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1961 zum erstenmal

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Während der Erntezeit des nun zu Ende gehenden Jahres 1960 konnte als Frucht jahrelanger und mühevoller agrarpolitischer Arbeit endlich auch das österreichische Landwirtschaftsgesetz unter Dach und Fach gebracht werden. Bei aller Genugtuung über die Verwirklichung dieses keineswegs nur für die Bauernschaft wichtigen Gesetzes durfte jedoch vor allem Anfang an nicht übersehen werden, daß damit allein die Sorgen der Landwirtschaft durchaus nicht von heute auf morgen schnell und gründlich aus dem Weg geräumt sein würden. Auch da's beste Landwirtschaftsgesetz kann ja keinen Pakt mit dem Himmel beinhalten, kann nicht Sonne und Wolken gebieten und vertreibt nicht Schädlinge und Seuchen. Aufgabe dieses Gesetzes ist es vielmehr, dort Hilfe und Stütze zu bieten, wo die Kraft des einzelnen und die Mittel der bäuerlichen Selbsthilfe bereits überfordert sind, wo aber die Anliegen der Landwirtschaft auch im allgemeinen Interesse einer entsprechenden Berücksichtigung bedürfen. Das land- und forstwirtschaftliche For-schungs- und Versuchswesen etwa oder die umfangreichen Aufforstungs-, Kultivierungs-, Wasserbau- und Wegeerschließungsmaßnahmen erfordern erhebliche Mittel, zu deren Aufbringung die öffentliche Hand zweifellos mit Recht einen angemessenen Beitrag zu leisten hat.

Ein solcher Beitrag ist nun — im bescheidenen Umfang von 200 Millionen Schilling — erstmals für 1961 vorgesehen. Man kann darin das allmähliche Anlaufen eines bedeutenden, zukunftsträchtigen Gesetzeswerkes erblicken, dessen Zweck immerhin kein geringerer ist als die Sicherung der Ernährung unseres Volkes und die Erhaltung eines wirtschaftlich gesunden Bauernstandes. Dabei soll „der Landwirtschaft und den in der Landwirtschaft beschäftigten Personen die Teilnahme an der fortschreitenden Entwicklung der österreichischen Volkswirtschaft“ gesichert werden.

„GRÜNER BERICHT“ UND „GRÜNER PLAN“

Wie sfeht, es nun uro. .die mögliche und „absehbare Erreichbarkeit der Zielsetzung des Landwijtscrjaftsges.etzes in,Österreich? Darüber gibt der pünktlich zum gesetzlich vorgeschriebenen Termin mit 15. September 1960 erstmals erstattete „Bericht über die Lage der österreichischen Landwirtschaft 1959“ („Grüner Bericht“) ebenso aufschlußreiche Auskunft wie der „Grüne Plan 1961“, mit dem „Maßnahmen zur Verbesserung der Lage der Landwirtschaft im Sinne des Landwirtschaftsgesetzes“ vorgesehen sind. Darüber sind jedoch — unabhängig von allen im Zusammenhang mit diesem Gesetz getroffenen Feststellungen — auch in den Erhebungen und Veröffentlichungen des Statistischen Zentralamtes und des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung immer wieder sehr vielsagende Daten und Zahlen zu finden.

Aus den Ergebnissen dieser objektiven, in wissenschaftlicher Arbeit ermittelten Erhebungen geht eindeutig hervor, daß die Sicherung der Ernährung unseres Volkes aus den Früchten des heimischen Bodens einen hohen Stand wie nie zuvor in der Geschichte der österreichischen Republik erreicht hat. Es wird daraus aber auch deutlich ein ständiger Rückgang des landwirtschaftlichen Anteils am Volkseinkommen ersichtlich. Dies ist nicht zuletzt auf die ständig steigenden Produktionskosten zurückzuführen, mit denen die gesetzlich geregelten Agrarpreise weithin nicht Schritt halten können. 1951 betrug der Anteil der Landwirtschaft am Volkseinkommen (laut Institut für Wirtschaftsforschung) noch knapp 16 Prozent. Er ist inzwischen bis 1958 auf 12 Prozent und 1959 weiter auf 11,4 Prozent abgesunken, während der agrarische Anteil an der Zahl der Berufstätigen Österreichs etwa 30 Prozent, jener an der Gesamtbevölkerung im Durchschnitt der vergangenen Jahre etwa 20 Prozent (Volkszählung 1951: 22 Prozent) beträgt.

MINDERBEWERTUNG DER LANDARBEIT

Der vom Landwirtschaftsministerium der Bundesregierung vorgelegte „Grüne Bericht“ hat diese Situation im Detail dargelegt, mit reichem Zahlenmaterial untermauert und eindeutig begründet. Nicht ein Versagen der Landwirtschaft — wie manche es gerne haben möchten —, sondern eine offensichtliche Benachteiligung der Agrarwirtschaft im Rahmen der Volkswirtschaft, eine Minderbewertung der Landarbeit wird daraus ersichtlich. Politische Machtkämpfe, soziale Rücksichtnahmen und zahlreiche naturbedingte Risiken der Landwirtschaft gelangen hier zur Auswirkung und machen die Bauern zu Lastenträgern der modernen Industriegesellschaft — und das nicht nur in Österreich.

Die große soziale und wirtschaftspolitische Bedeutung der Lebensmittelpreise macht sich beim Urproduzenten, der die größten Risiken der Erzeugung auf sich zu nehmen hat, in Form von Preis- und Lohndruck bei überhöhter Arbeitsbelastung am stärksten bemerkbar. Eine im Industriezeitalter wirtschafts- und sozialpolitisch ohnehin schwerst gefährdete Gruppe muß somit paradoxerweise soziale Rücksichtnahme gegenüber allen anderen Gruppen üben, von denen sich viele in einer weitaus besseren wirtschaftlichen Situation befinden als sie selbst.

HISTORISCH GEWACHSENE AGRARSTRUKTUR

In der Arbeits- und Produktionsleistung braucht die österreichische Landwirtschaft den Vergleich mit keinem anderen Wirtschaftszweig zu scheuen. Allerdings mußte und muß sie Erzeugungssteigerung und Investitionen weitgehend auf Kosten des persönlichen Lebensstandards und einer übermäßigen Arbeitsbelastung erreichen. Sie leistet somit an der allgemeinen Wirtschaftskonjunktur einen wesentlichen Beitrag, hat an deren Früchten aber nur geringen Anteil. Bisher wartete sie vergeblich auf eine Preisstabilisierung oder gar Preissenkung im Gefolge der erheblichen Produktivitätssteigerung von Industrie und Gewerbe. Lohnerhöhungen und Arbeitszeitverkürzungen in diesen Wirtschaftszweigen geben vielmehr immer wieder zu neuen Preiserhöhungen Anlaß. Das aber bringt der Landwirtschaft — die man nicht versäumt, unentwegt zur Kostensenkung aufzufordern! — nicht nur neue Belastungen, sondern darüber hinaus eine verschärfte Abwanderung der familieneigenen und familienfremden Arbeitskräfte, die wiederum wegen der mangelnden Kaufkraft der Bauern uritf struktureller Scliwlerfiftiten WPt Wirtschaft nicht imffter rasch, ausreichend und iii'teffledigWndet “#eise ?dÜrch MäicTiifiSr“it-setzt werden können.

Durch die historisch gewachsene Agrarstruktur mit vorherrschend klein- und mittelbäuerlichen Betrieben sowie durch den großen Anteil an Bergbauerngebiet sieht sich die österreichische Land- und Forstwirtschaft in ihren Bemühungen um Mechanisierung und Rationalisierung außerdem zahlreichen, nur schwer und allmählich zu überwindenden Widerständen gegenüber. Es ist einfach nicht möglich, die in vielen Generationen herausgebildeten Wirtschaftseinheiten, die den bäuerlichen Familien Arbeits- und Lebensgrundlage bieten, von heute auf morgen nach den Grundsätzen eines rationellen Maschineneinsatzes umzugestalten. Darüber hinaus muß der Bauer oft unter Hintansetzung persönlicher Wünsche und unter bewußtem Verzicht auf manch leichteren, größeren Profit bemüht sein, durch sorgfältige Beobachtung des notwendigen Fruchtwechsels und andere Rücksichten künftigen Generationen die Bodenfruchtbarkeit zu erhalten und somit die Ernährung zu sichern.

Die Gegenleistung der Allgemeinheit soll nun im Zeichen des Landwirtschaftsgesetzes 1961 erstmals auf breiterer Basis fühlbar werden. Daß dies absolut notwendig und gerechtfertigt ist, haben die Volksvertreter beider Koalitionsparteien bei der Beschlußfassung über den „Grünen Plan 1961“ in der Sitzung des österreichischen Nationalrates vom 7. Dezember i960 übereinstimmend festgestellt. Mit Produktions- und Produktivitätssteigerung allein ist es in der Landwirtschaft nicht getan, da der Nahrungsmittelbedarf verhältnismäßig unelastisch, die Bedarfsdeckungsgrenze in vielen Erzeugungszweigen bereits erreicht oder überschritten ist und die Konkurrenz auf den internationalen Agrar-märkten für Überschußprodukte der Landwirtschaft außerordentlich groß und durch mancherlei Manipulationen verfälscht erscheint. Die ständige Sorge um den Absatz überschüssiger Milchprodukte ohne Schmälerung des Einkommens der vorwiegend klein-, mittel- und bergbäuerlichen Milchproduzenten; die Schwierigkeiten mit der überreichen Zuckerrübenernte des heurigen Jahres und gelegentlich auch mit dem Viehabsatz sind lebhafte Beispiele dafür, die sich stets zu Lasten der bäuerlichen Produzenten auswirken.

AUSGLEICH DER NATURBEDINGTEN NACHTEILE

Wenn nun auch das Landwirtschaftsgesetz mit seinem „Grünen Bericht“ und seinem „Grünen Plan“ nicht alle Sorgen der Bauern schlagartig beseitigen kann, ist es doch seine wesentliche Aufgabe, „die Landwirtschaft unter Bedachtnahme auf die Gesamtwirtschaft und die Interessen der Verbraucher zu fördern, damit sie imstande ist, naturbedingte Nachteile gegenüber anderen Wirtschaftszweigen auszugleichen und die wirtschaftliche Lage der in ihr Tätigen zu verbessern“. Daß die Voraussetzungen dafür bzw. die notwendigen Maßnahmen alljährlich in öffentlicher Diskussion von Bundesregierung und Nationalrat beraten und beschlossen werden sollen, kann der Landwirtschaft nur recht sein. Darf sie doch hoffen und erwarten, daß auf diese Weise das Verständnis für ihre schwierige Situation im Urteil der c#EefttfrclleH5Mii4fimg wächst und die 'Sorge“ um die Erhaltung eines gesunden bäuerlichen Familienbetriebes allmählich' “zu einem wohlverstandenen allgemeinen Anliegen wird. Die Ansätze des ersten „Grünen Planes“ sind durchaus geeignet, die Erreichung dieser Absicht zu fördern. Ob es sich nun um Mittel für die Verbesserung der Produktionsgrundlagen, der Verkehrslage oder der Agrarstruktur handelt, um Absatz- und Verwertungsmaßnahmen, um sozialpolitische Maßnahmen für die Landarbeiter oder um kreditpolitische Pläne, stets ist dabei das allgemeine Interesse berücksichtigt. Die Erhaltung eines gesunden und leistungsfähigen Bauernstandes ist ja an sich schon die Grundvoraussetzung für die Sicherung der Volksernährung und damit auch eine wesentliche Voraussetzung für die Freiheit und Unabhängigkeit des österreichischen Staates.

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