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Der Grenzlandwirtschaft auf die Beine helfen

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Am Beispiel Zwettl kann man es ersehen: Aus der verkehrsmäßig ungünstigen Lage entstehen für die Stadt große Probleme - keine gut ausgebaute Straße führt nach Wien, für Wiener Betriebe ist diese Zone daher kaum attraktiv. Deshalb sind dort auch vor allem lokale Betriebe angesiedelt oder solche, die ihr Stammhaus in unmittelbarer Nähe haben. Damit in Zukunft solche Schwierigkeiten für neugegründete Industriebetriebe nicht mehr auftreten, wird an der Wirtschaftsuniversität in Wien durch eine groß angelegte Fragebogenaktion versucht, die Probleme der Grenzlandbetriebe zu erfassen und eine „Starthilfe“ für Neuansiedler zu bieten.

Wie wichtig diese Hilfestellung von wissenschaftlicher Seite ist, zeigen ein paar Zahlen: 32 Prozent der in den letzten 20 Jahren hier errichteten Betriebe mußten wieder zusperren. Im Grenzraum Niederösterreichs allein gibt es 22.000 in der Industrie Beschäftigte.

Univ.-Ass. Dr. Klaus Arnold vom Institut für Wirtschaftsgeographie, federführend an diesem Projekt, umreißt den Zweck der Fragebogenaktion: „Wir wollen damit den betroffenen Betrieben ein Instrumentarium für rationellere Planung bieten. Wir erarbeiten die wissenschaftliche Grundlage für Industrieansiedlung im Grenzland und bieten fundierte Entscheidungshilfen, den Firmen den Start zu erleichtern. Außerdem untersuchen wir auch den Einfluß dieser Neugründung auf die Umwelt, auf die Bevölkerung und die natürlichen Ressourcen.“

Die Herstellung des „Erfolgsrezeptes“ erfolgt in drei Schritten. Als erstes wurde der Istzustand der Grenzlandindustrie festgelegt Darauf baute Stadium II auf, das zur Zeit in Arbeit ist. Dabei wird in einer Fragebogenaktion untersucht, wer wem was liefert, also eine „Verflechtungsanalyse“ gemacht^ 200 Fragebögen wurden an Betriebe in Wien und Niederösterreichs Grenzlandzone verschickt. Auf sechs Seiten mußten 35 Fragen beantwortet werden. So wurde da gefragt nach der Anzahl der Beschäftigten, nach dem Gründungsjahr des Betriebes, ob es sich um ein Stamm- oder ein Zweigun- temehmen handelt, eine Verkaufsniederlassung oder bloß ein Auslieferungslager. Auch über die Gründe der Standortwahl, die Zufriedenheit oder Unzufriedenheit mit dem gewählten Platz wollten die Wirtschaftsgeographen Bescheid wissen.

Phase III wird dann die Auswirkungen der industriellen Situation auf die Gesamtwirtschaft durchleuchten. Das Netzwerk der Zulieferungen, die Auswirkungen von Neugründungen auf die Pendlerstuktur der Bevölke rung sollen in diesem letzten Schritt ebenfalls analysiert werden.

Das A und O für Neugründungen ist eine gute Verbindung zum Ballungszentrum. 60 Prozent der seit 1960 in der Grenzzone angesiedelten Betriebe haben ihren Stammsitz in Wien, sind also auf gut funktionierende „Adern“ zum Gehirn“ angewiesen. Vor allem Firmen der Textil-, Bekleidungs- und Elektroindustrie zogen von Wien weg und boten damit der Bevölkerung des Grenzraumes Arbeitsplätze. Allein in diesen drei Sparten arbeiten 38 Prozent aller in der Industrie der Grenzlandzone Beschäftigten.

Vor 1960 gegründete Firmen suchten außerhalb des Ballungsraumes vor allem die Nähe der benötigten Rohstoffe. Nach diesem Zeitpunkt ist eine andere Tendenz festzustellen: Man zog dorthin, wo es genügend Arbeitskräfte gab.

In der Grenzzone sind es daher vor allem Klein- und Mittelbetriebe, die hier ihre Zelte aufgeschlagen haben. Im Durchschnitt hat ein Betrieb 88 Beschäftigte. Auf die Gründungshausse folgt nach 1960 prompt eine Baisse, denn das Reservoir an Arbeitskräften war bald erschöpft Das führte schließlich dazu, daß viele dieser Newcomers über nicht mehr als 20 Mann Belegschaftverfügen. Noch ein weiterer Unterschied zum Ballungszentrum: In der Grenzzone ist der Anteil an Frauen und an jüngeren Arbeitskräften in der Industrie um einiges höher. Man zog also in zentral gelegene Orte, die ein gutes Straßennetz mit Wien verbindet: nach Schrems, Gmünd, Horn, Hollabrunn. In Gegenden, die auch heute noch als „Ausbaustandorte“ gelten - also sozusagen als „Nester“ für die Industrieansiedlung.

Nicht nur für die hier Beschäftigten bietet die unzureichende Erschließung des Gebietes durch öffentliche Verkehrsmittel ein zentrales Problem. Auch die betroffenen Firmen können ein Klagelied davon singen. Mehr als die Hälfte der aus Wien ausgelagerten Betriebe sind mit ihrem neuen Standort nicht zufrieden. Als wichtigste Negativa werden angegeben: Unzureichende Verkehrsverhältnisse und Mangel an Arbeitskräften. Ein Drittel der hier bestehenden Firmen hat ihre Zentralbüros in Wien, ist also auf gute Straßen zum Stammhaus angewiesen, denn in der Grenzzone ist vor allem die Teilfertigung untergebracht, das Endprodukt wird im Ballungsraum zusammengesetzt.

Die optimale Lösung für die Zukunft scheinen Industrieparks zu sein. Sie bieten an, was der Grenzlandindustrie helfen könnte, ihre Schwierigkeiten zu meistern. Das Gebiet, das die Gemeinden den Neugründem zur Verfügung stellen, ist voll aufgeschlossen. Die mühsamen Behördenwege werden den Betrieben erspart, von einer Gesellschaft geregelt. Finanzielle Hilfe und Beratung wird ebenfalls geboten. Damit erhalten Klein- und Mittelbetriebe Vorteile, wie sie sonst nur die kapitalkräftigen Großen genießen können. Um nun die Vorteile der Industrieparks ins rechte Licht rücken zu können, hat man ein verwirrendes Schlagwort zur Hand: „dezentralisierte Konzentration.“ Auf gut Deutsch heißt das nichts anderes als: raus aus dem Ballungsraum, rein in die Randregion, Konzentration an Orten mit guten Voraussetzungen für Neugründungen. Also weg von der alten Methode: jeder Gemeinde ihren Industriebetrieb.

Wie ist es aber um die Lebensqualität in und um diese neuen Industriebetriebe bestellt? Die Flüsse und Bäche dieser Region führen schon von Natur aus wenig Wasser, können also Abwässer schlecht bewältigen. Vor fünf Jahren sah die Situation daher traurig aus. Abwasserbiologen gaben den Gewässern im Grenzland damals die schlechtesten Noten, die sie zu vergeben hatten. Inzwischen hat sich d«6 Bild entscheidend geändert. Durch den Bau von Kläranlagen konnte die Wasserqualität stark verbessert werden. Aber heute sind die Flüsse „ausgebucht“, bei künftigen Ansiedlungen von Betrieben wird es wieder Schwierigkeiten geben. Es werden sich kaum mehr Standorte am Wasser finden.

Die Untersuchungen des Instituts für Wirtschaftsgeographie sollen vor allem den Raumplanem Hilfestellung bieten. Was bisher noch kaum möglich war, wird durch diese Untersuchung realisiert: die Überprüfung des Erfolgs der vorgeschlagenen Maßnahmen.

Mit dem Erreichten gibt sieh Dr. Arnold noch nicht zufrieden - er hat noch weitere Pläne auf Lager. So soll die Auswirkung von Neugründungen auf das Gemeindebudget durchleuchtet werden, die Auswirkungen auf die Löhne (derzeit liegt das Lohnniveau der Grenzlandbetriebe um gut ein Viertel unter dem niederösterreichischen Durchschnitt). Weiters will man untersuchen, ob durch Industriean- siedlung eine wesentliche Aufwertung des Standortes zu erwarten ist, ob die Abwanderung durch Gründung von neuen Betrieben gebremst werden kann. Oder tritt eher der umgekehrte Fall ein, daß durch bessere überregionale Verbindungen der Anreiz zur Abwanderung in den Ballungsraum erhöht wird?

Letzten Endes sollen diese Arbeiten dazu beitragen, beiden zu helfen: den Industrien, die sich im Grenzraum ansiedeln wollen und den Menschen, die dort leben und arbeiten.

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