider die unangenehme Eigenschaft besitzen, im Winter, zur Zeit des größten Energiebedarfes, geringe Wassermengen zu führen. Außer der jahreszeitlichen Änderung des Energieverbrauches besteht auch ein Schwanken über die 24 Stunden eines Tages. Einer geringen Last in den Nachtstunden und den Sommermonaten stehen gewallige Anforderungen wftread der Winterabendstunden entgegen. Und für diese wenigen Stunden des Winters, die stets um den 20. Dezember auftreten, muß die volle Maschinenleistung eines Elektrizitätswerkes einsatzbereit sein. Nun variieren die Wasserführungen unserer Flüsse zwischen Winter und Sommer, wie zum Beispiel die der Drau bei Villach, im Verhältnis 1 : 5,66, die der Mur bei Frohn-leiten zwischen 1 : 4. Ferner hat die Elektrizität die unangenehme Eigenschaft, nicht — oder nur in äußerst beschränktem Maß — speicherfähig zu sein, das heißt: sie muß im Augenblick der Erzeugung auch schon verbraucht werden. Die einzige Speichermöglichkeit bilden Akkumulatorenba*terien, doch ist diese Art der Speidierung teuer und schwer. In der Dampftechnik konnte durch die Erfindung des schwedischen Ingenieurs Ruths mit seinem Dampfspeicher sdion eine bessere Speicherfähigkeit erzielt werden. Hier wird zuzeiten geringeren Leistungsbedarfes der überschüssige Kesseldampf in eigenen Speichern niedergeschlagen, um zur Zeit der Spitze in Speicherturbinen abgearbeitet zu werden. In hydraulischer Hinsicht besteht die Speichermöglichkeit in ausgesprochenen Speicherwerken, wo die im Sommer überschüssig anlaufenden Wassermengen gesammelt werden und im Winter oder am Abend während der Belastungsspitze verwertet werden. Dazu dienen entweder natürliche Seen, wie wir sie im Achen-, Gösau-, Offen-, Schwarzen-, Sputler- und Tauernmossee besitzen, wobei der Speicherinhalt dieser natürlichen Seen durch Aufführen künstlicher Stau-mauern mitunter recht beträchtlich vergrößert wird. Meist wird auch der natürliche Abfluß, wie beim Achensee, abgesperrt und in ein anderes Tal geleitet.

Unsere derzeitigen Jahresspeicher müssen für den heutigen Bedarf als recht bescheiden angesprochen werden, zumal den Vorarlberger Großkraftwerken die Leitungsverbindung mit Wilten bei Innsbruck fehlt. Weitere Speicher sind reine Bahnspeicher, die zufolge der anderen Frequenz und Stromart für die Allgemeinversorgung ausscheiden. So hat das an der rund 1000 Kilometer langen 100-Kilovolt-Bundessammel-schiene von Innsbruck nach Wien — mit Abzweigungen über die Steiermark bis Kärnten — liegende Achenseewerk die unlösbare Aufgabe, überall helfend einzuspringen. Außerdem kann die mit Beginn des Herbstes fertiggestellte, von Zell am Zilkr über die Gerlosplatte nach Kaprun verlaufende Verbindungsleitung im gegenwärtigen Zustand nur als Notbehelf bezeichnet werden. Erst mit der Vollendung der Großprojekte in den Tauern und Westtirol mit ihren Großspeichern können sich die österreichischen Speicheranlagen mit den schweizerischen messen, die heute bereits ein Arbeitsvermögen von über eine Milliarde Kilowattstunden erreicht haben. Notgedrungen wird damit auch der Neubau einer Bundessammeischiene mit 220-Kilo-volt-Übertragungsspannung erforderlich sein.

Eine weitere Möglichkeit, hydraulische Speicherarbeit zu sammeln, besteht in der Form von Pümpenspeidierwerken, die. während der Nachtstunden Wasser aus dem Tal in hochgelegene Speicherbecken pumpen, um zur Spitzenzeit dieselbe abzuarbeiten. Derartige Anlagen bestehen in der Schweiz, Italien und in Deutschland, in bescheidenem Ausmaße auch bei unserem Gosausee. Das bekannteste Werk dieser Art ist wohl das Wäggitalwerk mit seinem künstlichen Stausee von 140 Millionen Kubikmeter Stauinhalt, südöstlich von Zürich. Es ist dies ein ausgesprochenes Winterspitzenwerk. Für Wien besteht ein derartiges Projekt in dem Pumpenspeicber-werk Payerbach-Bodenwiese, wo die Bodenwiese einen Wasserspeicher von 42 Millionen Kubikmeter erhalten soll. Das Kraftwerk ist mit einer Turbinenleistung von 285.000 Kilowatt bei einem Gefälle von 630 Metern geplant.

Den wirtschaftlichen Einsatz aller vorhandenen Betriebsmittel im Verbundbetrieb richtig zu lenken, ist Aufgabe des Lastverteilers. Er bestimmt den genauen Fahrplan jeder einzelnen Maschine in den verschiedenen Kraftwerken. Gemäß den Belastungsverhältnissen hat man mit einer gleichbleibenden Grundlast und Spitzenlasten in wechselnder Höhe zu rechnen. Solange uns genug Kohle zur Verfügung stand, wurden die Spitzen regelmäßig mit den- Dampfturbinen ausgefahren. Im gegenwärtigen Zeitpunkt, wo der Bedarf das Angebot überschreitet, bleibt nur die Möglichkeit übrig, die Spitzen durch Lastverschiebung in die lastarmen Stunden abzuflachen, und tels letzter Ausweg, die auch den Werken höchst unliebsame Ab-chaltung.

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