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Die Kritik an unserer zweifei - los kranken Land- und Forst- wirtschaft endet in der Regel in Symptomkuren. Publikationen, wie „Die österreichische Landwirt- schaft in den neunziger Jahren" von Wolf gang Schmitz („Wirtschafts- politische Blätter 6/88) und die jüngste Diskussionsstudie „Um- weltpolitikbei Wachstum" von Karl Aiginger zeigen deutlich, daß die Systemzwänge, die auf die Land- und Forstwirtschaft wirken, nicht oder nicht ausreichend erkannt werden.

Es wird nur nach „mehr Markt" gerufen, ohne die unverzichtbaren ökologischen Rahmenbedingungen für einen die Bewahrung der Lebensgrundlagen sichernden Markt in das System einer dezen- tralen Marktwirtschaft einzu- führen. Hiezu müssen die wesent- lichsten Fehlsteuerungen unseres gegenwärtigen Wirtschaftssystems und die sich aus ihnen ergebenden Sachzwänge, die auf die Land- und Forstwirtschaft wirken, identifi- ziert werden.

Die ökologische Gesamtmisere beruht vor allem

• auf dem plündernden Einsatz von fossilen Rohstoffen und Primär- energieträgern,

• auf einer atemberaubenden Be- völkerungszunahme bei gleichzei- tiger massiver Verstädterung,

• auf einer der Plünderung des Energie- und Rohstoffstockes des Planeten Erde aufruhenden Weg- werfwirtschaft und

• auf einer Konzentration der öko- nomischen Aktivitäten, die - der Natur der Sache nach - immer kreislaufferner und damit lebens- feindlicher werden.

In diesem Kontext wird die Land- und Forstwirtschaft als der unserer Umwelt entsprechende Lieferant von Nahrungsmitteln, organischen Rohstoffen und Primärenergieträ- gern nur mehr auf den Nahrungs- mittelbereich beschränkt.

Dadurch entstehen scheinbare Überschüsse und ein erster Schub zur Verarmung der Fruchtfolgen sowie der Entfall von Kombina- tionsnutzen (zum Beispiel Getreide und Stroh als Energieträger und zellulosehaltiger Rohstoff). In der Forstwirtschaft verlieren Flurge- hölze wie Hecken, Böschungsbe-' Pflanzungen und Baumgruppen auf Grenzertragsflächen ihre energie- wirtschaftliche Rentabilität, die sie über Jahrhunderte besaßen.

Darüber hinaus wird die Land- und Forstwirtschaft mit ökologisch ungebremsten Produktionssyste- men in Konkurrenz gesetzt. Wir brauchen hier nur an die bodenver- brauchenden Produktionsverfah- ren in Nordamerika und Australien und an die Wald, Boden und gene- tische Ressourcen vernichtenden Großbrandrodungswirtschaften in den Urwaldgebieten (insbesondere in Brasilien) zu denken.

Der Marktdruck durch die plün- dernde Energie- und Rohstoffbe- darfsdeckung einerseits und durch die im Wege unverantwortlicher Raubbauverfahren erzeugten Fut- termittel anderseits bewirkt in Europa jenen Druck auf die Märk- te, Einkommen und Strukturen, der zu immer mehr „Betriebsvereinfa- chung" und damit ärmeren Frucht- folgen und zu immer „härteren" Produktionsverfahren in der Land- wirtschaft führt.

Dieser Trend wird durch die auf der Plünderung des Energie- und Rohstoffstockes beruhenden nied- rigen Frachtkosten verstärkt, weil es durch sie möglich ist, Raubbau- produkte über weite Strecken ko- stengünstig zu transportieren.

Analoges gilt für die Forstwirt- schaft: Durchforsten und arbeits- intensive Waldpflege sind unrenta- bel geworden und der Transport von Waldplünderungsholz über weite Strecken zahlt sich zu Lasten der nachhaltig wirtschaftenden Forstwirtschaften aus. Die weltwei- te Situation erinnert an das Wirt- schaftsimperium der Venetianer. In ihrer Reichweite hinterließen sie eine geplünderte Erde (den Karst). Dort, wo bäuerlich langfristig den- kende („rückständige") Grundher- ren saßen, wie in Gottschee und Krain, gibt es heute noch herrliche Wälder im Karstgebiet...

Gegenwärtig verschärft sich die Auseinandersetzung um die Land- wirtschaft weltweit: Die Briten, die analog zu den Venetianern einen zuerst see- und dann landräuberi- schen Wirtschaftsstil nach Ameri- ka, Asien und Australien expor- tierten, wurden von den Nachfol- gemächten USA und Australien sowie den südamerikanischen Staa- ten abgelöst. Das gedankliche Erbe ist jedoch das gleiche geblieben.

Im GATT stehen sich nun in der Uruguay-Runde die aufgrund eu- ropäischer Eroberungen entstande- nen Plünderungszivilisationen - mit ihrer ausbeuterischen Land- und Forstwirtschaft - und die alten Kulturnationen mit jahrtau- sendalter Erfahrung in nachhalti- ger, die Lebensgrundlagen erhal- tender Naturnutzung gegenüber.

Industrie und Gewerbe stehen hiebei in allen Staaten voll auf der Seite der „Venetianer" und die Land- und Forstwirtschaft steht mit dem Rücken zur Wand. Es bedarf der Hilfe jener, die die Systemfeh- ler erkennen, um neue national, supranational und mundial aner- kannte Rahmenbedingungen ein- zuführen, die an den Wurzeln um- steuern.

Die Rahmenbedingungen müssen die weltweit und lokal zu beach- tenden Spielregeln der Biosphäre spiegelbildlich in den ökonomi- schen Ordnungen darstellen. Hie- bei sind vor allem drei methodische Grundsätze anzuwenden:

• Die Aktivitätsmuster müssen theoretisch unbegrenzt fortsetzbar sein.

• Die gemachten Veränderungen müssen rücknehmbar sein (Politik der behutsamen Schritte - Versuch und Irrtum).

• Beachtung des Verhaltens von Menschen und Tieren als wesentli- che Teile des zu respektierenden Inf ormationssystemes der Biosphä- re (wird gegenwärtig in den mei- sten Planungen vernachlässigt).

Aufgrund dieser Vorgaben und der Tatsache, daß wir aus geoöko- logischen Gründen binnen einem Jahrzehnt aus unserer fossil orien- tierten Untergangszivilisation werden ausgestiegen sein müssen, wenn wir überleben wollen, resul- tieren nachstehende Hauptspielre- geln eines lebenserhaltenden Zivi- lisationsentwurfes:

• Nachwachsende Rohstoffe als or- ganische Rohstoffbasis (aus dem System darf nicht mehr herausge- nommen werden, als es nachschaf- fen und im Kreislauf verdauen kann).

• Lokale Inverkehrsetzung von Waren nur dann, wenn sie nach Ge- oder Verbrauch entweder in indu- striell-gewerbliche Wiederverwen- dungskreisläufe oder in natürliche Kreisläufe eingehen (Systemnach- weis).

• Nutzung aller sich bietenden Möglichkeiten, zum Zusammenwir- ken verschiedener Faktoren (Mehr- rohstoff- und Mehrzwecksysteme mit Kombinationsnutzen).

Dies bedeutet in der Praxis, de- zentrale mit der Land- und Forst- wirtschaft verklammerte industri- ell-gewerbliche Produktions- und Kommunalsysteme sowie eine kleinräumige, behutsam, aber mit gärtnerischer Intensität und Viel- falt wirtschaftende Landwirtschaft. Was wir derzeit mit unseren Bau- ern tun ist unverantwortlich und wird uns mit derselben Konsequenz treffen, die den Prasser, der nicht von den Zinsen lebt, sondern sein Kapital verbraucht, trifft:

© Wir schreiben den Bauern den Weltmarkt und seine Plünderungs- preise vor, tun aber kaum etwas für die Durchsetzung ökologischer Mindeststandards.

• Gleichzeitig fordern wir alle ge- botenen ökologischen Rücksicht- nahmen am Heimatmarkt und kri- minalisieren das Verhalten, das wir indirekt über die derzeitigen Spiel- regeln des Marktes erzwingen.

Es ist daher kein Wunder, daß sich in Österreich alle Stunden ein Bauer schweren Herzens zur Auf- gabe seiner jahrhundertelang er- folgreich durchgeführten landes- kulturellen Aufgabe gezwungen sieht. In den EG kapituliert alle zwei Minuten ein Bauer vor den Bulldozern unserer Plünderungs- zivilisation. Ich wage eine Voraus- sage: In zehn Jahren werden alle derzeitigen Agrarsystempolitiker, die sich auf die Systemzwänge derzeitiger Wirtschaftsordnungen ausreden, als Naturvergewaltiger ähnlich verjagt werden, wie derzeit die Menschenvergewaltiger im Osten. Letztere haben auch als Idealisten begonnen, aber wurden im Laufe der Zeit korrupt und straf- fällig...

Die gegenwärtige bauernvernich- tende europäische und globale Agrarpolitik, in die das kleine Österreich eingezwängt ist, ist im Angesicht der Tatsachen, daß die Weltbevölkerung täglich um rund 250.000 Menschen ansteigt, ein Drittel der landwirtschaftlichen Nutzflächen von Verödung bedroht ist und der Ausstieg aus der fossil orientierten Energie-und Rohstoff- wirtschaft geboten erscheint, „mit- weltkriminell".

Statt mit den Wölfen zu heulen, täte Österreich gut daran, der! öko- logisch und sozial gebotenen Weg exemplarisch vorauszugehen und

• sich zu einer kleinstrukturierten ökologisch geordnet produzieren- den Landwirtschaft zu bekennen,

• die Mindestanforderungen an eine ökologisch geordnete Produk- tion interdisziplinär und zusammen mit der jahrhundertealten Erfah- rung der Praktiker zu definieren,

• die Kostendifferenz zu den plün- dernden Konkurrenzsystemen am Weltmarkt zu errechnen,

• internationalen Konsens für eine umweltverträgliche Landwirt- schaft anzustreben und

• falls dieser Konsens nicht er- reichbar ist, die GATT-konform möglichen Ausgleiche zur Herstel- lung gerechter Wettbewerbsver- hältnisse autonom durchzuführen.

Nur wenn diese grundsätzlichen Ausrichtungen und Flankierungen durchgezogen werden, kann der Garten Österreich erhalten und damit unsere Lebensgrundlagen gesichert werden.Wir sind gerade dabei, uns durch Wegschauen und Bezugnahme auf „Sachzwänge" vor der Verantwortung zu drücken. Wenn wir dies weiter praktizieren, wird das „Szenario 2000" das einer dramatischen Abrechnung der Jugend mit uns sein. Wir sollten nachdenken, wieso sie zunehmend die Übernahme unserer System- zwänge verweigert...

Der Autor ist Leiter der Verbindungsstelle für Agrarwissenschaftliche Forschung.

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