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Die Sonne reicht für mehr!

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Die scheinbare Überschußproblematik in der Agrarwirtschaft bedroht die Existenz vor allem unserer Berg-und Kleinbauern.

Das klassische Bild vom Bauern als Ernährer der Nation wird sich künftighin immer mehr verwischen, denn die Zeit kommt heran, in der der Landwirt nicht mehr ausschließlich der Ernährung seiner Mitmenschen, sondern zugleich auch der Lieferant für die Industrierohstoffe ist.

Solche Gedanken formulierte Henry Ford bereits 1935 auf dem ersten landwirtschaftlichen Chemurgie-Kon-greß in Dearborn. Heute müssen die damaligen „Utopien" Realität werden, wenn unser Raumschiff „Erde" nicht unter dem Syndrom der rücksichtslosen Plünderung seiner fossilen Reserven biologisch kollaglereh soll. In einer Zeitspanne, gewissermaßen 5 Minuten vor 12, da einerseits die Umweltproblematik in aller Deutlichkeit erkennbar geworden ist und andererseits alle verantwortlich denkenden Menschen sich dagegen wehren, daß wir den kommenden Generationen einen geplünderten Planeten übergeben, weil unsere nicht reproduzierbaren Energierohstoff e, wie Erdöl, Erdgas, Kohle und Uran zur Neige gehen, ist die biosystemkonforme Produktion von nachwachsenden Rohstoffen und Primärenergieträgern zur zentralen Aufgabe der Land- und Forstwirtschaft im Interesse des Gemeinwohles geworden.

Bauern und Technologen, Anbauflächen, Verarbeitungstechnologien und Produktionsstätten stehen bereit, aber der Mut zum notwendigen Umstieg auf eine ökologisch verantwortbare Deckung unserer Rohstoff- und Energiebedürfnisse ist noch nicht gegeben. Da können Wälder sterben, giftige Abgase uns und unsere Kinder bedrohen und Milliardenbeträge an Einkommen gebündelt ins Ausland abgeführt werden - jene, die das Sagen haben, haben nicht die Courage, die Wurzel des Übels zu nennen und eine grundsätzliche Wende zu veranlassen. Wir können es uns umweltpolitisch und vor unseren Kindern nicht leisten, die fossilen Reserven von mindestens 500.000 Jahren in einem Jahr in die Atmosphäre unserer Erde zu blasen. Wir müssen auf ökologische Kreisläufe umstellen! Unsere Passivität ist existenzbedrohend, ja lebensgefährlich!

Betrachten wir die gegenwärtige Umweltschutzdiskussion verschränkt mit der Überschußmisere in der Landwirtschaft und mit den Absatzproblemen der Forstwirtschaft, so erscheint Österreich im Lichte der vorstehend ausgeführten Erkenntnisse eher phantasielos, denn bedaue-rungswürdig. Alle angeführten Ungleichgewichte könnten ökonomisch und ökologisch in Balance gebracht werden, wenn der Rohstoff- und Energiepflanzenbau sowie die zugehörigen Konversionstechnologien nicht weiter de facto ein Aschenbrödeldasein führen müssen; was die Forschungsbudgets beweisen.

Begrüßt werden müssen in diesem Zusammenhang die Versuche des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung, das Problem der österreichischen Flächenbilanz in den Griff zu bekommen, und ein Auftrag des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft das kurzfristig zu erwartende Biomassepotential erstmalig grob zu schätzen.

Jahrtausende hindurch war es Aufgabe der Land- und Forstwirtschaft, die Menschen neben Nahrungs- und Futtermitteln auch mit Rohstoffen und Energie zu versorgen. Der Mensch lernte allmählich durch Nutzung der Photosynthese als zentralem Energieversorgungsmechanismus unseres Biosystems seine Bedürfnisse besser zu befriedigen, indem er immer effizienter Sonnenenergie bindende Pflanzen auslas und die Methoden ihrer Kultivierung verbesserte. Dieser biosystemkonforme Prozeß der steigenden Abdeckung wachsender Bedürfnisse aus den biologischen Kreisläufen entwickelte sich - von wenigen Ausnahmen abgesehen - relativ harmonisch.

Mit der Entwicklung von Technologien zur kostengünstigen Prospektie-rung und Nutzung fossiler Rohstoffe und Primärenergieträgern kam es jedoch zu einer weitgehenden Beschränkung der Landwirtschaft auf die reine Nahrungsmittelproduktion und zu einem rapid steigenden Luxuskonsum von Energie, der dem Ökosystem Erde keine Zeit läßt, sich anzupassen und der es global zu überfordern beginnt. Dies ist der wahre Urgrund unserer derzeitigen ökologischen Probleme. Es ist nicht die Umwelt, die gestört ist, sondern unser eigenes Verhältnis zur Umwelt.

Wir erkennen zwar, daß die Erde ein winziges Raumschiff ist, auf dem die Plätze und der Proviant beschränkt sind und auf dem sich ein wundervolles Netzwerk von ineinandergreifenden Systemen des Lebendigen (Ökosysteme) entwickelt hat, aber wir agieren, als ob wir nicht Glied einer langen zeitlichen Kette und Masche des Netzwerkes wären, sondern Lebewesen, die sich ungestraft außerhalb der harmonisch ineinandergreifenden biologischen Regelkreise stellen dürfen.

Glichen in der Vergangenheit die Eingriffe des Menschen, weltweit gesehen, Nadelstichen, die rasch wieder zuheilen konnten, so fügen die entwickelten Großtechnologien Wunden zu, die tiefe Schrammen hinterlassen. So gehen jährlich über 100.000 ha tropischer Regenwald verloren, der das Biosystem mit dem labilsten Gleichgewicht darstellt. Ist bei diesem der ausgewogene Kreislauf zwischen dem lebendverbauenden Bestandesaufbau und Bestandesabfall an der Oberfläche der Lateritbö-den unterbrochen, so beginnt die Erosion bis zur längerfristigen Unfruchtbarkeit ihr Werk.

Noch viel problematischer ist die Tatsache, daß wir in einem Jahr die fossilen Reserven von etwa 500.000 Jahren verfeuern. Dieses unadäquate Verhalten hat nicht nur zum bekannten Phänomen des sauren Regens und anderer unerwünschter Einflüsse geführt, sondern wir riskieren auch durch die Kohlendioxidanreicherung in der Atmosphäre eine durch das Puffervermögen der Ozeane um etwa 20 Jahre nachhinkende Erwärmung der Erde durch verringerte Abstrah-lung, was zu einem gefährlichen Treibhauseffekt führt, der infolge Abschmelzens von Polareis sogar tekto-nische Veränderungen auslösen kann ...

Als vor wenigen Jahren erstmals in der österreichischen Öffentlichkeit die notwendige Umstellung auf die Verteuerung von Biomasse und auf BIOSPRIT diskutiert wurde, hat man Stimmen bezahlt, die vom „Brot verbrennen" sprachen. Die Vorstellung, daß „vier Fünftel der Menschheit hungern und wir einen Teil unserer Ernte verspriten", erscheint auf den ersten Blick wirklich als bedenklich.

In Wahrheit aber erscheint kein Konflikt zwischen Nahrungs- und Futtermittelproduktion . und Erzeugung von Biomasse für Rohstoff- und Energiezwecke gegeben, weil derzeit nur ca. 1,5 Prozent der Phytomasse für Nahrungs- und Futtermittel und 2 Prozent für Rohstoffe (insbesondere Fasern) verwendet werden. Es ist also reichlicher Spielraum für die Schaffung neuer Kreisläufe, die es dem Menschen ermöglichen, genügend Nutzenergie für seine gestiegenen Bedürfnisse zur Verfügung zu haben. Eines muß uns allerdings klar sein: Der „Arbeitstarif" ist sicher etwas teurer als der bisherige „Plünderungstarif". Hiebei sind allerdings auch die vermeidbaren Kosten zur Schadensreparatur an der Umwelt und am Menschen selbst („Zivilisationskrankheiten") zu berücksichtigen. Die derzeitigen Probleme sind Verteilungsund Mobilisierungsprobleme, die sozial- und bildungspolitisch begründet sind.

Der Zentraldirektor der österreichischen Agrar-Industrie GesmbH (ÖAI), Kommerzialrat Dipl.-Ing. Dr. Heinrich Wohlmeyer, sieht Österreichs einzige Chance, das augenblickliche Dilemma zu bewältigen, in einer forcierten Entwicklung der heimischen Ressourcen: „Gerade die Biomasse ist in Österreich die wesentlichste biosystemkonforme, landeseigene Option, da die Nutzungsmöglichkeiten auf den Gebieten der Wasserkraft und Windkraft sehr begrenzt sind", erläutert Wohlmeyer. „Die Biomasse hingegen weist bei Nahrungsmitteln die Möglichkeit einer vollen Inlandsversorgung auf und die Einschätzung der Pflanzenzüchter und Pflanzenbauer läßt bei konsequenter Nutzung der wissenschaftlichen Erkenntnisse auf den Gebieten der Gentechnologie und Molekularbiologie sowie der Errungenschaften der modernen Bewässerungstechnik und Pflanzenernährung längerfristig eine weitere Verdoppelung der Produktion, wie wir sie bereits in den vergangenen vier Dekaden erlebt haben, erwarten".

Eine Verdoppelung der Biomasseproduktion würde aber bedeuten, daß der derzeitige Primärenergieverbrauch von rund 1 Mio. TJ im vorerst theoretischen Ansatz zur Gänze aus Biomasse gedeckt werden könnte. Diese Vision ist deshalb nicht unrealistisch, weil unser Energieversorgungsproblem nicht so sehr ein Problem der Versorgung mit elektrischer Energie ist, sondern ein Problem der Heiz- und Motorkraftstoffe. Auf letzterem Gebiet wurde mit Unterstützung des Forschungsförderungsfonds für die Gewerbliche Wirtschaft und des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung sowie mit Kredithilfen von Bund und Land ein Zeichen gesetzt.

Die österreichische Vereinigung für Agrarwissenschaftliche Forschung (ÖVAF) erkannte primär die Notwendigkeit der Errichtung für Mehrrohstoff- und Mehrzweck-Äthanolanlagen in Österreich.

Mit der von der Österreichischen Agrar-Industrie in Gmünd errichteten Anlage soll demonstriert werden, daß eine verläßliche Technologie zur Verteuerung und Verspritung von Biomasse für künftige Großanlagen und für den Ausbau der Kleinanlagen zur Verfügung steht, weil dies immer wieder in Zweifel gezogen wird. Die Anlage soll als Innovationsfilter zur Verfügung stehen, das heißt, sie soll dazu dienen, vorgeschlagene technologische Neuerungen vorher abzutesten, damit kostspielige Fehlplanungen vermieden werden können. Das energiesparende und einer gesunden Fruchtfolge entgegenkommende Mehrrohstoff-Konzept soll getestet und voll anwendungsreif gemacht werden. Der Energieaufwand soll drastisch gesenkt werden.

Im Rahmen des Mehrrohstoff-Systems und des Energieverbundes soll ein vollentsorgter Prozeß demonstriert werden, der als

Nebenprodukt des Äthanols ein hochwertiges, eiweißhaltiges Futtermittel erbringt.

Am Beispiel der Gmünder Anlage wird der Weg zu einer neuen ökologisch ausgewogenen Energiepolitik aufgezeigt, die sich in die ökologischen Kreisläufe einfügt und nicht Einkommen konzentriert und gebündelt ins Ausland abführt, sondern die Energieschillinge der Staatsbürger im Inland beläßt sowie stabile Arbeitsplätze und Einkommenskreisläufe schafft.

Kombinierte Erzeugungsanlagen für Äthanol ermöglichen derzeit die Verarbeitung zucker- und stärkehaltiger Substanzen, nach Abschluß der laufenden Forschungsarbeiten auch die Verspritung zellulosehaltiger Substanzen, die derzeit noch vor allem an Wiederkäuer verfüttert, verbrannt oder deponiert werden müssen.

Die Errichtung von Mehrzweckanlagen ermöglicht eine optimale Roh-stoffausnützung und eine dem Markt angepaßte Schwerpunktsetzung (flexibles Produktionsprogramm). Das wird deutlich an folgendem Beispiel sichtbar: Eine Stärke- oder Zuckerfabrik und eine Äthanolfabrik arbeiten nicht nur zusammen, sondern sind aufgrund ihrer Standorte sogar in einem Rohstoff- und Energieverbund zusammengeschlossen. Der angelieferte Rohstoff wird auf seine Verarbeitungstauglichkeit geprüft und in bessere und schlechtere Fraktionen geschieden. Erstere werden zu Nahrungsmitteln und technischen Produkten verarbeitet, letztere, die bislang dem produzierenden Bauern nicht abgekauft werden konnten, werden zu technischem Alkohol verspätet.

Nicht nur im Inland, sondern auch im Export ergibt sich durch die Kombination des oben beschriebenen dreifach beschickbaren Vorderbetriebes eine flexible Rohstoffgestion. D. h., werden eßbare Pflanzenteile gefragt, wird der Vorderbetrieb stärker auf die in der Regel lager-(spei-cher)baren zellulosehaltigen Rohstoffe ausgerichtet.

„Dies bedeutet in der Praxis eine optimale Vorsorgemöglichkeit für Krisenfälle im In- und Ausland, neue Exportchancen, eine optimale Überschußverwertung und die Möglichkeit zur humanitären Hilfe", meint Dipl.-Ing. Dr. Heinrich Wohlmeyer. Bleibt nur zu hoffen, daß solche Projekte zum Wohle aller künftig nicht mehr auf taube Ohren der Politiker stoßen. Denn ... solange das Parlament und die Verwaltung die notwendigen Rahmenbedingungen für die Produktionsaufnahme bei BIOSPRIT® nicht geschaffen hat, muß die Alkoholproduktion in Gmünd im aktiven Veredelungsverkehr durchgeführt werden, damit man bestehende Ordnungen nicht stört, das heißt, ausländische Rohstoffe müssen zu einem wieder zu exportierenden Produkt verarbeitet werden. Es ginge zwar auch mit inländischen Rohstoffen, die auf den Weltmarktpreis heruntergestützt werden, aber dafür gibt es derzeit noch kein Geld.

Die als forschungsintensiv bekannte Bauernfabrik in Gmünd kann daher im Interesse der längerfristigen Planung nur die Abklärung der technologischen Fragen bei der Verteuerung und Verspritung bewirken. Die Produktions- und Energiealternative BIOSPRIT® kann nur durch die notwendigen gesetzlichen Maßnahmen eröffnet werden. Bis dahin wird die Forschungsanlage Gmünd Trinkalkohol höchster Qualität aus den besten und preisgünstigst auf dem Weltmarkt erhaltbaren Rohstoffen zu Weltmarktpreisen erzeugen müssen. Lediglich die zur Verteuerung kommenden Forstabfälle wird sie aus dem Inland beziehen können.

„Wir wollen konkret zeigen, wie man das Entropiegefälle von der Erde zur Sonne mit modernen Technologien zum Wohle der Menschen und regionalpolitisch sinnvoll besser nützen könnte", meint der Technische Direktor und Bauernsohn Dipl.-Ing. Josef Hutterer. „Die Sonne liefert uns 40.000 kW pro Einwohner der Erde. 4.000 kW nutzen wir derzeit. Der Rest gibt genügend Spielraum zur ökologisch unbedenklichen Energieversorgung der Zukunft. Wir brauchen also nicht auf den Wasserstoff zu warten, der derzeit leider noch genauso utopisch weit entfernt ist, wie die friedliche Nutzung der Kernfusion. Die Biomasse speichert die Sonnenenergie und bietet die erforderlichen Möglichkeiten."

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