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Eine Chance für unsere Landwirtschaft

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Seit dem 15. Mai, dem Tag, der uns den Staatsvertrag gebracht, sind breite Diskussionen unter anderem darüber im Gange, in welcher Weise die an Oesterreich heimfallenden USIA-Betriebe in der besten Weise in die österreichische Wirtschaft eingegliedert werden können*.

Die Vorkämpfer der christlichen Sozialreform zeigen sich entschlossen, die hier gegebene einmalige Chance wahrzunehmen und in den dazu geeigneten Betrieben neue Formen der Betriebsgestaltung zu verwirklichen, wie sie schon im Gesetz über die Werkgenossenschaften vorgesehen sind, das bisher kaum praktische Anwendung fand, und darüber hinaus auch Formen der Beteiligung am Mehrertrag und am Eigentum praktisch durchzusetzen, wie sie in anderen Ländern bereits seit vielen Jahren mit Erfolg verwirklicht worden sind. Oesterreich hätte jetzt Gelegenheit, in verhältnismäßig kurzer Zeit den Vorsprung des Auslandes auf dem Gebiete der Sozialreform aufzuholen.

Auf das Problem der Verstaatlichung sei nicht näher eingegangen. Jene USIA-Betriebe, die bereits im Verstaatlichungsgesetz genannt sind, werden, das lassen die Aeußerungen der beiden Koalitionspartner in der Frage der verstaatlichten Betriebe erwarten, in ihre neue Etappe eintreten. Ohne näher die Frage zu untersuchen, wie weit und aus welchem Grunde die verstaatlichten Betriebe Erfolge oder Mißerfolge aufzuweisen haben, steht außer Zweifel, daß von der Parole der Verstaatlichung und deren Verwirklichung auf weitere Gebiete der österreichischen Wirtschaft keine neuen Impulse ausgehen können, weder im Hinblick auf die Steigerung der Produktion, noch auf die Ergiebigkeit und Konkurrenzfähigkeit auf den internationalen Märkten, noch im Hinblick auf eine gerechte Verteilung des Sozialproduktes und damit auf eine gesunde Steigerung des Wohlstandes der breiten Masse. Den sozialistischen Vorkämpfern für eine Weiterführung der Verstaatlichung sei in Erinnerung gebracht, was der große Theoretiker der österreichischen Sozialdemokratie, Dr. Otto Bauer, in seinem Buch „Der Weg zum Sozialismus“ über die Verstaatlichung von Betrieben geschrieben hat: „Wenn die Regierung alle möglichen Betriebe beherrscht, würde sie dem Volk und der Volksvertretung gegenüber allzu mächtig; solche Steigerung der Macht würde der Demokratie gefährlich. Und zugleich würde die Regierung die vergesellschaftete Industrie schlecht verwalten; niemand verwaltet Industriebetriebe schlechter als der Staat.“

Angenommen, aber nicht zugegeben, daß die Verstaatlichung auf dem industriellen Sektor (oder auf einem Teil dieses industriellen Sektors) theoretisch die bestehenden Probleme lösen könnte, so darf doch vor allem nicht übersehen werden, daß die lebensnotwendigsten Güter, nämlich die Nahrungsmittel, nicht von der Industrie produziert werden. Diese primären Güter der Volkswirtschaft produziert die Landwirtschaft. Die Landwirtschaft entzieht sich aber schon aus agronomisch-technischen Gründen der Verstaatlichung und Kollektivisierung. Nicht die Großfarmen und die riesigen Getreidefabriken in Amerika und Australien, noch weniger die Staatsgüter und Kolchosen in der Sowjetunion und den anderen Staaten des Ostblocks haben den höchsten Hektarertrag aufzuweisen. Im Gegenteil: durch die Kollektivisierung sind die ehemals klassischen Exportländer für Agrarprodukte heute vor die Notwendigkeit gestellt, Lebensmittel einzuführen. Der Hektarertrag der österreichischen und europäischen Landwirtschaften (wo der Klein- und Mittelbetrieb vorherrscht) übertrifft den Hektarertrag aller anderen Betriebsformen (auch den der modernst eingerichteten neuseeländischen Großfarmen) um ein Vielfaches.

Ueber die intensive Befassung mit den industriellen Betrieben sogenannten „Deutschen Eigentums“, darf nicht vergessen werden, daß durch den Staatsvertrag auch eine große Zahl land- und forstwirtschaftlicher Güter und eine für unsere Volkswirtschaft durchaus in Betracht kommende landwirtschaftliche Nutzfläche in österreichische Verfügungsgewalt kommt. So allein in Niederösterreich: Gut.Urmannsau bei Purgstall, Forst- und Gutsverwaltung Allentsteig, Betrieb Brunn 1, Bezirk Wiener Neustadt, Gutsverwaltung Wilhelmsdorf, Gutsverwaltung Schellinghof, Peigarten, Groß-Taxen, Dinglberg bei Wilhelmsburg, Gaming, Ginselberg, Neu-Haslau, Dürnkrut, Fronsburg, Markgrafneusiedl, Gut Urgersbach, Bezirk Gutenstein, Gut Weißenburg, Staatz, der landwirtschaftliche Betrieb der Nibelungenwerke St. Valentin, Oeko-nomie Ruhof, Laa an der Thaya, Gutsherrschaft Alt-Perau, F. Reuß, Ernstbrunn, Gutsverwaltung Säusenstein, Bernhardsthal und Klein-Mariazell, die Eugen Rothschildsche Gutsdirektion Enzes-feld an der Triesting, Gutsverwaltung Triesting-hof, Berndorf, Gutsverwaltung Kremmersberg bei Berndorf, Gutsverwaltung Haidhof-Baden, Gut Katzelsdorf, Gut Kattau bei Eggenburg, Gutsverwaltung Schönkirchen, Ebenthal, Bezirk Gänserndorf, Unter-Siebenbrunn, Angern, Matzen, Prottes, Stripfing, Steversberg, Hohenau an der Nordbahn, Lengenfeld, Aspanger Hof, Gutsverwaltung Schönau an der Triesting und der Truppenübungsplatz Döllersheim im Waldviertel.

Von besonderem Interesse ist dabei das Gebiet von Döllersheim, das nach der gewaltsamen Okkupation Oesterreichs als Truppenübungsplatz eingerichtet wurde. Es wurden damals aus diesem Gebiete zirka 1100 Besitzer ausgesiedelt, und zwar aus (die erste Zahl bedeutet die Anzahl der ausgesiedelten Besitzer, die Zahl in Klammern die zum Truppenübungsplatz fallende Hektarfläche):

Aepfelgschwendt 47 (566), Allentsteig 25 (300), Dietrichs 24 (393), Niederplöttbach 48 (671), Sollte 30 (541), Dobra 5 (251), Döllersheim 121 (548), Flachau 51 (687), Brugg 12 (157), Edelbach 60 742), Eichhorns 30 (231), Felsenberg 30 (530), Fianzen 58 (259), Haidhof 3, Heinreichs 41 (582), Kienberg 1 (40), Klein-Haselbach 15 (201), Klein-Kainrats 19 (259), Klein-Motten 10 (121), Kühbach 74 (927), Loibenreith 24 (379), Mannshalm 24 (310), Mestreichs 36 (3 50), Mitterreith 2 (108), Neunzen 25, Neupölla 3 (86), Nondorf 12 (219), Oberhof-Stift Zwettl 2 (34, 351), Oberndorf 29 (47?), Oberplöttbach 56 (581), Perweis 7, Pötzles 18 (348), Rausmanns 14 (373), Reichhalms 31 (237), Riegers 20 (385), Schlagles 25 (311), Schwarzen-reith 18 (184), Steinbach 22 (346), Oberndorf 8 (478), Strones 39 (393), Thaures 54 (632), Waldreichs 16 (291), Wetzla 25 (98), Wildings 21 (281),Wilhabn 2, Wurmbach 3 5 (344), Ottenstein 25 (3 82), Hörmanns (31), Schmerbach am Kamp (8), Thaua (28), Tautendorf (4), Winkel (116), Peigarten (160), Kleinraabs (37), Bernschlag (148), Zwinzen (23), Breitenfeld (9), Germanns (609), Gerotten (341), Großglobnitz (10), Großpoppen (52S), Merkenbrechts (836).

Es wird nun Aufgabe der zuständigen verantwortlichen Stellen sein, die billigste und für das Volkswohl nützlichste (nicht bequemste) Form zu finden, in der das Riesengebiet in Zukunft verwertet werden soll. Es gäbe mehrere Möglichkeiten: Gänzliche Aufforstung des gesamten Gebietes. Teilweise Aufforstung und teilweise Belassung als Truppenübungsplatz. Teilweise Abstoßung der Randflächen an die angrenzenden Gemeinden, teilweise Aufforstung und teilweise Belassung als Truppenübungsplatz oder teilweise Aufforstung und Errichtung von Bauernhöfen auf dem verbleibenden Teil.

Wenn wir dabei bedenken, daß von den 432.848 landwirtschaftlichen Betrieben in Oesterreich mit einer Gesamtfläche von 7,726.288 Hektar schon 49.500 Betriebe (deren Besitzer bereits das sechzigste Lebensjahr überschritten haben) mit einer Gesamtfläche von etwa 850.000 Hektar ohne Erben, bzw. ohne Nachkommen sind, die den Hof dereinst übernehmen und bewirtschaften werden, dann kann wohl mit Recht von einer Vergreisung des Bauernstandes, von „sterbenden Dörfern“ gesprochen werden. Wir wollen und dürfen nicht noch mehr wie bisher die Landflucht fördern und unterstützen. Eine weitere Verstädterung, worunter wir das ungesunde Uebergewicht unserer Städte, in: besondere der Großstadt zu verstehen haben, können wir uns nicht mehr leisten — es hätte für unser Volk unübersehbare Folgen. Ein Volk, das viele Städte und nur wenige Bauern hat, so daß es in seiner Ernährung auf die Lebensmitteleinfuhr aus dem Auslande angewiesen ist, steht immer in Gefahr, unfrei zu werden. Die Landflucht entzieht der Landwirtschaft jährlich 25.000 bis 30.000 Menschen. Es sind dies jedoch nicht allein Landarbeiter, sondern zu 50 Prozent auch Bauernsöhne und -töchter.

Gerade durch den Anfall des Gebietes Döllersheim an den Staat wäre Gelegenheit gegeben, in einer vollkommen neuen und tauglichen Form für die Heranbildung des so dringend notwendigen bäuerlichen Nachwuchses zu sorgen.

Durch die Schaffung eines freiwilligen Land-Arbeitsdienstes für die männliche und weibliche Jugend (im Alter von 14 bis 25 Jahren) könnte das Gebiet Döllersheim neu erschlossen werden. Würde darüber hinaus dieser freiwillige Land-Arbeitsdienst in Form von Arbeits- bzw. Werkgenossenschaften aufgezogen (es könnten auf diese Weise ständig zirka 15 bis 20 Land-Arbeitsdienst-Arbeitsgemeinschaften mit einem Gesamtstand von 2500 bis 3000 Mann unterhalten werden), könnte der aus der land- und forstwirtschaftlichen Nutzfläche sich ergebende Reingewinn unter den Arbeitsdienstwilligen aufgeteilt werden.

Es ist ohne weiteres denkbar, daß der junge Mensch, der durch die Arbeits- bzw. Werkgenossenschaft am Reingewinn beteiligt ist, sich nach einigen Jahren so viel erwirbt, daß er imstande ist, einen Hof, den er zu übernehmen beabsichtigt, auszuzahlen bzw. im Wege einer Leibrente zu übernehmen, wobei auffallend tüchtigen Arbeitsdienstwilligen durch die Be-leitstellung öffentlicher Mittel in großzügigster Weise besonders an die Hand zu gehen wäre. Es sind bereits Bestrebungen im Gange, in Oesterreich eine bäuerliche Zwecksparkasse zu errichten, die es — ähnlich den Bausparkassen — ermöglichen soll, bei Erreichung einer Ansparsumme von etwa 30 Prozent des Ueber-nahmspreises, den Rest in Form eines langjährigen Hypothekenkredites vorzuschießen. Hiervon könnten die Arbeitsdienstwilligen sofort Gebrauch machen. Diese bäuerliche Zweckkasse würde den Bauern auch die Möglichkeit geben, durch Einzahlung kleiner Sparraten die Voraussetzung zur späteren Anschaffung eines Familienbetriebes für ihre zweiten und dritten Söhne zu schaffen, wobei auch eine Vorsorge für den Todesfall des Sparers vorgesehen ist (Er- und Ablebensversicherung). Vielen Landwirten wird es jetzt, da sie seit 1. Jänner 195 5 auf Grund des Familienlastenausgleichsgesetzes Kinderbeihilfen bekommen, die in erster Linie für die Sicherung der Existenz ihrer Kinder gedacht ist, um so leichter fallen, von dieser Einrichtung Gebrauch zu machen.

Wenn es auf diese Weise möglich wird, eine weitere Vergreisung unseres Bauernstandes aufzuhalten, ein Sterben des Dorfes zu verhindern, gesunde Familienbetriebe zu schaffen, kann Oesterreich wieder beruhigt in die Zukunft blicken, denn dann, aber erst daniv- ist der Bestand unseres Volkes und unserer Heimat gesichert.

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