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Mehr Wohlstand durch Ausrottung?

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Wer die Berichte über die Ent- wicklung der wirtschaftlichen Lage der Bauern in Österreich mit Be- dacht gelesen hat, wird auf Pa- radoxa stoßen, die seinen ökono- mischen Hausverstand schwer beanspruchen.

Da wird gemäß den traditionel- len Sichtweisen, die alle Ökono- men fachlich verpflichten, festge- stellt, daß dank der Attraktivität der übrigen Wirtschaftszweige wei- terhin mit einer „zügigen Abnahme des agrarischen Arbeitskräfte- potentiales zu rechnen ist".

Könnte man nicht auf die Idee kommen, schlicht zu sagen, daß es einem großen Teil der Bauern ver- gleichsweise offenbar so schlecht geht, daß sie reihenweise kapitu- lieren, sodaß in der Landwirtschaft pro Stunde ein Arbeitsplatz verlo- ren geht. Dies, obwohl genug Ar- beit vorhanden wäre, wenn wir die Mitwelt sorgsam betreuten?

Wäre es nicht wert zu prüfen, ob nicht gerade jene aufgeben, die uns die Kulturlandschaft in den schwie- riger zu bewirtschaftenden Regio- nen bisher gestaltet und erhalten haben und die wir gerne weiter dort haben wollen?

Aber es kommt noch grotesker. Weil vom Jahr 1988 auf 1989 die Beschäftigten in der Landwirt- schaft um vier Prozent abge- nommen haben, muß gemäß dem traditionellen Sichtkodex (alle, die anders urteilen, sind keine „Fach- leute" ) der zwingende Schluß gezo- gen werden, daß es den Bauern deshalb um etwa 3,5 Prozent besser geht. Man kann nämlich nun das agrarische Gesamteinkommen auf weniger Menschen aufteilen, sodaß im theoretischen Durchschnitt je- der ein größeres Stück vom Kuchen bekommt.

Das Maximum an landwirt- schaftlichem Wohlstand würde somit bei der Weiterführung dieser Denklinie dann erreicht, wenn die agrarische Wertschöpfung nur mehr wenigen oder gar einem zufließt.

Ich würde diese oligarchische Wohlstandsvermehrung im Um- kehrschluß als „Wohlstand weni- ger - durch die Ausrottung vieler" bezeichnen... Als mir ein Bauer vor zirka einem halben Jahr auf die Frage „Was sein Sohn in seinen Augen Bemerkenswertes an der Universität lerne" antwortete, „unter anderem wie man Bauern umbringt", hatte er offenbar gar nicht so unrecht...

Aber es steht uns wahrscheinlich noch ein weiteres Paradoxon ins Haus. Die Sturmkatastrophe des heurigen Frühjahrs hat den „Ein- schlag" in der Waldwirtschaft um gut 50 Prozent erhöht. Da die Wald- bauern das Holz nicht verfaulen lassen, sondern zum bestmöglichen Preis verkaufen, wird man im näch- sten Jahr vermelden müssen, daß dank der höheren Einnahmen aus der Forstwirtschaft im Jahr 1990 die Land- und Forstwirtschaft ins- gesamt höhere Einkommen erzielt hat und daß es ihr daher objektiv besser geht. Also fördern Natur- katastrophen den Wohlstand...?

Gemäß den üblichen Beurtei- lungskriterien, ja. Aber heißt nicht para-dox im vollen Sinn des Wor- tes, daß es neben dem eingefahrenen Lehrgebäude noch eine andere Sicht geben muß, weil die herrschenden Denkstrukturen zu unsinnigen Beurteilungen führen, gegen die sich der gesunde Menschenverstand sträubt.

Für den gelernten Theoretiker und Praktiker sind solche Paradoxa erwartbar. Die zu ihnen führenden Denkmuster werden generell lau- fend angewendet. Allerdings wird im Bereich der Land- und Forst- wirtschaft als naturnächstem Wirt- schaftszweig ihre mangelnde Sach- gerechtigkeit rascher einsichtig. Wir leben ja in unserem gesamten Energie- und Rohstoffmanagement vom Kapital und nicht von den Zinsen.

Wer kommt schon in einer plün- dernden Zivilisation, in der die mit der höchsten Intensität die Erde Ausraubenden prämiiert werden, auf die Idee, den Verbrauch an fos- silen Rohstoffen und Primärener- gieträgern mit Wiederherstellungs- werten in die Kalkulation eingehen zulassen...?

Wenn die österreichischen Bi- schöfe im soeben veröffentlichten Sozialhirtenbrief von der „schwe- ren Krise", in der sich die Land- wirtschaft befindet, sprechen, dann müßte man als Hauptursache hin- zufügen, daß Bauern, die „bebauen und behüten" wollen, in einer räu- berischen Zivilisation, die vom Kapital dieses Planeten lebt, keine Überlebensmöglichkeit haben. Nur wenn ein gesamthaftes Umdenken erfolgt, hat diese Welt und mit ihr eine behütende und bewahrende bäuerliche Landwirtschaft eine Chance. Am Anfang stand das Para- digma des Gartens. Wir leben der- zeit im Paradigma der Müllhalde... Der Weg zurück in den Garten setzt die Umkehr voraus - auch in den ökonomischen Wissenschaften.

Der Autor ist Leiter der Verbindungsstelle für Agrarwissenschaftliche Forschung.

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